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• J A M I E •

Manchmal guckt Sam's Vater doch etwas eigenartig. Ich weiß, dass er recht konservativ ist und lange brauchte, um Sam's Sexualität zu akzeptieren, aber laut Sam sollte er damit kein Problem mehr haben. Liegt das dann doch an mir? Beim Mittag fällt mir das wieder auf. Er wirft mir einen musternden Blick zu, den ich nicht einschätzen kann. Aber er fragt auch nicht, was ich etwas seltsam finde. Erst als wir gemeinsam den Tisch abräumen, scheint er mit der Sprache raus zu rücken. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir das erste Mal zu zweit sind.
"Sag mal, wie alt bist ?" fragt er schließlich. Etwas irritiert bin ich jetzt schon. Ich dachte, dass weiß er schon.
"17. Aber nicht mehr lange." erzähle ich ihm, während ich ihm den nächsten Teller anreiche. Er lässt einen eigenartigen Laut entweichen, den ich nicht einordnen kann. Bin ich ihm zu jung?
"Und was machst du dann nach der Schule? Musst ja fast fertig sein." stellt er die nächste Frage. Jetzt will er wohl wissen, was ich mit meiner Zukunft anstellen will. So ein planloser Penner scheint ihm nicht in den Kram zu passen.
"Ehrlich gesagt, weiß ich das noch nicht so genau. Das nervt mich etwas." erkläre ich ihm. Stirnrunzelnd betrachtet er mich. Das muss ich wohl erklären.
"Ich hasse es planlos zu sein. Außerdem möchte ich nicht ein Jahr irgendwelchen Nonsens machen, weil ich irgendeine Bewerbungsfrist verpasst habe, da ich zu lange für meine Entscheidung gebraucht habe." berichte ich etwas ausführlich. Abwägend wiegt Sam's Vater den Kopf hin und her. Die Antwort scheint ihm wohl etwas gefallen zu haben. Klasse, er hält mich nicht ganz für einen planlosen Penner, nur für einen halben. Immerhin.

"Kann ich ihn jetzt wieder haben?" Sam unterbricht unser Gespräch und lehnt lässig im Türrahmen.
"Ich weiß nicht." grinst Sam's Vater. Er hat einen ähnlichen Humor, wie Sam. Das ist wirklich eine eigenartige Familie, aber irgendwie liebenswert.
"Doch ich denke schon. Ist schließlich meiner." verschmitzt grinst Sam ihn an. Super, jetzt streiten sie sich schon etwas um mich. Unfassbar.
"So besitzergreifend, gefällst du mir irgendwie nicht." kontere ich. Diese kleinen Sticheleien finde ich gut.
"Ist klar. Oller Clown." Sam lacht auf und verlässt die Küche wieder. Was hat er zur Zeit nur? Gestern nennt er mich Blödmann und Witzbold und heute bin ich ein Clown? Ist das die Luft hier oder die Nähe zu seiner Familie? Ich wüsste das wirklich gern. Deswegen folge ich ihm.

"Was ist denn mit dir los?" lächelnd lasse ich mich neben ihn auf das Sofa plumpsen.
"Ich finde es gut, dass du so gut ankommst. Sie mögen dich und das gefällt mir sehr." Ein Lächeln schleicht sich in sein Gesicht. So süß. Ich muss ihn einfach küssen.

Am Abend entscheiden wir uns, ins Kino zu gehen. Irgendwie wollen wir noch etwas Zeit zu zweit verbringen. In seinem Elternhaus ist das etwas schwer. Lindsey scheint an ihrem Bruder sehr zu hängen und ihn zu vermissen, wenn er nicht da ist. Sie ist wie eine kleine Klette. Dennoch ist sie herzlich und lieb. Ich mag sie. Irgendwie erinnert sie mich an Hannah. Sie sind sich recht ähnlich. Aber sie ist auch anstrengend, weil sie die ganze Zeit irgendwie in der Nähe ist. Deswegen kommt uns das Kino ganz gelegen. Mir ist sogar egal, was wir uns ansehen. Mir geht es nur um die Zeit mit ihm.

Den ganzen Film über futtert Sam Popcorn und schlürft den gigantischen Softdrink. Manchmal frage ich mich wirklich, was alles in ihn reinpasst. Ich gebe zu, dass ich verfressen bin, aber er macht mir manchmal echt Konkurrenz. Ich will ja nicht, dass er irgendwann mal dick wird. Ich schmunzle nur blöd, als er nach dem Kino sich schnell auf die Toilette verdrückt. Bei dem riesigen Softdrink, den er sich in den letzten zwei Stunden hintergezogen hat, ist das logisch.

Ich warte draußen und vertreibe mir die Zeit, bis Sam kommt, mit dem Handy.
„Ach guck, dass ist doch Sammy's neuer Lover." höre ich es plötzlich, sodass ich vom Handy aufsehe. Zwei Kerle, die schon vom Aussehen keinen guten Eindruck machen. Sie schreien förmlich nach Ärger.
„Macht den Anschein, als hätte er sich einen Bodyguard gesucht." lacht der zweite blöd auf. Skeptisch ziehen sich meine Augenbrauen zusammen. Was soll das hier werden? Es gefällt mir auch gar nicht, dass sie immer näher kommen.
„Tja, Sammy musste schon immer beschützt werden." entgegnet dem wieder der erste.

Den ersten Fausthieb in meinen Bauch sehe ich nicht kommen, sodass ich kurz keuche und etwas zusammensacke. Wie gelähmt stehe ich da und kann nichts machen. Über die Feindseligkeit in den Stimmen bin ich zu entsetzt, als irgendetwas ausrichten zu können.

„Wie er wohl reagiert, wenn sein Bodyguard ihn nicht mehr beschützen kann?" lacht der zweite, worauf mich wieder ein Schlag trifft.
„Ich bin dafür, dass wir das rausfinden." hämisch grinsend lacht der andere.

Schäbig lachend prügeln sie auf mich ein, meine Versuche mich zu wehren bleiben zwecklos und gehen ins Leere. Erst ein erneuter Treffer in die Magengrube lässt mich ein paar Kräfte mobilisieren, um einen der beiden in die Fresse zu schlagen.
„Scheiße." brüllt dieser darauf los und lässt von mir ab.
„Das war ein Fehler." zischt der zweite in mein Ohr.

Augenblicklich durchfährt mich ein stechender Schmerz, der mir den Atem verschlägt. Reflexartig drücke ich die Hand auf meine Seite. Ich spüre, wie es feucht und warm wird. Während die Höhlenmenschen amüsiert lachen, schaue ich zu meiner Hand. Sie ist blutüberströmt. Mein T-Shirt verfärbt sich um den höllisch schmerzenden Bereich dunkel. Langsam sehe ich mich um und sehe das Messer aufblitzen, von dem noch mein Blut tropft. Keuchend richte ich mich wieder auf, was abartig weh tut. Ich kralle die Hand in meine Seite, in der Hoffnung, dass es den Schmerz lindert. Was es nicht im geringsten tut.
„Zähe Schwuchtel. Ich glaub, der hat noch nicht genug."

Gerade als er mit dem Messer ein zweites Mal ausholen will, hört man Sam rufen. Leise und schwach, als wäre er weit entfernt. Ich bin erleichtert und doch habe ich sofort Angst um ihn. Breit grinsend drehen sie sich zu ihm. Doch diesmal nutze ich die Chance, die sich bietet. Der Kerl, der vorhin schon einen Schlag in die Fresse bekommen hat, kassiert einen zweiten.
„Krümm ihm ein Haar und das Scheiß-Messer steckt in dir." knurre ich gefährlich. Bevor sie darauf jedoch antworten können, kommen mehr Menschen in den überdachten Eingangsbereich und die Idioten ergreifen die Flucht.

Vor Schmerzen windend stehe ich total gekrümmt da und versuche irgendwie etwas Besserung zu fühlen.
Sam kommt auf mich zu gerannt und sagt die ganze Zeit irgendetwas aufgelöstes, aber ich verstehe ihn kaum. Es ist mehr ein unterschwelliges Rauschen. Mit der Wand im Rücken falle ich langsam zu Boden. Daran angelehnt, bleibe ich sitzen und halte mir die teuflisch schmerzende Seite. Sam kauert neben mir und fängt an leise zu weinen. Etwas vergesse ich meinen Schmerz, weil ich es nicht ertragen kann, ihn so zu sehen. Das ist schlimmer als die Wunde. Ich drehe den Kopf in seine Richtung und streiche ihm mit der halbwegs sauberen Hand ein paar Tränen von der Wange.
„Das wird wieder, aber ruf einen Krankenwagen." murmle ich leise. Sonst wird das nicht wieder, füge ich in Gedanken an. Mit großen Augen schaut er zu mir, ehe er eifrig nickt und nach seinem Handy kramt.
„Der ist schon auf dem Weg." informiert uns eine junge Frau, die sich vor mich hinkniet. Langsam nicke ich nur.

Dieser kommt zum Glück schnell, auch wenn sich die paar Minuten fast wie Stunden angefühlt haben. Die Schmerzen sind beinahe unerträglich. Die Hand darauf zu pressen, scheint mittlerweile auch nichts mehr zu bringen. Und keiner der umstehen scheint Ahnung von erster Hilfe zu haben.

Zwei Sanitäter kommen angerannt, der erste spricht mich an und will was wissen, doch mehr wie nicken und leicht den Kopf schütteln ist nicht mehr drin. Der zweite hebt leicht meine blutverschmierte Hand und schaut drunter. Ich kann ihm deutlich ansehen, wie ihm das Wort Scheiße durch den Kopf schießt. Das baut sehr auf.

„Kannst du dich kurz hinstellen, wenn wir dich stützen? Dann geht das mit der Trage besser und wir können schneller los." fragt der erste, der unermüdlich auf mich einredet. Schwach nicke ich. Beide knien neben mir, einer legt sich meinen Arm um die Schulter und der andere drückt ein Verbandtuch auf meine Seite und legt seinen Arm um meine Taille. Mit der Wand im Rücken komme ich zum Stehen. Jetzt nur zwei kleine Schritte. Nur zwei Schritte.

Doch das ist unmöglich. Das sind zwei Schritte zu viel.
Ich will noch sagen, dass das nicht geht, da wird mir schwarz vor Augen und meine Beine geben nach.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt