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• J A M I E •

Genüsslich strecke ich mich und vernehme neben mir ein müdes Grummeln, darauf folgt dann die verschlafene Frage wie spät es sei.
„Kurz vor sechs." erkläre ich Sam mit einem leichten Lächeln.
„Jamie! Das ist viel zu früh." brummt er und zieht sich die Decke über den Kopf. Er behauptet ja er sei kein Morgenmuffel, doch so wie er sich immer benimmt, weiß ich nicht. Wie oft er morgens wieder eingeschlafen ist, als er mir auf eine Nachricht antworten wollte, kann ich mittlerweile nicht mehr an einer Hand abzählen.
„Du musst ja nicht aufstehen, aber ich will zum Training." erkläre ich weiter und klettert über ihn aus dem Bett. Auch wenn er denkt, dass ich es nicht bemerke, so weiß ich doch, dass er gerade unter der Bettdecke wieder so weit hervorgekommen ist, um mich zu beobachten.

„Hörst du wohl auf, die ganze Zeit auf meinen Hintern zu glotzen. Ich kann das spüren." lache ich amüsiert, während ich besagten Hintern mit einer Unterhose bedecke und mich umdrehe. Weswegen Sam jetzt das Gesicht verzieht, verstehe ich nicht so ganz. Was hat er jetzt schon wieder angestellt?
„Was ist denn jetzt schon wieder?" Ich habe wirklich gute Laune. Nach der Nacht auch kaum zu verdenken. Das war wieder so schön und allein, dass ich bei ihm sein durfte, bereitet mir gute Laune.
„Was sagst du wenn einer danach fragt?" Wonach soll einer fragen? Ich verstehe ihn nicht. Und wieso traut er sich nicht es auszusprechen?
„Wonach soll einer fragen?" wundere ich mich daher nur und ziehe mein Oberteil über.
„Nach den Kratzern." nuschelt er schuldig und versucht sich ganz klein zu machen. Während er das nämlich sagt, bekomme ich große Augen. Schnell ziehe ich wieder das Tanktop hoch und mustere meinen Oberkörper. Und wirklich. Auf meiner rechten Brust prangen vier lange Kratzer. Als ich meine Kleidung wieder richtet, fällt mir auf, dass das Tanktop die Kratzer nur teilweise versteckt. Er hat mich ganz schön zugerichtet. Unfassbar.
„Ich muss doch nicht alles erklären." Entgegnet ich schließlich trocken. Was ich in meiner Freizeit mache, ist doch vollkommen egal und wenn ich dabei ein paar Kratzer abbekomme, dann erst recht. Doch ich kann meine Freunde schon lachen hören. Sie werden ihren Spaß haben und sich daran aufgeilen.
„Dann viel Spaß mit den blöden Sprüchen, dass du jeden Kerl aufreißt." kichert Sam in die Bettdecke. Das hebt meine Laune nicht sonderlich. Eher gegenteilig. Das hätte er auch sein lassen können. Ich kann ja jetzt nicht einmal ein T-Shirt von ihm nehmen, damit niemand die Kratzer sieht, das würde anliegen wie eine zweite Haut. Ist also auch nicht vorteilhaft und würde auch zu blöden Sprüchen führen.
„Die Sprüche werden nicht kommen." Meine ich nur und suche meine letzten Sachen zusammen. Sam scheint jedoch zu bemerken, dass meine Laune langsam in den Keller geht.

Er braucht einen Moment um zu kapieren was los ist. So ganz wach ist er dann doch noch nicht.
„Du hast ihnen nicht nur von mir nicht erzählt, sondern von dir auch nicht, oder?" Er will darauf eine ehrliche Antwort. Die ich ihm auch nicht vorenthalten werde.
„Nein, das brauchen sie auch nicht." brumme ich leicht genervt. Das lange, schwere, etwas enttäuschte Seufzen höre ich deutlich. Ich finde das doch auch nicht optimal, da braucht er jetzt nicht so anfangen. Und leider ist jetzt meine Stimmung auf einem Tiefpunkt. Weshalb ich ihn ungewollt anmaule.
„Na los, sag schon, dass ich es ihnen sagen muss. Erklär mir, dass ich es schon längst hätte tun müssen. Komm, sag schon. Dann habe ich einen Grund nicht sauer auf mich selbst zu sein, sondern auf dich." fauche ich ihn recht ungehalten an. Ich bin mit einem Mal so wütend. Manche Tage belastet es mich doch selbst, aber ich weiß auch wie sie reagieren werden. Daher lasse ich es.

Sam braucht für meinen Geschmack einen Moment zu lang, um zu antworten, daher schnaube ich nur wütend und will schon gehen.

„Jamie! Warte!" ruft er mir hinter her, als ich bereits im Wohnungsflur stehe und schon fast die Klinke in der Hand habe. Jedoch ruft er so leise, dass er die anderen nicht weckt. Erstaunlicherweise bleibe ich stehen, allerdings weiß ich selbst nicht weswegen. Und obwohl ich sauer bin, lasse ich es zu, dass er mich an der Hand wieder zurück ins Zimmer zieht. Ich nehme stark an, dass Sam zwar Verständnis hat, aber er will es auch erklärt haben und vorher wird er mich wahrscheinlich nicht gehen lassen.

Zärtlich, aber doch bestimmend weist er mich an, mich auf das Bett zu setzen.

„Weswegen hast du es ihnen nicht erzählt? Immerhin sind es deine Freunde." Er bemüht sich einfühlsam zu klingen, damit meine schlechte Laune nicht noch mieser wird. Ich mag ihn wirklich sehr. Deswegen versuche ich es ihm zu erklären.

„Weil sie es nicht verstehen würden." seufze ich zuerst nur. Diese Stimmungsschwankung ist für mich eigentlich sehr unüblich. Ich bin eigentlich ausgeglichen und explodiere nicht so schnell. Und um es ein weiteres Mal zu vermeiden, dass ich ihn wieder anfahre, wenn er etwas fragt, hole ich weiter aus.
„Wir kennen uns fast alle seit wir fünf sind. Glaub mir, ich weiß, dass sie es nicht verstehen würden, sie könnten es sich einfach nicht vorstellen oder sie halten es für einen Scherz und würden mir nicht glauben. Außerdem könnten andere auf blöde Ideen kommen. Ich meine allein beim Umziehen fürs Training. Darauf habe ich einfach keine Lust. Ich finde es selbst ätzend, aber was soll ich sonst machen?" Ich versuche ihn so ehrlich wie möglich anzusehen. Mit einem Brummen lasse ich mich wenig später nach hinten umfallen.

„Meinst du nicht, dass es auch die Möglichkeit gibt, dass sie es einfach akzeptieren könnten?" Sam stützt sich über mir ab und streicht mir behutsam eine Strähne aus der Stirn.
„Ich glaube nicht dran. Wenn du die einmal erlebt hast, weißt du was ich meine." Damit wollte ich ihn eigentlich nicht auf einen Gedanken bringen, doch genau das habe ich wohl geschafft.
„Dann kann ich ja mal Mäuschen spielen." kichert er und irgendwie gelingt es ihm, mir sogar ein Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern.
„Kannst du gerne tun. Wir machen nachher bestimmt noch irgendetwas." erkläre ich. Irgendwie habe ich schon wieder bessere Laune. Das kann nur an Sam liegen. Seine verständnisvolle Art und sein Einfühlungsvermögen haben mich wieder aufgebaut. Eins der Dinge, die ich so an ihm schätze.

„Kommst du dann danach wieder her? Ich vermisse dich immer so schnell." wispert er leise an meinen Hals, während er dort leichte Küsse platziert. Diesmal entweicht mir kein genervtes sondern ein lustvolles Seufzen. Wenn er mich weiter so geküsst, dann schaffe ich es nicht mehr zu Training und bleibe lieber hier liegen.

Obwohl.

Ich komme jetzt auch schon zu spät, dann kann ich auch gleich so tun, als hätte ich verschlafen und verbringe jetzt lieber noch etwas Zeit mit dem halbnackten Kerl, der sich mit meinem Hals beschäftigt.

„Es ist unter der Woche. Ich brauche immer eine gute Ausrede um nicht zu Hause zu sein." stöhne ich leicht auf, da ich auch gern Zeit mit ihm hätte. Einer der Nachteile, wenn keiner Bescheid weiß und man eben nicht sagen kann, dass Mann bei seinem Freund ist. Da möchte Sam eigentlich etwas grummeln, doch so weit kommt er gar nicht.
„Dafür ist Mama die ganze nächste Woche auf einem Seminar." strahle ich glücklich. Darauf freut er sich wie ein kleines Kind. Wir wissen beide was das heißt.
„Dann darf ich dir die ganze Woche auf die Nerven gehen?" möchte er dennoch bestätigt bekommen. Ein Nicken von mir bringt ihn noch mehr zum Lächeln.

„Wolltest du nicht auch zum Training?" fragt er weiter, macht aber auch nicht die geringsten Anstalten um mich freizugeben, damit ich gehen könnte. Stattdessen kuschelt er sich an mich und legt das Bein über meine Hüfte.
„Jetzt ist eh zu spät und zweitens lässt du mich doch ohnehin nicht gehen." grinse ich ihn nur an. So können wir immerhin noch fast eineinhalb Stunden mehr miteinander verbringen und das brauchen wir beide heute irgendwie. Das ist für die Seele.

In der Schule haben meine Freunde sofort gestichelt, weswegen ich heute morgen nicht beim Training war. Es wurde sogar etwas schlimmer, als Colton die Kratzer entdeckt hat. Schon hatten sie Gedanken, was ich so getrieben haben könnte und noch mehr mit wem. Schnell hatten sie den Einfall, dass es Gina gewesen sein könnte.

Zu allem Übel ist das Thema auch am Nachmittag noch höchst aktuell. Das liegt wohl daran, dass die Jungs nie etwas von mir zu hören bekommen. Sie denken immer ich würde nichts aufreißen. Wie falsch sie damit liegen, ist kaum in Worte zu fassen. Obwohl. Es ist auch ganz lustig aufgerissen zu werden.
Sie halten mich eben für ruhig, etwas verklemmt und sehr zurückhalten, ähnlich wie Brandon. Dass ich so nicht bin, haben sie nicht mitbekommen und ich erzähle es ihnen auch nicht. So muss ich wohl heute die ganzen dämlichen Sprüche über mich ergehen lassen. Meinen Lichtblick habe ich erst, als ich Sam wieder sehe.

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