Warum muss das Leben kompliziert sein? Wie muss das Leben sein, um es als perfekt anzuerkennen? Muss es schön sein, muss mir darin alles gefallen? Oder muss ich einfach nur überleben, um das wahre Leben zu finden?Also ich meine das wirkliche Leben.
Das Leben, das alle immer als gut oder gar perfekt bezeichnen. Das Leben, für das es sich zu kämpfen lohnt.Muss ich dafür Glück haben oder kommt es gerade dann, wenn ich nicht damit rechne? Oder muss ich mich dafür anstrengen, es zu bekommen?
,,Hey, Mom?!" Ich setze mich trotz des kalten Schnees vor dem Grab meiner Mutter. Shawn hatte mich hier abgesetzt und ist dann nach Hause gefahren. Ich würde den Bus nehmen, um zurück zu kommen. ,,Da bin ich." Aus irgendeinem banalen Grund, warte ich auf Antworten. Auf Antworten, die mir aus ziemlich naheliegenden Gründen nicht gegeben werden können. Trotzdem starre ich nach oben. Ich glaube nicht an Gott. Nicht an eine höhere Macht, die über mich kontrollieren würde. Aber seitdem ich nun kein einziges Elternteil mehr habe, kann ich sie mir nur dort oben vorstellen. Woanders kann ich mir sie nicht vorstellen. Sie müssen einfach dort oben sein und ein Auge auf uns werfen können.
,,Ich habe echt keine Ahnung, ob du mich hören kannst, aber ich denke, du wirst auch so verstehen.", flüstere ich unter Tränen. ,,Weißt du, in Ottawa konnte ich das alles hinter mir lassen. Alles. Dort ist kein Bruder vor meiner Haustür aufgekreuzt, der mich sehen will. Oder keine kranke Mutter, die mich anschreien oder gar schlagen will. Dort war für mich alles besser, verstehst du? Aber ich kann dort nicht zurück."
Sämtliche Gründe gehen mir durch den Kopf.
,,Ich werde Tante, wusstest du das? Und ich besitze hier zwei Häuser, das übriges deinetwegen. Aber vermutlich würde es mich nicht ernsthaft deswegen hier halten. Der eigentliche Grund hier zu bleiben, ist vermutlich Shawn. In Ottawa habe ich nichts vermisst, außer ihn. Er ist der Mensch, der mich aufbaut, immer wieder in die Realität schleppt. Vielleicht philosophiere ich gerade einfach nur herum, aber alles, was ich sage, meine ich komplett ernst. Shawn ist vermutlich der Einzige, der mich zum Leben bringt. Ich bin ein ziemlich pessimistischer Mensch, wie du vielleicht weißt. Shawn aber ist das komplette Gegenteil. Er ist jemand, der mich positiv denken lässt. Manchmal, und ich weiß nicht genau, was mich dazu bewegt, fühle ich mich erst zuhause, wenn er in meiner Nähe ist."
Ich inhaliere die kalte Luft und stoße sie mit aller Kraft wieder aus meiner Lunge.
,,Mom, ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet mir mal sowas passiert, aber ich glaube, dass ich mit ihn mein restliches Leben verbringen möchte. Wir streiten uns zwar ziemlich oft, aber bei ihm habe ich das Gefühl, angekommen zu sein. Das hatte ich noch nie. Bei niemanden. Verstehst du, ich habe das Gefühl, all die Sachen, vor denen ich mich immer gesträubt habe zu tun, erleben zu wollen." Ich mache eine kleine Pause. ,,Mit ihm." Wieder mache ich eine kleine Pause. ,,Weil er mich glücklich macht. Weil er mein Zuhause ist."
Eine Frau, die schon vor fünf Minuten an einem Grab neue Blumen gepflanzt hatte, blickt zu mir auf. Sie sieht mich prüfend an. Mustert mich von oben bis unten, als wüsste sie, wer ich bin. Ich erwidere mit tränenüberströmten Augen ihren Blick. Dann blicke ich wieder auf die Rosen auf dem Grab meiner Mutter.
,,Mom, ich vermisse dich. Es tut mir alles so leid. Dass ich eine miese Tochter war und dass ich dir immer so viele Vorwürfe entgegengebracht habe. Und dass ich nun total gestört an deinem Grab sitze und mit einem Haufen Erde rede, ist einfach nur bescheuert." Ich schluchze auf und blicke auf. Die Frau von eben ist weg. Sie steht nicht mehr vor dem Grab mit den neuen Blumen. Verwirrt blicke ich mich um. In der Nähe der Wasserstelle entdecke ich sie wieder. Die etwas ältere Frau sieht mir direkt in die Augen, während sie immer näher kommt. Als sie ein paar Meter neben mir stehen bleibt, ist ihr Blick mit Tränen verschleiert. Wir sagen beide kein Wort. Ich kenne diese Frau kein Stück, trotzdem sehe ich in ihren Augen eine gewisse Trauer. Ich bin mir sicher, dass sie nicht um ihre Angehörigen trauert. Sie trauert um mich. Um meine Situation.
Und als sie sich direkt neben mir niederlässt und mir behutsam den Rücken beginnt zu streichen, ist es um mich geschehen. Trauer, die ich schon lange unterdrückt hatte, kommt hoch und erschüttert mich. Es ist nicht diese oberflächliche Trauer, die mich die letzten Jahre verschlungen hat. Diese Art von Trauer ist viel schlimmer. Erschütternder. Grausamer. Der reine Wahnsinn. Sie schlägt auf mich ein und obwohl ich schon an Boden liege, tritt sie nochmal zu. Und ich weine. Heftiger als ich je geweint habe.
Ich kenne diese Frau nicht und trotzdem fühle ich ihr Verständnis, als sie mich zu ihr zieht und mir sanft übers Haar streichelt. Sie lässt mich weinen. Und ich tue es. Lange. So lange, bis der Schmerz beinahe ganz zu verschwinden droht. Sie sagt kein einziges Wort. Sie hält mich einfach nur fest und wiegt mich in ihren Armen. Und es stört mich nicht ansatzweise. Es beruhigt mich sogar so sehr, dass ich irgendwann kaum noch Schmerz fühle.
,,Geht es wieder?", fragt die mir unbekannte Frau, als ich von ihr ablasse und mir hektisch über die Augen wische. Ich nicke bestürzt. Sie denkt gar nicht daran, zu gehen oder mich abwertend anzusehen.
Stattdessen streicht sie mir behutsam die Haare hinter die Ohren und flüstert so leise, dass auch wenn hier keiner ist, nur ich es hören kann: ,,Um wen trauerst du, Darling?"Ich schluchze kurz auf.
,,Um meine Eltern."
Sie überlässt mir gar keine Zeit, um Luft zu holen oder auch nur um über jene nachzudenken. Sie lächelt bloß großherzig und fragt dann wieder in normaler Lautstärke: ,,Du redest mit ihnen, stimmt's?"
Wieder nicke ich bestürzt.
Sie mustert mich noch einmal ganz genau. Dann sagt sie einen Satz, den ich nie wieder vergessen werde.Sie sagt: ,,Du bist bloß davon erschöpft, stärker zu tun als du eigentlich sein kannst."
Ich denke, sie hat recht.
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Isso oder?!😌💩Hoffe euch hat das Kapitel gefallen. Freue mich schon auf den nächsten Samstag🙂🙂
To be continued...❤️
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Like to be you [Shawn Mendes FF]
Fanfiction||Fortsetzung von ,,Because I had you"|| Inzwischen ist die Geschichte mit Shawn für Cassie Clarke gestorben. Sie hat mit ihrem alten Leben abgeschlossen, ihre Probleme in Toronto zurückgelassen. Ihr neues Leben in Ottawa unterscheidet sich in viel...