- 54 - risiko

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Heute war der Tag unseres Abschlusses. Der Tag, an dem wir endlich in das echte Leben entlassen wurden. Wir hatten alle einen Studiums Platz bekommen, weshalb dem Erwachsenwerden somit nichts mehr im Wege stand. Auch, wenn wir durch die Ferien noch für einige Wochen Kind sein durften.

Fast eine Woche war seit dem Kuss zwischen Miles und mir vergangen, doch wir hatten uns seitdem nicht mehr gesehen. Miles hatte mir auf dem Rückweg versprochen, er würde mehr Zeit zu Hause mit seiner Familie verbringen. Vor allem, um die Situation zu regeln und damit klarzukommen.

In diesen paar Tagen, in denen ich mich gewissermaßen zurückgezogen und den Kontakt mit allen vermieden hatte, dachte ich viel über die vergangenen Wochen und deren Geschehnisse nach.

Ich bereute es nicht Miles geküsst zu haben, ganz im Gegenteil, ich würde ihn jederzeit wieder küssen, aber ich bereute es so egoistisch gehandelt zu haben. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, was ich Miles damit antat, gerade, weil ich mir über meine Gefühle ihm gegenüber nicht ganz klar war.

Dieser Kuss hatte nicht nur etwas zwischen uns verändert, sondern auch in mir. Ich hätte Miles niemals zurückgeküsst, geschweige denn so ein Herzklopfen gehabt, wenn ich nicht irgendwelche Gefühle für ihn hätte. Und diese Erkenntnis gab mir Hoffnung. Hoffnung darauf, dass ich ihn nicht verletzten musste und dass Kat wahrscheinlich doch recht gehabt hatte. Miles und ich empfunden etwas für einander. Etwas, das weit über Freundschaft herausging.

Und als ich zu diesem Entschluss gekommen war, war es unglaublich schwer so lange darauf zu warten, ihn wiederzusehen. Doch ich wusste ebenso, dass ich nicht zu schnell oder unüberlegt handeln sollte. Wir gingen damit ein großes Risiko ein und es stand noch nicht fest, ob das wirklich die richtige Entscheidung war.

Meinem Herz war das alles jedoch komplett egal, es hatte seine Entscheidung schon längst getroffen. Mein Herz wollte Miles. Und es spielte umso verrückter, desto näher wir dem Tag des Abschlusses kamen. Desto näher die Chance kam, seine Lippen wieder auf meinen zu spüren.

"Schatz?", fragte meine Mutter und trat hinter meiner Zimmertür hervor. Meine Eltern liefen schon den ganzen Morgen mit einem Lächeln im Gesicht herum und sagten mir, so oft sie konnten, dass sie stolz auf mich waren.

Ich warf einen letzten zufriedenen Blick auf mein Spiegelbild, ehe ich mich zu ihr umdrehte. Ich trug ein langes, bordeauxrotes Kleid, das mit Spitze überzogen war und einen tiefen Rückenausschnitt hatte, meine kurzen braunen Haare waren hochgesteckt und ich hatte meinem Gesicht ein leichtes, zum Kleid passendes Make-up verpasst.

Meine Mutter lief auf mich zu, um mich in ihre Arme zu schließen, während ihre Augen glasig wurden. "Du siehst wunderschön aus", murmelte sie und löste sich von mir, um mich erneut von oben bis unten zu mustern. Ein Lächeln machte sich auf meinen Lippen breit, doch ich spürte, wie mir ebenfalls die Tränen in die Augen stiegen.

"Danke, Mom", erwiderte ich und nahm ihr Outfit ebenfalls kurz unter die Lupe. Sie trug ein dunkelblaues, knielanges Kleid, was ihr unglaublich gut stand, und dazu passende hohe Schuhe. Dadurch, dass sie auch eine Hochsteckfrisur hatte, erkannte man nun besonders, wie ähnlich wir uns eigentlich sahen.

Sie drückte mir einen sanften Kuss auf meine Stirn, ehe sie ein paar Schritte zurückmachte. "Bist du bereit?" Sie öffnete die Tür für mich und machte eine Handbewegung, die mir verdeutlichen sollte, nach unten zu gehen.

Lächelnd nickte ich und ich schnappte mir nebenbei meine schwarzen Pumps. "Ja, ich bin bereit", antwortete ich und meinte es dieses Mal sogar vollkommen ernst. Ich war bereit für das echte Leben. Ich war bereit für jede Herausforderung, die auf mich zukommen würde. Denn ich hatte endlich keine Angst mehr davor erwachsen zu werden.

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