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• J A M I E •

Sam hat mir gestern noch erzählt, was ihm in der Bibliothek aufgefallen ist und das er mit Eric gesprochen hat. Daher ist heute meine Laune etwas getrübt, nicht ganz so ausgelassen wie die Tage. Ich habe etwas Angst was heute passiert.

Noch bevor ich das Schulgebäude betreten kann, hupt es kurz über den ganzen Vorplatz. Wie fast alle anderen Anwesenden drehe ich mich um. Eric hat gehupt und deutet mit dem Finger auf mich. Also trotte ich zu ihm. Umständlich hangelt er sich währenddessen durch das halbe Auto und öffnet bereits die Beifahrertür. Ich soll wohl einsteigen. Leise seufze ich und komme dem nach.
„Was gibt's?" frage ich, als ich sitze.
„Einiges." ist die knappe Antwort, bevor er los fährt. Als ich einen kurzen Blick aus dem Fenster werfe, sehe ich die verwunderten Blicke der anderen. Sie wissen also auch nicht was Eric hat. Obwohl ich es mir ja fast denken kann. Es wird um gestern gehen.

„Eric.."
„Jamie..." fangen wir unisono an und starren danach kurz unbeholfen.
„Du zu erst." bitte ich ihn, bevor er mir zuvor kommen kann. Ich will nicht anfangen. Ich weiß doch gar nicht was ich sagen soll. Er seufzt während er etwas abseits auf dem Parkplatz eines Supermarktes stehen bleibt. In seinem Sitz dreht er sich zu mir und schaut mich an. Ich kann seinen Blick überhaupt nicht deuten. Wieder seufzt er leise.
„Bist du schwul?" fragt er gerade heraus. Und bevor ich darüber nachgedacht habe, antworte ich mit einem deutlichen ja. Etwas ausdruckslos schaue ich ihn an. Ich will nicht aussehen, als wäre ich über meine eigene Reaktion überrascht. Doch eigentlich bin ich es. Das ist aus mir rausgeplatzt, wie sonst was. Oh Mann.
„Warum sagst du mir das nicht?" fragt er weiter. Nun drehe auch ich mich in dem Sitz zu ihm.

Ist das jetzt sein Ernst? Er meint jetzt wirklich er wüsste das nicht?

Dementsprechend ziehe ich nur eine Augenbraue hoch.
„Wir sind beste Freunde. Vertraust du mir nicht?" fragt er schließlich. Er wirkt dabei traurig. Jetzt wird das ganze Gespräch kompliziert.
„Doch, aber ich wollte dich nicht damit belasten, es den anderen gegenüber nicht zu erwähnen." Ich versuche ihm nicht direkt zu sagen, dass er sich öfter mal verquatscht.
„Wieso wolltest du es überhaupt geheim halten? Ich verstehe es nicht." meint Eric und fährt sich mit der Hand durch die Haare. Der macht mich fertig. Er kennt doch die anderen.
„Nimm's mir nicht übel, aber das ist immer noch meine Entscheidung." brumme ich etwas genervt.
„Du hattest so viele Möglichkeiten es uns zu sagen." wirft er mir doch wirklich vor. Er scheint mich nicht ansatzweise zu verstehen.
„Wann? Als ihr gefragt habt, was ich mir reinziehe? Hätte ich antworten soll, ach nur den Schwanz von meinem Freund? Das wäre doch ganz toll gewesen." fauche ich ihn an.

Ich kann nicht länger da sitzen. Ich muss hier raus. Hektisch schnalle ich mich ab und steige aus. Meine Nerven sind zu angespannt. Mir kommt es sehr gelegen, dass wir auf dem Parkplatz eines Supermarkts stehen. Ich brauche Schokolade. Und eigentlich eine Umarmung.

Als ich mit der Schokolade wieder raus komme, lehnt Eric an seinem Auto und scheint auf mich zu warten. Ich versuche ihn zu ignorieren und laufe einfach an ihm vorbei.
„Jamie. Warte. Ich will es verstehen." eilig läuft er mir nach und zwingt mich schließlich stehen zu bleiben. Genervt schaue ich ihn nur an.
„Bitte erklär es mir." fordert er, wobei er mich langsam zurück zu seinem Auto schiebt.
„Ich weiß einfach zu gut, wie ihr reagiert hättet." brumme ich und sitze schon wieder auf dem Beifahrersitz. Na klasse.
„Ich hab es den anderen nicht gesagt. Ich wollte erst mit dir reden." gesteht mir Eric. Es hat mich schon gewundert gehabt, dass die Jungs nicht sofort geschrieben haben und mich dazu befragt haben.
„Jamie, bitte. Ich will es doch verstehen." bettelt er förmlich. Seufzend fahre ich mir über das Gesicht.
„Wenn ich es euch gesagt hätte, dann hättet ihr mich ausgelacht und gemeint ich solle keinen Blödsinn erzählen. Ihr hättet es nicht ernst genommen." brumme ich und esse schnell noch ein Stück von der Schokolade um meine Nerven ruhig zu halten. Er antwortet nichts, sondern kaut auf seinem Finger und denkt womöglich.
„Ich hab es mehr als nur einmal angedeutet und jedes Mal habt ihr so reagiert." berichte ich weiter. Skeptisch ziehen sich seine Augenbrauen zusammen und er schaut zu mir.

Das ist doch jetzt nicht sein Ernst. Wo hat er sein Gehirn gelassen? Ist ihm das beim Vögeln abhanden gekommen? Ist es in Alkohol ertränkt?

„Siehst du. Du bekommst es nicht einmal mit." Ich bin enttäuscht. Sehr. 12 Jahre Freundschaft und ich weiß nicht wofür. Besser gesagt warum. Resigniert schüttle ich nur den Kopf.
„Meinst du bei McDonald's? Wo du damals die Schrammen hattest?" Mit geweiteten Augen schaut er mich plötzlich an. Wow. Er kann sich ja doch erinnern.
„Weißt du wie nah dran ich war, euch das den Tag einfach an den Kopf zu klatschen? Wie sauer ich auf euch war?"
„Wie angefressen du warst, haben wir ja zu spüren bekommen."beichtet mir Eric. Na schön, wenigstens das haben sie mitbekommen. Ist ja fast nicht zu glauben.
„Ihr hätte es wenigstens für möglich halten können." brumme ich weiter. Mich wundert jedoch, dass wir hier nur diskutieren, weil ich es nicht gesagt habe. Aber das ist mir irgendwie sogar ganz recht. Ich will nicht schon wieder über mein Leben philosophieren, weswegen das nun so ist oder wie ich das gemerkt habe.
„Aber du hattest doch...?" fängt er an. Himmel. Nicht sein Ernst.
„Nein, hatte ich nicht." fahre ich ihn sofort dazwischen und er bekommt doch wirklich große Augen. Hat er in den Jahren gar nichts mitbekommen?
„Was glaubst du denn wie viele Freundinnen ich hatte? Richtig, nicht eine. Eric, ganz ehrlich, ich habe nur Gina geküsst und das will ich wirklich nicht wiederholen." erkläre ich knurrend. Er scheint gerade aus allen Wolken zu fallen.
„Aber Hannah?" fragt er weiter und ich möchte mir augenblicklich weh tun.
„Hannah weiß, dass ich schwul bin."
„Aber wieso erzählst du es ihr und uns nicht?" Jetzt geht das schon wieder los. Wie im Kindergarten.
„Willst du jetzt wirklich darüber streiten? Außerdem musste ich ihr das nicht erzählen, dass hat sie ganz allein rausbekommen und sie musste mir dafür nicht nachspionieren." seufze ich.

Meine Hand geht ganz von allein zu dem Türgriff. Ich kann das hier nicht mehr. Das nimmt ein Niveau an, dass mir zu blöd wird. Ich ertrage das nicht.

„Du weißt davon?" fragt er kleinlaut und schaut mich mit einem Blick an, der einem kleinem Kind gerecht wird, das etwas Unrechtes getan hat.
„Natürlich. Wir reden immerhin mit einander. Was dachtest du denn? Das wir nur vögeln, wie in den ekelhaften Videos, die sich Rory und Zach immer schicken?" maule ich los. Das ganze Gespräch ist für meinen Blutdruck absolut nicht förderlich. Der ist auf so einem gefährlichen Level, so schlimm war es selten. Dazu liegen meine Nerven blank und mittlerweile hilft da nicht einmal mehr eine Umarmung. Ich brauche Sam, der liebevoll und fürsorglich auf mich einredet und mich wieder aufbaut. Aus diesem Grund steige ich zum zweiten Mal aus.

Ich laufe los. Richtung nach Hause. Sam ist ja leider in der Uni. Aber Mama ist zu Hause und hört sich das bestimmt an. Als ich Eric hinter mir rufen höre, drehe ich mich nicht um. Ich will es einfach nicht. Ich kann es auch gar nicht. Ich fange echt an, an unserer Freundschaft zu zweifeln. Er versteht mich ja nicht ansatzweise. Und wenn er es schon nicht tut, dann weiß ich, dass es die anderen noch weniger machen.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt