Die gleiche Frage habe ich mir auch gerade gestellt. Bin ich bereit darein zu gehen? Bin ich bereit meinen falschen Eltern gegenüberzutreten?
Zögerlich sehe ich meinen Bruder an, der mich selbstsicher beobachtet. „Ich bin bei dir. Dir kann nichts passieren. Egal, was die sagen, du wirst mit zu mir kommen. Das verspreche ich dir. Ich rede mit denen. Von mir aus musst du kein Wort mit denen wechseln", sagt er und legt mir seine Hand auf mein Bein. Ich vertraue ihm und ich glaube seinen Worten. Er öffnet die Autotür: „Na, komm. Bringen wir es hinter uns." Er nimmt seine Hand von meinem Bein und steigt aus.
Ich bleibe noch einen Moment sitzen, bis ich ebenfalls aussteige. In Liams Deckung gehe ich auf das Haus zu. Wir kommen der Tür immer näher. Liam dreht sich kurz zu mir um: „Die Tür ist offen." Ich gucke hinter seinem Rücken hervor und er hat recht. Seltsam. Warum steht sie offen? Liam geht in das Haus und ich hinter her. Aus dem Wohnzimmer dringen laute Stimmen. „Wie konntest du sie da hin schicken?! Du bist so ein Idiot!" Ich kenne diese Stimme nicht, aber sie löst etwas unbeschreibliches in mir aus.
Liam bleibt ruckartig stehen: „Weißt du wer das ist?" Ich schüttele langsam den Kopf. Er bläst die Wangen auf und lässt die Luft entweichen. Liam scheint zu überlegen, doch lange Zeit hat er dafür nicht, denn auf einmal kommt eine Frau wutentbrannt aus dem Wohnzimmer gerannt. „Ich bin ein Idiot? Das sagt die Frau, die ihr Kind bei fremden Menschen hinterlässt und einfach abhaut ohne sich je wieder zu melden!" Das ist Davis' Stimme.
Er kommt hinter der Frau her. Als die beiden uns sehen, bleiben sie beide schockiert stehen. Die Frau hat dunkelblonde mittellange Haare und eine Brille. Ich schätze sie auf Mitte vierzig. Davis öffnet den Mund als er mich und Liam sieht: „Charlotte..." Ich trete etwas hinter Liam hervor und sehe aber immer noch auf die Frau. Ist sie die Frau, die ich vermute wer sie ist? Meine leibliche Mutter?
Sie sieht mir ähnlich. Keine Frage. Und auch Liam könnte das ein oder andere von ihr haben, aber warum sollte sie so urplötzlich hier auftauchen? Die letzten Jahre habe ich sie ja auch nicht interessiert. Liam legt einen Arm um mich. Wahrscheinlich um mir zu zeigen, dass er da ist. Ich beginne leicht zu zittern. Die Frau hat eine ähnliche Reaktion. Sie zittert und ihr stehen Tränen in den Augen: „Charlotte. Du bist es wirklich." Sie kommt einen Schritt auf mich zu, doch ich weiche zurück.
Liam zieht mich zu sich: „Wie kommt es, dass du dich nach fast 17 Jahren auch mal wieder blicken lässt?" Diese Frau ist meine Mutter. Ich kann es nicht fassen. Meine Mutter. Ella Bennett. Die Frau, die mich damals bei eigentlich fremden Menschen gelassen hat, aus was für Gründen auch immer. Doch dafür gibt es keine Entschuldigungen oder Erklärungen. Sie hat es einfach getan. Ella schüttelt den Kopf: „Liam, ich... es tut mir so leid." Liam schiebt mich in Richtung meines Zimmers: „Pack deine Sachen!"
Ich gehe ohne auf Reaktionen zu warten. „Was meinst du mit pack deine Sachen? Sie bleibt hier!", kommt es laut von Davis. Liam schreit ihn an: „Ist das dein Ernst, Dad? Sie kommt mit mir! Sie zieht zu mir! Sie hat das alles hier nicht verdient. Ist euch eigentlich klar, was ihr mit ihr angestellt habt, indem ihr ihr das verheimlicht habt? Ich wusste es und ich sah es als eure Aufgabe ihr das zu sagen. Ihr habt mich da mit reingezogen, weil ich nichts sagen konnte. Ihr hättet das viel früher aufklären sollen!"
Ich öffne die Tür von meinem Zimmer und schließe sie hinter mir. „Seit wann weißt du es, Liam?", fragt Davis fassungslos. Sie reden so laut, dass ich sie hier deutlich hören kann. „Seit meinem 15. Geburtstag", sagt Liam aufgebracht. „Wie hätte ich es ihr bitte sagen sollen?" Ich hole eine große Tasche aus meinem Schrank und fange an meine ganzen Klamotten einzupacken. „Es wäre deine Aufgabe gewesen. Aber du suchst dir lieber eine Frau, die sich als unsere Mutter ausgibt. Alles wäre besser gewesen, als dass sie es so erfahren hat", kontert Liam.

DU LIEST GERADE
Inexcusable
RomanceCharlie Bennett, ein Mädchen, das hautnah erfahren muss, wie es sich anfühlt sein ganzes Leben lang mit einer Lüge aufzuwachsen, muss in ein Camp, um dort die Wahrheit über ihre gesamte Geschichte zu erfahren. >> Es war wie ein Schlag direkt ins Ges...