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• J A M I E •

Wie gern ich wieder umdrehen würde. Einfach in den nächsten Flieger nach Hause. Bestimmt sieht man mir die tolle Laune richtig an. Sieben Tage Regenwetter sind wahrscheinlich nichts im Vergleich dazu. Was soll ich denn machen? Ich kann meinem Vater einfach nichts abgewinnen. Nicht mehr. Er mag nett sein und alles, aber ich ... ich weiß nicht. Ich bekomme in seiner Nähe schlechte Laune. Und das soll ich jetzt fünf Wochen aushalten? Das wirklich nervige daran ist, dass Sam so weit weg ist und wir nichts zu zweit machen können. Allein der Gedanke lässt mich ihn vermissen.

Nachdem ich meine Tasche wieder habe, trotte ich langsam zum Ausgang und versuche in das WLAN des Flughafens zu kommen. Ich will Sam schreiben.

So weit komme ich jedoch gar nicht.
„Jamie. Mensch, du wirst ja immer größer." Höre ich meinen Vater. Genervt lasse ich das Handy sinken und schaue ihn an. Ich habe noch nicht ein Wort an Sam schreiben können.
„Es soll öfter vorkommen, dass Teenager wachsen." Erkläre ich ihm.

Endlich verbindet sich mein Handy wieder mit dem Internet. Nach dem stundenlangen Flug erreicht mich eine Nachricht nach der nächsten. Kurz schaue ich rauf. 263 Nachrichten in dem Gruppen-Chat mit meinen Freunden. Vier Nachrichten von Hannah, zwei von Mama und sieben von Sam.

„Das kannst du doch später machen. Lass uns doch erst mal zum Auto gehen." Meint Papa und geht voran. Ohne auf meine Antwort zu warten.

Schnell schreibe ich Sam. Nur kurz. Dass ich angekommen bin, dass er mir fehlt und dass ich mich wieder melde, wenn ich bei meinem Vater zu Hause bin.
„Jamie. Komm schon. Der Verkehr wird nicht besser und du kannst deiner Freundin schreiben, wenn wir da sind." Ruft er mir zu und steht bereits an der Tür. Kurz schaue ich zu ihm auf, senke den Blick wieder und tippe schnell weiter. Dabei gehe ich langsam los. Als ich bei ihm stehen bleibe, drücke ich schnell auf senden und möchte es wieder wegstecken. Doch er zieht es mir aus der Hand und steckt es in seine Hosentasche.
„Das gibt es zu bestimmten Zeiten wieder." Erklärt er. Anstatt auf eine Reaktion zu warten, geht er zu einem Auto. Ich beiße so sehr die Zähne zusammen, dass es weh tut. Andernfalls würde ich ausflippen. Reicht es nicht, dass ich fünf Wochen hier sein muss? Nein, jetzt auch noch das. Und wahrscheinlich bekomme ich es immer dann, wenn meine Freunde und Sam und Mom schlafen. Danke, Zeitverschiebung.

Achtlos schmeiße ich meine Tasche in den Kofferraum und lasse mich selbst auf den Beifahrersitz fallen. Den Seitenblick von Papa bekomme ich sehr wohl mit, als er einsteigt. Ich lege den Kopf gegen die Scheibe und versuche nicht zu explodieren. Meine Nerven liegen einfach blank. Stundenlang in einen kleinen Sitz gezwängt. Ein schreiendes Kind mit im Flugzeug. Geschlafen habe ich seit gestern irgendwann nicht mehr. Also bin ich bestimmt über 30 Stunden wach. Und ich muss hier sein. Ich bin ja sonst kein Pulverfass, aber heute schon.

Nach den ersten zehn Minuten habe ich mich schon etwas beruhigt und frage nach wie lange die Fahrt jetzt dauert.
„So etwa zwei bis drei Stunden. Kommt drauf an, wie wir jetzt durch die Stadt kommen. Auf dem Highway geht's dann." Erzählt er. Laut lasse ich die Luft aus meinen Lungen entweichen.

Bitte erschießt mich einer.

Wieder lasse ich den Kopf gegen die Scheibe sinken.
„Du kannst mir in der Zeit ja was über deine Freundin erzählen. Ich glaube nämlich nicht, dass du Mom so dringend schreiben wolltest." Er versucht es neckend rüber zu bringen und eigentlich könnte ich ihn verstehen. Aber nicht so wie ich schon drauf bin.
„Ich habe keine Freundin." Brumme ich. Es könnte ungünstig sein, ihm in den ersten Minuten, dieser nie enden wollenden Autofahrt, zu sagen, dass ich schwul bin.
„Komm, nimm mich nicht auf den Arm. Wie heißt sie?" leise lacht er und schaut mich amüsiert an.
„Verdammt! Ich habe keine Freundin. Ich bin schwul." Knurre ich ihn nur an.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt