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• J A M I E •

Den Vormittag habe ich im Bett verbracht. Mom hat mich in der Schule entschuldigt, während ich ihr alles erzählt habe. Leider hatte sie auch keinen guten Rat für mich. Um die Mittagszeit musste sie dann zur Arbeit und Sam kam wenig später vorbei, dem ich bereits alles geschrieben habe.

Den Kopf habe ich auf seinem Oberschenkel abgelegt. Beruhigend streicht er mir durch die Haare, während er mir dabei von seinem Tag erzählt, um mich abzulenken. Währenddessen schauen wir irgendetwas langweiliges im Fernsehen, als es klingelt. Ich reagiere darauf nicht. Ich will niemanden sehen. Doch es klingelt nochmal.
„Ich geh mal den Postboten verscheuchen." lacht Sam leise und geht zur Tür.

Ich höre ihn sprechen, kann leider aber nicht verstehen, was er sagt. Er brummt auf einmal nur noch. Er klingt fast sauer.
Es ist also nicht der Postbote. Hätte mich auch gewundert. Ich lehne mich in meinem Bett gegen die Wand und ziehe die Beine nah an den Oberkörper, dazu schlinge ich die Arme um das Kissen, auf dem Sam eigentlich immer liegt und möchte mich einfach vor jedem verstecken. Ich bin im Moment nicht stark genug. Das ist mir alles zu viel.

„Es ist glaube ich besser, wenn ich gehe." erklärt mir Sam als er wieder in mein Zimmer kommt. Ich will schon frage, warum er mich allein lässt, da sehe ich Eric im Flur. Genervt seufze ich.
„Aber ich komme nachher wieder." sagt er bevor er mir einen Kuss auf die Stirn haucht und geht. Dabei fällt mir auf, dass er meine Kapuzenjacke mitnimmt, die ihm etwas zu groß ist. Leise brumme ich als er geht. Ich will ihn doch bei mir haben. Er soll nicht gehen.

Auf der Lippe kauend setzt sich Eric wenig später auf meinen Schreibtischstuhl.
„Erklär es mir bitte, denn offensichtlich hast du sogar einen Freund." fängt er an. Laut atme ich einmal ein und aus.
„Nein. Sag mir lieber, was du denkst seit wann ich es weiß." Ich drehe es einfach um, sonst endet es genau wie vorhin. Vielleicht versteht er es dann.
„Weiß nicht. Kurz vor der Party, auf der dich Gina geküsst hat?" antwortet er vorsichtig. Sofort lache ich kurz auf.
„Da war ich mit Sam schon eine Weile zusammen." erkläre ich ihm, worauf er mich seltsam ansieht. Das hat er offensichtlich nicht erwartet.
„Aber wie lange weißt du es dann?" stammelt er etwas unbeholfen. Er kapiert wohl, dass wesentlich mehr an ihm vorbei gegangen ist, als er gedacht hätte.
„An die drei Jahre." sage ich lediglich.
„Aber ... er ist dein erster Freund, oder?" fragt er langsam weiter. Soll ich ihm jetzt den Schock verpassen und wirklich sagen, dass dem nicht so ist? Wodurch er bemerkt, was ihm wirklich entgangen ist.
„Auch nicht. Jetzt komm mir aber nicht damit, dass ich hätte was sagen müssen. Ihr hättet einfach nur mal aufmerksam sein können, dann hättet ihr so viel mitbekommen." Mir egal wie das jetzt klingt.

Ja, ich hätte was sagen können, aber wieso? Wo steht geschrieben, dass ich mich outen muss? Können nicht einfach die Freunde auch aufmerksam genug sein und das vielleicht selbst mitbekommen und fragen? Ich hasse diese Situation einfach.

„Zum Beispiel?" fragt er weiter. Es fällt ihm sichtlich schwer ruhig zu bleiben. Er würde mir gern irgendetwas an den Kopf knallen.
„Ein Freund ist zum Beispiel mit uns zur Schule gegangen. Oder wie scheiße es mir nach einer Trennung ging. Oder ganz einfach der Punkt, dass ich nicht einmal viel mit Mädchen rede, weil ich kein Interesse an ihnen habe. Nicht so wie Brandon, der einfach schüchtern ist." als ich fertig bin, schaut er immer noch so. Ich bin wirklich der Meinung, er knallt mir etwas gegen den Kopf. Naja, alternativ könnte es gerade auch sehr viel sein, was er nicht versteht. Es ist halt ein sehr seltsamer Blick.
„Aber du bist genauso schüchtern, wie Brandon." Ich bin überrascht, dass er nur dazu etwas sagt.
„In keiner Weise. Ich bin nur still, wenn ihr über irgendwelche Mädchen sprecht oder eins in der Nähe ist. Ich will dann einfach keine Aufmerksamkeit." erkläre ich. So ein bisschen komme ich mir vor wie bei einem Verhör, wo ich alles erklären muss.
„Ach und wie bist du dann?" Eric wird zickig. Und ich kann es verstehen. Ich habe ihn schließlich angelogen mit meinen Verhalten und habe ihm nicht alles erzählt.
„Einfach ich selbst. Aber ich kann dich verstehen. Ich weiß wie blöd du dich gerade fühlst. Glaub mir, ich kenne das Gefühl."
„Woher willst du das wissen? Du bist der Grund dafür." knurrt er.

So langsam geht mir das echt an die Nieren. Ich merke wie ich emotionalere werde und nichts dagegen tun kann. Und das macht es noch schlimmer. Wie ein Teufelskreis.
„Weil es sich genauso beschissen anfühlt, wenn man ignoriert wird, obwohl man weiß das der andere was empfindet, weil man in einer beschissenen Beziehung ist. Die nicht wegen einem selbst unbedingt geheim bleiben musste. Das ist genauso Scheiße." fahre ich ihn an. Die ganzen verdammten Gefühle, die ich gut begraben hatte, kommen mit hoch und ich spüre wie mir eine verdammte Träne über die Wange rollt. Zusätzlich begleitet durch einen Stich ins Herz.
Das war einfach zu qualvoll. Ich habe den Kerl so gemocht und er hatte für mich nicht einmal ein Lächeln übrig, sobald jemand dabei war. Er hatte es sich noch weniger eingestanden als ich.

Ich ziehe die Beine noch etwas näher an den Körper und versuche meinen Schutzwall weiter aufrecht zu halten. Ich will mich nur noch verkriechen.
„Hey. Hilft es wenn ich dem Typen in die Fresse schlagen kann?" fragt Eric plötzlich ganz ruhig und setzt sich neben mich, um den Arm um mich zu legen. Ich weiß nicht einmal, was jetzt der Grund dafür ist, dass er so reagiert.
„Wenn ich wüsste wo er ist, hätte ich es selber gemacht." meine ich nur und versuche schnell, die Träne wegzuwischen. Nichts ist schlimmer als weinen. Besonders im Moment.
„Wie du weißt nicht wo er ist? Ich dachte, der geht mit uns zur Schule." fragt er verwundert.
„Nicht mehr. Hat mir nur gesagt, dass er wegziehen muss. Ich weiß, aber nicht wohin." überlege ich so.

Wenn ich genauer nachdenke, dann ist das schon der Zweite, der weggezogen ist. Obwohl bei dem Ersten war es fast abzusehen. Seine Eltern mussten wegen der Arbeit immer umziehen. Trotzdem schon sehr seltsam.

„Also erzählst du mir jetzt alles darüber oder muss ich es aus dir raus kitzeln?" fragt Eric schließlich mit einem schelmischen Grinsen. Also erzähle ich ihm fast alles. Sogar ein bisschen mehr als Hannah weiß, damit er mir das nicht irgendwann vorhalten kann.

„Und wo hast du jetzt deinen Freund her? Wahrscheinlich nicht von Tinder oder so was." lacht er, als ich ihm bis dahin alles erzählt habe.
„War in einer Bar." berichte ich ihm, jedoch unterbricht er mich gleich.
„Wie du da rein gekommen bist, frage ich besser nicht. Das Eigentliche ist doch, dass du ohne mich in eine Bar gehst. Ich habe dich doch schon so oft angebettelt." Diesmal ist sein entsetzter Ausdruck nur aufgesetzt.
„Da wärst du nicht mitgekommen. Da gibt es keine Frauen." gestehe ich und versuche unschuldig zu tun. Das überrascht ihn nur ein wenig. Erstaunlicherweise.
„Und weswegen warst du da?"
„Ich hatte schlechte Laune?" Er sollte eigentlich wissen was ich meine. Er macht so etwas auch.
„Wolltest du etwa jemanden abschleppen?" fragt er schnell ungläubig nach. Er weiß wohl doch nicht was ich meine oder will es von mir hören.
„Durchaus möglich. Hätte ich sehr gut gefunden, aber daraus wurde leider nichts. Und letztendlich hätte er mich wahrscheinlich abgeschleppt, weil er mich angequatscht hat. Das wäre auch so gekommen, wenn er nicht mitbekommen hätte, dass ich nur 17 bin." erzähle ich, worauf er mich erst mit großen Augen ansieht und dann seltsam verwirrt.
„Er sah jetzt nicht aus, als wäre er älter." stellt Eric kurz fest.
„Mittlerweile ist er 21." Zu Sam's Geburtstag war ich leider nicht da. Das nervt mich tierisch.
„Aber wenn er dich nicht abgeschleppt hat, wie ging es dann weiter?" Ich finde es schön meinen besten Freund endlich alles zu erzählen. Wie bei Mom fühlt es sich wahnsinnig befreiend an. Zum Glück kommen nicht die doofen Sprüche, vor denen ich echt Angst hatte.
„Er hat mir nur seine Nummer gegeben und wir haben dann halt viel geschrieben und uns auch getroffen. Eins ergab dann das andere und jetzt sind wir über ein halbes Jahr zusammen. So in etwa."

Er lächelt mich an und wuschelt durch meine Haare. Doch ich seufze nur. Worauf er mich etwas fragend ansieht.
„Jetzt muss ich es nur noch den anderen sagen." Das Unwohlsein kommt wieder. Da es wieder eine Situation ist, in der ich die Reaktionen nicht abschätzen kann. Und wieder werde ich das Selbe erzählen müssen. Das ist fast etwas lästig.
„Ne. Das mache ich. Schließlich sind wir dir ja alle hinter her gerannt. Dann kann ich ihnen sagen, dass sie das akzeptieren sollen und gut ist. Wenn sie mehr wissen wollen, dann sag ich einfach, dass sie hätten aufmerksamer sein können." erklärt er mir erst ruhig und lacht schließlich darüber. Er verwendet meine Worte. Auch ich fange an zu schmunzeln.

„Kannst du es gleich machen?" frage ich vorsichtig. Ich will es einfach hinter mir haben. Wenn ich morgen aufstehe, will ich es vor niemanden mehr geheim halten. Ich will einfach frei davon sein.
„Klar. Wenn du deinem Freund schreibst, dass er herkommen soll. Ich muss mich nämlich entschuldigen, weil ich etwas bescheuerten war." Ich nicke nur und wir zücken beide unsere Handys.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt