41

506 25 1
                                    


• J A M I E •

Mit Debra habe ich verhandelt, dass ich mit den Rauchern immer nach draußen gehen darf, sodass keine der Schwestern gehen muss. Und ich bekomme Bewegung.

Relativ viel bin ich mit Thomas draußen. Er ist ein älterer Mann, der für sein Alter noch ganz gut aussieht, der viel zu erzählen hat und meine ungeteilte Aufmerksamkeit genießt.

Er lächelt mich bereits an, als ich in das Krankenzimmer komme. Ich stelle den Rollstuhl neben sein Bett und helfe ihm ein kleines bisschen sich da rein zu setzen. Thomas ist einfach nicht mehr so gut zu Fuß. Er meinte, dass käme davon wenn man mit 70 nicht einsehen will, dass man für Ski zu alt ist. und Debra meint, wenn er sich mehr bewegen würde, dann könnte es auch besser gehen.

Gerade als ich mit ihm los will, taucht der Arzt auf.
„Ach hier bist du. Ich dachte, du versteckst dich vor mir." lacht er auf und schaut mich an. Ich schüttle nur leicht den Kopf.
„Ich will mir deine Wunde anschauen." erklärt der Arzt weiter. Ich nicke und ziehe das T-Shirt hoch, damit er sich alles ansehen kann. Im Augenwinkel bekomme ich mit, dass Thomas seltsam guckt.
„Ich dachte du bist der neue Pfleger." murmelt er dann nachdenklich. Das liegt bestimmt an der Hose. Der Arzt zieht eine Augenbraue hoch und mustert mich. Lange. Zu lange.
„Ist das ein Fitnessarmband?" fragt er nur und deutet auf mein Handgelenk. Oh oh. Langsam nicke ich.
„Dann zeig mir deine Daten." fordert der Arzt weiter. Mist. So wie er sich verhält, denke ich, dass er nichts von meinen Deal mir Debra weiß. Trotzdem ziehe ich mein Handy aus der Tasche und halte es ihm hin.
„2km? Du sollst dich ausruhen und nicht durch die Gegend rennen." mahnt mich der Arzt direkt.
„Ich ruhe mich aus." sage ich lediglich und fordere mein Handy zurück, damit ich ihm die Monatsübersicht zeigen kann. Verglichen zu meinem üblichen Pensum, ruhe ich mich aus.
„Ich mach auch wie alle anderen Mittagsruhe, aber still sitzen geht nicht. Dann werde ich genauso unausstehlich wie mit diesem Schmerzmittel." versuche ich ihm zu erklären. Seine Augen verengen sich trotzdem zu Schlitzen.
„Abmarsch." brummt er nur. Schnell schnappe ich mir Thomas und schiebe ihn in seinem Rollstuhl auf den Flur. Ich spüre deutlich, wie sich der Blick des Arztes in meinen Rücken bohrt.

„Was machst du dann sonst im Leben, wenn du nicht den Pfleger spielst?" fragt mich Thomas, als wir draußen auf dem Balkon für die Raucher ankommen.
„Mache gerade mein Abi." erzähle ich ihm. Irritiert schaut er mich an.
„Wie alt bist du?" fragt er weiter. Klar, wahrscheinlich sehe ich durch den Drei-Tage-Bart, den ich hier bekomme, noch älter aus.
„Nur 17." grinse ich zu ihm und setze mich auf den einzigen Stuhl, den es hier gibt. So wie ich es gewöhnt bin, werde ich wieder angeschaut.
„Dann rennen dir sicherlich die ganzen Mädchen hinterher." kommentiert er weiter. Doch ich lache nur leise auf.
„Nicht mehr seit ich mich geoutet habe." erkläre ich grinsend. Leise pfeift Thomas.

Und dann scheint er in Erinnerungen zu schwelgen.
„Ich hatte auch mal was mit einem anderen Kerl. Ach. Leider waren die Zeiten damals nicht so." seufzt er. Erstaunt schaue ich ihn an.
„Wann war das?"
„Mitte der 70er. Damals war ich Mitte 20 und jung und dynamisch. Das waren noch Zeiten." Thomas scheint richtig abzudriften und ich höre ihm einfach zu.
„Mit Albert war es total aufregend und spannend. Es hat bei unserer ersten Begegnung sofort geknistert. Die Gefahr, entdeckt zu werden, verlieh dem ganzen einen besonderen Reiz. Ich habe mich nie besser gefühlt, als mit ihm."
„Warum hat es nicht funktioniert?" frage ich nach, als er mit einem kurzen Bericht fertig zu sein scheint.
„Es war einfach nicht die Zeit dafür. Wäre ich jetzt in deinem Alter. Ich glaube, da würde ich vieles anders machen als damals. Außerdem waren seine Eltern sehr konservativ. Und schließlich heiratete er eine Frau, die er nicht liebte und noch weniger leiden konnte." erzählt er weiter und zieht ordentlich an seiner Zigarette.
„Habt ihr euch danach noch gesehen?" Ich finde es total spannend davon zu erfahren und möchte gern mehr wissen.
„Wir haben uns am Anfang immer Briefe geschrieben. Aber mit der Zeit wurde es weniger und irgendwann hat er seine Sachen geschnappt und ist ins Ausland, weil er das mit dieser Frau nicht mehr ausgehalten hat. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört." leise seufzt Thomas und scheint darüber sichtlich bedrückt zu sein. Ich merke ihm an, dass er diesen Albert wirklich mochte und dass er ihm sehr wichtig ist, trotz der langen Zeit.
„Das tut mir sehr leid." antworte ich ehrlich. Ich wüsste nicht wie es mir gehen würde, wenn mir so etwas passiert.
„Das ist fast 40 Jahre her. Dir muss nichts leid tun. Lass uns lieber über was anderes reden. Die Stimmung ist irgendwie so betrübt." lacht Thomas schließlich und schaut mich an. Ich warte ab, was er für ein Thema anschlägt. Mir fällt nämlich gerade überhaupt nichts ein.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt