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• J A M I E •

Als ich wieder zu mir komme, ist mir unglaublich kalt. Und mir tut immer noch die Seite weh, aber irgendwie fühle ich mich auch total benebelt. Doch als ich Mom's Lächeln sehe, wird mir wärmer.
„Na mein Schatz, hast dich wohl mit den falschen Leuten angelegt." lacht sie auf und setzt sie auf die Bettkante. Über ihren Witz muss ich schwach lachen, was mir sofort vergeht, weil das weh tut.
„Das solltest du lassen, aber du kannst dich vorsichtig auf die Seite drehen. Mehr ist nicht dran. Hörst du." sie kann es nicht lassen. Ihr Job ist ihr Leben. Die Krankenschwester kann sie nicht verstecken.

Während sie wieder aufsteht, schaue ich mich in den Zimmer um. Es ist kahl, weiße Wände. Ein paar Blumen auf dem kleinen Tisch unter dem alten Fernseher. Kein anderer Patient. Nichts was irgendwie Trost spendet.

„Ich lass mal Sam rein, der hat sich so viele Sorgen um dich gemacht." erklärt sie mir und öffnet die Tür. Langsam tritt er ein. Sofort sehe ich ihm an, wie sehr er sich Sorgen gemacht hat. Seine Augen sind rot und verquollen. Seine Haut blass. Doch ich lächle ihn an. Etwas unbeholfen, bleibt er neben dem Bett stehen. Ich rutsche etwas und halte die Arme auf. Ich will mich gerade nur noch an ihn kuscheln und einschlafen. Dabei kann er mich dann gleich noch wärmen. Er schaut jedoch erst Mom an, als würde er um Erlaubnis bitten. Sie nickt aufmunternd und er klettert zu mir ins Bett. Ich drehe mich auf die Seite, damit ich ihn anschauen kann und halte weiter die Arme auf. Er liegt eindeutig noch zu weit weg.
„Komm her. Du kannst mich wärmen." murmle ich und ziehe ihn das letzte Stück bis zu mir. Seine Stirn lehnt er an meine Brust und legt mir ganz vorsichtig den Arm um.
„Dir ist kalt?" höre ich Mom fragen, als ich wieder die Augen schließe. Sam scheint direkt eingeschlafen zu sein. Sein ruhiger, gleichmäßiger Atem ist deutlich zu spüren. Bestimmt ist er von der ganzen Warterei total erschöpft.
„Verflucht kalt." meine ich und bemerke wie ich wieder weg dämmere. Ich halte ihr noch eine Hand hin, damit sie diese festhalten kann und schlafe ein.

Etwas wacher werde ich, als ich ein Piken in meiner Hand spüre. Leicht öffne ich die Augen und sehe wie Mom den Zugang neu legt. Wie er vorher war, hat ihr wohl nicht gepasst. Dazu sage ich einfach nichts.
„Du hast wirklich Eisfinger." murmelt sie.

Dass sie verschwunden war, habe ich nicht mitbekommen, aber neben ihr steht jetzt eine Frau, die etwa ihr Alter hat, als ich die Augen das nächste Mal öffne. Diese berührt leicht meine Finger und anschließend meine Stirn.
„Du hast recht. Mist. Und vorhin hatte er Fieber. Irgendwas stimmt doch da nicht." meint die Frau, die ich nicht kenne. Bestätigend nickt Mama.

Als ich wieder die Augen öffne, hebt Mom sehr vorsichtig Sam, der immer noch schläft, aus dem Bett und legt ihn auf das unbenutzte Bett im Raum. Sie setzt sich daneben und lässt ihn den Kopf in ihren Schoß legen. Ich höre eine Männerstimme und warme Finger berühren mich leicht und schieben das Krankenhauskleid etwas zur Seite, sodass höchstwahrscheinlich meine Wunde offen liegt. Was gesagt wird, verstehe ich nicht, dafür bin ich bei weitem nicht wach genug, aber ich sehe Mama's besorgten Ausdruck. Was das jedoch heißt, kann ich mir nicht mehr zusammen reimen, da mein Verstand wieder abdriftet.

Als ich wieder zu Besinnung komme, ist mir deutlich wärmer als vorher. Das ist viel besser. Mein Körper fühlt sich zwar an, als hätte ich irgendwelche Drogen genommen, aber das ist egal, weil das ein wunderbar freies Gefühl ist. Als wäre mir alles egal. Und ich habe keine Schmerzen mehr. Langsam öffne ich meine Augen. Das ist nicht mehr das Zimmer von vorhin. Hier ist alles offener. Die Betten sind nur noch mit Vorhängen und dünnen Stellwänden von einander getrennt. Viel Personal wuselt hier durch die Gegend.

Sam sitzt zusammengekauert auf einem Stuhl, dabei scheint er zu schlafen und hält meine Hand fest. Mom belegt einen zweiten Stuhl und liest in einer Zeitung.
Mein Hals ist kratzig, als ich anfange zu sprechen.
„Ist das die VIP Behandlung?" krächzte ich etwas. Ein schiefes Grinsen müsste ich auch noch hinbekommen. Mama nimmt einfach ihre Zeitung und verpasst mir damit einen leichten Schlag gegen mein Bein. Doch sie lächelt. Sam setzt sich auf und schaut mich etwas besorgt ab.
„So kann man es nennen." meint Mama noch.
„Muss man dafür was besonderes tun? Sterben oder so?" grinse ich frech vor mich hin. Was auch immer mir für Zeug verabreicht wurde, das finde ich gut. Während ich das sage, kommt die Frau dazu, an die ich mich sehr vage erinnern kann.
„Das ist nicht lustig." schnauzt Sam mich leise an. Er sieht wirklich besorgt aus. Ich begreife jedoch nicht weswegen.
„Eine Niere weniger, aber immer noch mit Humor. Das ist doch schon mal was." lacht die Krankenschwester auf. Mom steht auf und geht mit der Krankenschwester den Flur lang.

Sam schaut mich in der Zeit böse an.
„Habe ich irgendwas gesagt? Im Einfluss von Drogen?" frage ich vorsichtig, auch wenn ich nur begrenzt klar denken kann. Wahrscheinlich habe ich deswegen noch nicht darüber nachgedacht, was die Schwester meinte.
„Nein, hast du nicht. Aber du bist fast drauf gegangen. Mach das ja nicht noch einmal." schimpft er leise, während er aufsteht. Knackende Geräusche gibt dabei sein Rücken von sich.
„Aber ich bin's nicht. Das könnte ich dir doch nie antun." schwafle ich irgendwie vor mich hin. Süß finde ich es trotzdem.
„Hast du Glück, dass du dich damit gerade gerettet hast. Jetzt rutsch rüber." brummt er immer noch leicht angefressen. Sofort mache ich ihm Platz und drehe mich sehr umständlich und langsam auf die Seite, so wie ich es vorhin getan habe. Sam zieht die Schuhe aus und kuschelt sich genauso an mich wie vor einer Weile. Das fanden wir wohl beide sehr bequem.
„Ihh. Deine Stinkefüße in meinem Bett." kichere ich. Irgendetwas stimmt mit mir nicht, dass ich so viel Mist von mir gebe.
„Was auch immer für Zeug in dich gepumpt wird, ich will auch was davon oder du musst weniger kriegen. Du bist unerträglich." brummt er leise gegen meine Brust. Als Antwort hauche ich ihm einen Kuss auf die Haare. Leise seufzt er und beginnt ruhig zu atmen.

So kann ich ja nur ganz schnell wieder gesund werden. Wenn er immer bei mir ist und mit mir kuschelt. Das ist bestimmt sehr gut. Bestimmt weiß Mama das.

Während ich so daliege und Sam leicht den Rücken kraule, lasse ich mir die Worte der Krankenschwester durch den Kopf gehen.

Eine Niere weniger ...

Das sollte ja heißen, dass ich nur noch eine Niere habe. Ist das jetzt schlimm? Muss ich jetzt was beachten? Brauche ich eine neue? Eine zweite?
Die ganzen Fragen geistern durch meinen Kopf, doch ich kann nicht denken. Dieses Medikament oder was auch immer, lässt mich nur an Blödsinn denken. Nicht an das was ich gerade klären will. Ich brauche weniger davon.

Zum Glück kommt Mama mit der Schwester wieder. Dabei habe ich das Gefühl, als wären sie alte Freundinnen.
„Mama?" frage ich leise, damit ich ihre Aufmerksamkeit bekomme. Sofort schaut sie mich an.
„Mach das Zeug weg." sage ich ihr und wackle mit der Hand, in der der Zugang liegt.
„Das sind Schmerzmittel. Sonst fühlst du dich beschissener." erklärt mir die Schwester ruhig.
„Lieber das, als im Kopf eines Schwachmaten." murre ich genervt. Das Zeug schlägt wahnsinnig auf die Stimmung. Ist ja ekelhaft. Ich will gar nicht wissen, was passiert, wenn mich das Bedürfnis überkommt Sam zu vernaschen. Dann kann ich mich bestimmt gar nicht mehr bremsen und das kann ich so ja schon schlecht.
Sie lacht nur und sagt, sie würde einen Arzt holen, damit der das entscheiden kann.

Und das dauert. So lange, dass ich anfange frustriert zu werden, weil das Zeug immer noch durch meine Blutbahn läuft. Und je länger das der Fall ist, desto weniger scheine ich die Kontrolle über mich zu haben.
Als der Arzt endlich da ist, platze ich fast.
„Soll ich nächstes Mal drauf gehen, damit Sie schneller kommen?" frage ich total angefressen. Und ärgere mich im nächsten Moment über mich selbst, weil ich das nicht sagen wollte. Knurrend beiße ich auf die Lippe.
„Debra meint du willst die Schmerzmittel los werden. Jetzt schon?" fragt er etwas ungläubig.
„Nein, überhaupt nicht. Ich wollte noch mehr von dem Zeug, durch das ich jedem Vollidioten Konkurrenz mache. Ich wollte schon immer ein Arschloch sein." wieder so ein bissiges Kommentar, das ich überhaupt nicht sagen wollte. Frustriert brumme ich und vergrabe den Kopf bei Sam, der immer noch schläft. Ich hasse es so etwas zu sagen. Der Arzt lacht nur.
„Das ist leider das Problem mit diesem Mittel. Das schlägt immer sehr aufs Gemüt."
„Wenn es weiter nichts ist. Immer her damit." knurre ich weiter, ohne auf zu sehen. Ich hasse es.
„Wir haben aber keine Alternative." erklärt der Arzt.
„Dann ersparen Sie uns allen diesen Scheiß und hören Sie auf das Zeug in mich rein zu pumpen." jammere ich und schaue ihn leidend an.
„Aber wenn die Schmerzen stärker werden, dann sag Bescheid, dann musst du mit dem Zeug wieder leben." erklärt er weiter. Mama bestätigt ihn, dass ich das auf jeden Fall machen werde. Innerlich denke ich mir, dass er doch zu Hölle fahren soll. Ich werde den Teufel tun und keinen Ton sagen. Lieber ein paar Schmerzen, aber dafür ein klarer Verstand.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt