~Kapitel 5~

1.1K 39 39
                                    

Der Tag der Abfahrt ist gekommen. 7:00 Uhr. Ich stehe mit den anderen Schülern, die in das Militärcamp wollen, zusammen vor dem Bus, in den gerade die Gepäckstücke geladen werden. Mein Koffer ist schon verstaut, weswegen ich bei meinen Eltern stehe und darauf warte, dass der Busfahrer uns hereinbittet.

Nicht, dass ich es eilig habe, hier weg zu kommen, aber auch ich bin kein Freund von Abschieden und so länger ich hier stehe, desto mehr muss ich mich anstrengen, die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Es sind allerdings keine Tränen der Trauer, dass ich meine Familie jetzt einen Monat nicht sehen werde, sondern viel mehr Tränen der Wut und Enttäuschung.

Der Gedanke, dass jeder der anderen Schüler sein Camp selber aussuchen durften. Nur ich nicht. Sollten Eltern nicht auf die Wünsche ihrer Kinder eingehen oder wenigstens eine Lösung finden, die für beide angebracht ist? Zusammen eine gute Option finden? In meiner Familie ist es anders.

Wie immer...

Ich fühle etwas seltsames. Es ist das beschissene Gefühl, dass sich mit dem Wunsch meiner Eltern verbindet, dass sie mich so weit wie möglich von sich weghaben wollen, um ihre Ruhe zu haben. Mit Liam haben sie ja das gleiche getan. Jetzt tun sie es mit mir. Vielleicht ist es Einbildung. Vielleicht jedoch auch nicht.

Meine Mutter steht hinter mir und legt mir ihre warmen Hände auf die Schultern, die ich am liebsten einfach wegschubsen würde, da es sich so verdammt falsch anfühlt sie dort zu haben. Stattdessen bleibe ich wie angewurzelt stehen und starre auf einen unsichtbaren Punkt in der Ferne. Heute ist es dunkel. Eine graue Wolkenschicht zieht sich über den Himmel. Sie lässt es finster wirken und trübe. Sie drückt meine Gedanken aus.

Der Busfahrer signalisiert uns, dass er bereit ist loszufahren und dass wir einsteigen können. Ich werde durch die Hände der Frau, die meine Mutter ist, umgedreht. Sie sieht mir in die Augen. Wenn mich nichts täuscht sehe ich eine Träne darin. Jetzt ist die Frage, was für eine Träne es ist. Ich will es gar nicht wissen. Mein Körper wird an den meiner Mutter gedrückt. Ihre Hand wandert zu meinen Haaren.

Leise flüstert sie hinein: „Ich wünsche dir ganz viel Spaß und grüß deinen Bruder von uns. Ich hab dich lieb, Schatz."

Widerwillig umschließen meine Arme den Körper, der mir so nah und doch so fern ist. Jetzt ist so ein Moment, in dem sie erwartet, dass ich ihr antworte.

Ich tue es: „Ich hab dich auch lieb, Mum." Sofort breitet sich ein Kribbeln in meinem Bauch aus. Wie kann es sich so verdammt schlecht anfühlen diese Worte auszusprechen? Es stimmt doch. Ich liebe sie. Nur trotzdem kann ich nicht sagen, warum wir manchmal so entfernt voneinander sind.

Ich drücke sie von mir weg und lächele sie an. Ein ehrliches Lächeln kann sie nicht erwarten. Nicht an solch einem Morgen.

Ich wende mich zu meinem Vater, den ich kurz in den Arm nehme: „Bis bald."

Dann drehe ich mich um und steige in den Bus. Ohne einen Blick nach hinten zuwerfen.

Drinnen gehe ich durch den schmalen Gang. Die meisten Schüler stehen noch draußen und verabschieden sich von ihren Eltern. Die Mehrzahl der Sitze ist also noch leer. Dadurch fällt es mir nicht schwer eine Person zu entdecken, die aus dem Fenster starrt und mich nicht zu bemerken scheint. Der Platz neben ihm ist leer, weswegen ich mich ohne ihn zu fragen, darauf fallen lasse. Kurz schaut er auf, dreht sich jedoch im selben Moment wieder weg.

Ich folge seinem Blick aus dem Fenster. Dort entdecke ich meine Eltern, die mich wahrscheinlich hinter den Scheiben suchen.

Die restlichen Schüler finden den Weg zu ihrem Platz, sodass nach ein paar Minuten alle bereit sind und der Busfahrer das riesige Gefährt startet. Insgesamt sitzen ungefähr zwanzig weitere Menschen hier in dem Bus. Man sieht, es geht wohl nicht in das beliebteste Camp.

Inexcusable Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt