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• J A M I E •

Der Abschied von Thomas ist kurz. Während ich mit ihm noch ein letztes Mal über den Flur schleiche, kommt Albert auf uns zu. Die Chance nutze ich und löse mich etwas von Thomas, den ich leicht festhalte.
„Pass mir gut auf den alten Mann auf." grinse ich ihn an, ehe ich eine gut gemeinte Drohung anfüge.
„Ich komme das kontrollieren, auch wenn ich dafür ein paar Stunden Zug fahren muss." Thomas ist darüber jedoch nicht sonderlich erfreut. Jedenfalls sieht er nicht so aus, doch ich weiß, dass er sich freuen würde. Da er mir ja auch schon mehrmals gesagt hat, dass ich doch gefälligst mal vorbei kommen soll.
„Selbstverständlich, habe das schließlich ein paar Jahre vernachlässigt." lacht mich Albert an und strahlt so süß zu Thomas.

Nach einer kurzen Umarmung gehe den Flur entlang und steige in den Fahrstuhl. Seufzend steige ich wenig später in Mama's Auto ein.
„Können wir dann?" fragt sie, als ich es mir auf der Rückbank bequem mache.
„Bitte. Ich will mein eigenes Bett wieder haben." grinse ich über den Rückspiegel nach vorn. Sie schmunzelt und fährt los.

Schnell kringelt Sam sich auf dem Beifahrersitz zusammen und schläft ein. Da sitzen noch etwas unangenehm ist, lege ich mich quer auf die Rückbank. Das könnte zwar auch gemütlicher sein, aber ich möchte mich  nicht beschweren. Es hätte ja auch wieder der Zug sein können.

Nach gefühlt endlosen Staus und Baustellen kommen wir Stunden später wieder zu Hause an. Endlich. Total erschöpft schlurfen Sam und ich in mein Zimmer, wo wir sofort in mein Bett fallen. Ich kuschle mich an seinen Rücken und halte ihn fest. Als mein Atem auf seinen Nacken trifft, stellen sich wie so oft seine Nackenhärchen auf, doch er greift nur nach meinen Armen, welche vor seiner Brust verschränkt sind, und zieht mich näher an sich. Mit der Nasenspitze fahre ich leicht durch seinen dunkelbraunen Haaransatz und schlafe kurz drauf ein.

Im eigenem Bett aufzuwachen, ist schon ein Highlight nach einer Woche Krankenhaus. Besonders da ich endlich nicht mehr allein schlafen musste. Das war so schön. Leider trübt sich der wunderbare Gedanke, als mir einfällt, dass Sonntag ist. Und wenn ich an den nachzuholenden Stoff der vergangen Woche denke, dann sinkt meine Laune noch etwas. Allerdings vergesse ich das sofort wieder, als Sam wach wird und lächelt.
„Das hat gefehlt. Ich habe letzte Woche so schlecht geschlafen." murmelt er verschlafen und kuschelt sich an mich. Sein Bein liegt über meine Hüfte und seine Hand streicht mir leicht über den Oberkörper.
„Hmm. Schließe mich ganz an." meine ich müde und genieße die Wärme, die von ihm aus geht.

Leider vergeht der Sonntag viel zu schnell, auch wenn wir absolut nichts machen. Das ist der erste Tag, den ich nicht durch die Gegend renne und mich tatsächlich ausruhe. Nur mit Sam auf dem Sofa kuscheln und Filme gucken. So hat sich der Arzt, das sicher vorgestellt, als er meinte ich müsste mich ausruhen. Ich kann doch auch nichts dafür, dass man sich im Krankenhaus nicht so erholen kann. Zu Hause geht es einfach viel besser.

Müde stehe ich am Morgen im Bus zur Schule. Wo sind die Manieren der Kinder bloß geblieben. Älteren den Platz anbieten, kennen sie wohl nicht. Dazu bin ich auch noch verletzt. Unmöglich. Leider gesellt sich Eva zu mir.

„Wo warst du letzte Woche?" fragt sich mich nach wenigen Minuten.
„Krank." brumme ich kurz und konzentriere mich lieber auf die vorbeiziehende Stadt.
„Was hattest du?" fragt sie jedoch direkt weiter. Nach Colton's Warnung will ich ihr nicht mehr als nötig erzählen.
„Mir ging es beschissen. Reicht das nicht?" antworte ich knurrig.

Während der Bus hält und mehr Menschen einsteigen und wie jeden Morgen der Bus anfängt aus allen Nähten zu platzen, rempelt mich einer der kleineren Schüler mit seinem Ellbogen an. Genau auf meine Wunde. Kurz schließe ich die Augen und halte für eine Sekunde die Luft an, um den Schmerz zu verarbeiten. Ehe ich ihn anfahre, ob er nicht aufpassen kann. Mit großen Augen werde ich angestarrt. Von dem Jungen und von Eva.
„Dir geht's wohl immer noch nicht gut?" möchte sie wissen.
„Mir geht es gut. Aber es ist Montag." erkläre ich ihr und ignoriere sie für die restliche Fahrt.

Strahlend wartet Eric auf mich, als ich von der Haltestelle zur Schule laufe. Mit einem breiten Grinsen legt er mir seinen Arm um die Schultern und klopft mir auf die Seite. Die falsche Seite.
„Nimm deine Hand weg oder du hast sie nicht mehr." schnauze ich ihn leise an, noch bevor er etwas sagen kann. Anschließend atme ich tief durch, damit der Schmerz nachlässt. Erschrocken weicht er zurück und schaut mich an.

Um keinen meiner Freunde zu beängstigen, habe ich ihnen nicht gesagt, dass ich beinahe abgestochen wurde. Sie sollten sich nicht Sorgen machen oder auf die Idee kommen, durch das halbe Land zu fahren, nur um mich zu besuchen.

„Alles okay?" fragt Eric auch sofort.
„Ja, wenn du das nicht mehr machst. Du hast nämlich genau die Operationswunde getroffen." erkläre ich ihm ruhig und warte mit ihm in einer ruhigen Ecke vor der Schule auf die anderen.
„Operationswunde? Ich dachte du warst krank?" verwundert schaut er mich an.
„Ich wollte nicht, dass ihr euch Sorgen macht. Reicht, dass Mom und Sam sich Sorgen für zehn gemacht haben." beginne ich und sein Blick wird immer schlimmer. Unauffällig ziehe ich etwas den Pulli hoch und zeige ihm, wo er gerade drauf gehauen hat.
„Verdammt, was ist passiert? Die ist ja riesig." Hannah steht plötzlich neben mir und schaut darauf. Ihre Reaktion entspricht in etwa der von Eric.
„Also warst du nicht krank?" fragt mein bester Kumpel.
„Doch auch. Hatte eine Infektion und deswegen jetzt eine Niere weniger." erkläre ich kurz und äußerst unpräzise. Ich weiß.
„Und woher hattest du die Infektion?" möchte Hannah weiter wissen und schaut mich eindringlich an.
„Von einem Messer, das mir in den Bauch gerammt wurde." erzähle ich weiter und sofort starren mich drei ungläubige Augenpaare an. Rory steht mittlerweile auch neben mir und hat bereits einen Teil mit angehört.

Ab dem Teil warten wir noch auf die anderen, ehe ich es doppelt erzähle, wie es dazu gekommen ist.

Die heftigste Reaktion kommt von Hannah, die doch wirklich sauer auf mich ist, weil ich es ihr nicht gleich gesagt habe. Dafür nehme ich sie einfach in den Arm und halte sie eine Weile fest, bis sie nicht mehr schmollt.
„Wir können dich wohl gar nicht mehr allein lassen. Erst fängst du an, dich zu prügeln und jetzt wirst du fast abgestochen." meint Rory leicht amüsiert, wofür er jedoch einen sehr bösen Blick von Hannah bekommt.
„Aber solltest du nicht lieber zu Hause sein? Das braucht doch Zeit zu heilen." gibt Colton besorgt seinen Beitrag ab. Wahrscheinlich hat er da sogar Recht, aber ich kann nicht.
„Erinnerst du dich, als ich mir das Bein gebrochen hatte? Jetzt ist es noch schlimmer." erkläre ich ihm, als er leicht nickt. Ich konnte damals schon nicht ruhig sitzen. Er rollt nur etwas mit den Augen, ehe er mir den Arm um die Schultern legt und neben mir in die Schule schlendert.

„Lass das nur nicht Zach mitbekommen, sonst hast du öfter Ellenbogen und sontiges in der Seite als dir lieb ist." raunt er mir noch leise warnend ins Ohr.
„Das hatte ich nicht vor. Es weiß auch keiner außer euch davon. Für alle anderen war ich einfach krank." berichte ich mit einem schwach eindringlichem Ton. Er stimmt mir zu und meint das würde ja auch keinen angehen. Unterschwellig wollte ich ihm damit nur zu verstehen geben, dass ich so ganz schnell raus bekomme, wer es Zach gesteckt haben könnte, wenn es so weit kommt.

Achja. Der Coach. Dem muss ich es auch erzählen, weil mich seine Blicke gerade töten könnten, als ich ihm meine Krankschreibung gebe.
„Brooks, willst du mich verarschen? Mehrer Wochen? Ich hoffe, das ist ein Tippfehler." mault er direkt los. Er hasst es wenn jemand aus dem Team krank wird und ausfällt. Besonders, wenn er länger ausfällt. Schließlich will er Leistung sehen und das auch bewerten, was er schlecht kann, wenn man zum Bankwärmer mutiert. Kommentarlos ziehe ich daher etwas das Oberteil hoch, ohne das es jemand mitbekommt.
„Verdammt. Ich bete für dich, dass es nicht eigene Dummheit war, sonst tue ich dir wenigstes genauso weh." knurrt er sauer. Ich richte meine Kleidung wieder und beginne zu erklären.
„Wenn Sie eine Messerattacke von Fremden für eigene Dummheit halten, dann ja." schief grinse ich ihn frech an.
„Ich hoffe, dir ist nicht ernsthaft was passiert." sofort wird er ruhiger.
„Naja, habe jetzt eine Niere weniger. Ansonsten ist nichts weiter." scherze ich. Er seufzt nur.
„Du nimmst auch echt alles mit. Jetzt verschwinde und ruh dich vernünftig aus, damit du nicht noch eine Krankschreibung anschleppst, wenn diese hier dich wieder für einsatzbereit hält." Ich nicke, als er das sagt und mache mich auf den Weg.

„Ach, Jamie?" Der Coach pfeift mich noch einmal ran, als ich die Schwimmhalle fast verlassen habe. Ich gehe wieder zu ihm.
„Wurden die Schweine wenigstens geschnappt?" Ich nicke wieder. Bevor mir einfällt, um was ich ihn beten möchte.
„Könnten Sie den anderen vielleicht nichts genaues sagen? Ich will nicht das irgendwer falsches Mitleid hat." Er runzelt zwar die Stirn, doch er nickt. Dann verabschiede ich mich und verlasse die Halle. Wie gern ich mit schwimmen würde. Das Bedürfnis wird etwas sträker, als ich das Lachen meiner Freunde höre, die über den Seiteneingang die Halle betreten und auf den Beginn des Trainings warten.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt