~Kapitel 10~

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So ergibt es sich, dass wir fast jeden Tag in diesem Aufenthaltsraum sitzen und uns unterhalten, Kicker spielen und Musik hören. Ab und zu schalten wir auch den Fernseher ein, um die Nachrichten zu hören. Doch diese Frau, die dort hinter dem Bildschirm vor sich her labert, hat so eine langweilige Stimme, dass ich ihr zwar zuhöre, doch nicht wiederholen kann, was sie gesagt hat. Ich weiß nicht wirklich warum, doch man manche Menschen haben diese Eigenschaft, dass sie so viel reden können, wie sie wollen, ich ihnen aber keines Wegs folgen kann. Ich kann mich anstrengen wie ich will, doch es bleibt nichts davon in meinem Gedächtnis hängen.

In der Schule haben wir auch so eine Lehrerin, die diese Eigenschaft hat. Wir hatten Sie mal in Vertretung für Mathe. Sie hat sich die größte Mühe gegeben mir etwas zu erklären. Verstanden habe ich nichts. Einmal habe ich nicht mal mitbekommen, dass sie bereits aufgehört hat zu reden. Irgendwann hat sie mich nur noch angeschaut. Sie dachte glaube ich, dass ich überlege. Eigentlich war ich aber in meiner eigenen Welt versunken und sie hat es nicht geschafft mich da rauszuholen. Ich kann mich erinnern, dass sie schon richtig verzweifelt war. Letztendlich habe ich gelogen, indem ich gesagt habe, dass ich es verstanden habe. Sie hat es mir sogar abgekauft.

Ich bin froh, dass ich sie nicht als feste Lehrerin habe. Sonst hätte ich wohl schlechte Noten bei ihr. Aber auch egal.

Auf jeden Fall sind seit dem Tag, an dem ich erfahren habe, dass mein Bruder in einem Einsatz ist und es in den Sternen steht, ob er wiederkommt oder nicht, drei Tage vergangen. Es ist Samstag und wir sitzen gemeinsam in dem Aufenthaltsraum.

Matthew, Emely, Nick, Thomas und ich.

Nick und Thomas spielen Kicker, während wir uns unter der lauten Musik und des Donnern des Balls, wenn er an die Wand knallt, unterhalten. Emely und Matthew diskutieren darüber, ob es sinnvoll ist beim Militär zu arbeiten und sein Leben zu riskieren oder ob man lieber einen normalen Job in Betracht zieht. Emely wirft ihre langen Haare über die Schulter: „Aber wer riskiert denn sein Leben, nur um an Geld zu kommen. Wenn man sich vorstellt, dass man bei dem Einsatz stirbt. Was will man dann mit dem Geld?"

Matthew ist da anderer Meinung: „Man kann aber auch lebend zurückkommen, wenn man sich nicht so dumm anstellt. Dazu kommt, dass man anderen Menschen hilft und ihnen ein besseres Leben ermöglicht."

Emely scheint das Thema nicht von Matthews Seite zu verstehen, denn sie gestikuliert mit ihren Händen wild in der Luft herum, während sie ihm weiterhin versucht klarzumachen, dass das doch total bescheuert sei. Ehrlich gesagt verstehe ich Matthews Sicht aber auch nicht.
Ich kann ihnen leider nicht länger zuhören, da in meiner Hosentasche das Handy vibriert. Ein Anruf. Kurz ist da ein Funken Hoffnung, dass es Liam ist, der mir fröhlich mitteilt, dass er gleich nach Hause kommt. Diese Hoffnung wird mir innerhalb weniger Sekunden genommen. Auf dem Bildschirm steht: Mum

Ich überlege, ob ich rangehen soll oder nicht. Ich schnappe nach Luft und verlasse mit schnellen Schritten den Raum, um in Ruhe telefonieren zu können. Draußen gehe ich ran: „Hallo?"

Ich gehe die Treppen hoch. Der Aufenthaltsraum befindet sich im Keller. Auf der Erdetage gehe ich nach draußen ins Freie. Es ist dunkel. Die Uhr zeigt 21:26 Uhr.

„Hey, Charlie. Na, alles gut bei dir? Du hast mir nicht auf die Nachrichten geantwortet und dann musste ich dich anrufen." Das ist wohl richtig. Ich antwortete ihr nicht, weil ich nicht wollte. Ich wollte ihr nicht hier von erzählen. Von ihrem Sohn, der in einem Einsatz im Ausland ist und sich seit Wochen nicht gemeldet hat.

„Ich hatte nicht so viel Zeit. Abends bin ich immer kaputt. Dann gehe ich meistens direkt ins Bett", lüge ich wie gedruckt. Ich hasse es, sie anzulügen.

Bin aber davon überzeugt, dass es in dieser Situation das beste ist. Sie soll sich nicht auch noch Sorgen machen. Wenn, dann kann Liam es ihr selber sagen. Ich tue es nicht.

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