~Kapitel 4~

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Ich will auflegen, doch dann höre ich eine Stimme, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört habe und von der ich als letztes erwartet hatte, sie so schnell wieder zu Ohren zu bekommen.

„Charlie? Bist du es?"

Meine Hände beginnen zu zittern. Mein Körper sinkt auf mein weiches Bett. Meine Beine hätten mein Gewicht nicht mehr lange halten können.

„J- Ja. Ich b- bin e- es", stottere ich vor mich hin. Das Zittern ist deutlich in meiner Stimme zu hören. Genauso wie die Freude. Eine Träne schleicht sich in mein Auge. Wie sehr ich es vermisst habe, diesen Menschen zu hören.

Eine raue Stimme am anderen Ende der Leitung beginnt zu reden: „Ich dachte schon es ist Mum. Du hörst dich so an wie sie." Ich höre mich nicht ansatzweise so an, wie unsere Mutter, doch ich bin von seinem Anruf so hin und weg, dass ich nicht darüber nachdenke.

Er fährt fort: „Du kommst also wirklich hierher... Warum?" Hatte er es mir nicht geglaubt, als ich es ihm geschrieben hatte? Seine Stimme klingt gefühlskalt.

Unsicher umklammere ich das Handy fest in meiner Hand: „In der Schule hieß es, dass wir in Camps gehen, die unsere Eltern für uns aussuchen."

„Schon klar. Dads-. Unsere Mutter wollte, dass du hierher kommst", unterbricht er mich lispelnd.

„Woher weißt du das?", kommt es verwirrt über meine Lippen.

„Das verstehst du nicht. Du bist zu jung." Genau das meine ich. Es ist immer die gleiche Ausrede.

„Liam, hör auf! Ich bin fast siebzehn Jahre alt und verstehe es mit Sicherheit", protestiere ich lautstark. Grundsätzlich will ich mich nicht mit ihm streiten. Nicht am Telefon, wenn wir so lange nichts voneinander gehört haben.

Im Hintergrund auf der anderen Seite der Leitung vernehme ich mehrere Stimmen: „Bennett komm! Wir wollen los!"

Ich höre Liam scharf die Luft einziehen: „Wie läuft es Zuhause? Mit Mum und Dad?"

Froh, dass er nicht anfängt sich mit mir zu streiten, arme ich erleichtert aus: „Alles ist gut. Wie immer."

Aber wie sollte es mit Mum und Dad laufen? Er war lange genug hier, um zu wissen wie es ist mit ihnen zu wohnen. Er weiß, dass beide viel zu stur wären, um sich zu ändern.

Dann fragt er etwas, was ich nicht erwartet hätte: „Charlie, wie geht es dir?"

Nach einer Weile Stille murmele ich ein „Ganz okay" und schließe meine Augen: „Liam?"

„Ja?"

Ich muss mich zurückhalten jetzt nicht vollkommen in Tränen auszubrechen: „Ich vermisse dich." Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe. Nie hätte ich gedacht, dass ich mal sagen müsste, jedoch fühlt es sich befreiend an. Als wäre jetzt alles gesagt.

Er beginnt zu stottern: „W- wir seh- uns. I- ich bin b- bei dir. Okay?"

Ich nicke, auch wenn er es nicht sehen kann.

„Ich hab dich lieb", nuschele ich leise. Nach diesen Worten setzt mein Herz für einen Schlag lang aus. Ich habe es zu ihm sagen können und er hat es gehört. Mir wird schlagartig bewusst, mit wem ich da rede. Der Junge, von dem ich Monatelang nicht ein Wort gehört habe. Mit dem Menschen, den ich am meisten vermisst habe.

„Ich muss jetzt auflegen. Und sag Mum und Dad nicht, dass ich angerufen habe. Ciao."

Ich würde gerne viel länger mit ihm reden.mih, von meinem Leben erzählen. Ihn an all meinen Geschehnissen teilhaben lassen. Es ist als würde er nichts mehr über mich wissen.

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