Morgen ist es soweit. Morgen soll Liam von seinem Einsatz wiederkommen. Jeden Tag hoffe ich aufs neue, dass Matthew zu mir kommt und sagt, dass es Liam gut geht und dass er früher wiederkommen würde. Diesen Tag gibt es aber nicht. Und der wird auch nicht gekommen. Liam hat sich nicht mehr gemeldet.
Deshalb sage ich mir selber, dass es ihm gut geht. Dass er kommen wird. Ehrlich gesagt, bin ich mir sogar sicher, dass er morgen vor mir stehen wird. Ich weiß nicht warum, aber manchmal fühlt man sowas einfach. Und jetzt habe ich dieses Gefühl.
Emely kommt mit einem lauten Knall ins Zimmer geplatzt, sodass ich zusammenzucke. Ich bin dummerweise ziemlich schreckhaft.
„Charlie, komm! Wir müssen zum Training." Ich sehe zu Emely, die heute einen besonders guten Tag zu haben scheint: „Ja, komme."
Ich hieve mich von meinem Bett und ziehe mir die Schuhe über. Emely steht bereit in der Tür. Ich folge ihr nach draußen. Im Treppenhaus springt Emely fröhlich die Stufen herunter. Fast befürchte ich, dass sie eine Stufe übersieht und dann die Restlichen herunter kullert: „Ist heute irgendwas besonderes?"
„Eigentlich nicht. Aber ich bin total motiviert." Ihr Lachen klingelt in meinen Ohren. So schrill ist es. Aber ich freue mich für sie, dass es wenigstens einem von uns richtig gut geht.
Am Ende der Treppen angekommen, bleibt sie stehen: „Mach doch mal ein anderes Gesicht! Wir gehen zu deinem Liebsten. Es gibt kein Grund nachdenklich zu sein." Für sie gibt es keinen Grund nachdenklich zu sein. Für mich eine Menge. Auf meinem Handy stapeln sich die Nachrichten meiner Mutter, die sie gerne beantwortet hätte. Aus einem Grund, den ich nicht wirklich erklären kann, will ich ihr nicht zurückschreiben. Vielleicht liegt es daran, dass sie fast alles, was ich tue kritisiert. Sie findet immer einen Grund etwas positives ins Negative zu ziehen. Ich würde sagen, dass sie ein Talent dafür besitzt. Ob dieses Talent gut oder schlecht ist, lässt sich bestreiten. Ich kenne auf jeden Fall nur die schlechten Seiten. Immer wenn meine Mutter schlecht drauf ist, lässt sie es an allen aus. Sie schiebt den wahren Grund dann meistens auf meinen Vater, der in keiner Weise etwas damit zu tun hat. So glaube ich es zumindest.
Solche Situationen nutzt sie besonders gerne um ihr Talent auszuüben. Ihr wisst, was ich meine. Allerdings glaube ich, dass es einen Grund gibt, dass sie das macht. Manchmal da glaube ich sogar, dass ich meine Mutter gar nicht kenne. Ich kenne die mütterliche Seite, doch die Seite, wie sie früher war, vor einem Ereignis, dass mir unbekannt ist, ist verschollen. Meine Theorie. Kann auch Einbildung sein.
Ein weiter Grund, dass ich nachdenklich bin, ist, dass mein Bruder eventuell morgen aus seinem Einsatz wiederkommt. Ich sehe ihn nach einem halben Jahr wieder. Eine lange Zeit. Ich weiß, dass es Familien gibt, die ihre Männer oder Väter oder sonstiges teilweise Jahre nicht sehen und die werden sagen, dass ich mich nicht so anstellen soll. Das ist mir egal. Ich stelle mich so an, wie es mir passt. Es ist meine Situation und nicht deren. Das mit meinem Bruder ist eh etwas anderes.
„Du tust es schon wieder. Lass das!", meckert Emely. Ich setze mein falsches Lächeln auf und gehe den Rest der Stufen herunter: „Tut mir leid. Komm, wer als erster beim Parkour ist." Dann sprinte ich los. Mittlerweile fällt mir das Laufen einfacher. Könnte an dem täglichen Training liegen. Auch Emely ist besser geworden. Trotzdem komme ich als erstes am Parkour an. Ich stütze meine Hände auf meine Knie und brauche kurz, um wieder einen normalen Atemrhythmus zu erlangen. Emely kommt nur ein paar Sekunden später neben mir an.
Hinter uns ertönt ein Klatschen, dass uns umfahren lässt: „Sehr gut. Ich sehe, ihr habt euch schon aufgewärmt." Matthew. Ich lache und richte mich wieder auf. Emely grinst mich schelmisch an: „Dann lasse ich euch beide mal alleine." Für diese Aussage bekommt sie einen bösen Blick meinerseits zugeworfen.

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Inexcusable
Roman d'amourCharlie Bennett, ein Mädchen, das hautnah erfahren muss, wie es sich anfühlt sein ganzes Leben lang mit einer Lüge aufzuwachsen, muss in ein Camp, um dort die Wahrheit über ihre gesamte Geschichte zu erfahren. >> Es war wie ein Schlag direkt ins Ges...