~Kapitel 50~

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„Charlie! Wach auf!", ruft eine mir bekannte Stimme. Langsam öffne ich meine Augen und sehe in das besorgte Gesicht von meinem kleinen Bruder: „Charlie! Was ist los?" Ich setze mich im Bett auf und sehe mich um. Alles ist normal. Keine Flieger, die über die Stadt düsen. Keine Bomben. Keine hupenden Autos. Nichts.

Es war ein beschissener Traum. „Red doch mit mir!", fordert mich der Junge auf. Ich atme einmal tief ein und wieder aus: „Habe nur schlecht geträumt. Alles ist gut." Ich lehne meinen Kopf an meine Handflächen. Diese Träume müssen aufhören. „Was hast du geträumt?", fragt er weiter. „Die Stadt wurde angegriffen." Ich werfe einen Blick auf meinen Wecker. 6:03 Uhr. Wir müssen jetzt eh aufstehen. In einer halben Stunde kommt Matt.

„Wir müssen aufstehen", murmele ich immer noch leicht benommen von dem Traum. Ich tapse in das Bad und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Mein Spiegelbild ist erschöpft. Es wirkt müde. Die Augen glänzen nicht. Sie sind matt. Liam ist jetzt bestimmt schon aufgebrochen und in dem Stützpunkt angekommen. Bei dem Gedanken, dass er jetzt um sein Leben kämpft, läuft mir ein eiskalter Schauer über den Rücken.

„Ich will dich ja nicht hetzen, aber ich muss mich auch noch fertig machen", dringt Justins Stimme durch die Tür. Ich nehme die Zahnbürste zur Hand und beginne mir die Zähne zu putzen. Mein Arm fühlt sich schwer an, als würde er gleich abfallen. Ich wasche die Zahnbürste ab und spüle meinen Mund mit Wasser aus. Ich ziehe mich um und betrachte die Narbe an meinem Bauch, die durch den Angriff entstanden ist und dort für immer bleiben wird.

Ich ziehe mir einen Pullover über, um die Narbe zu verdecken. Nachdem ich fertig bin, schleiche ich zurück in mein Zimmer und packe mir meine Sachen zusammen. Justin ist währenddessen im Bad und macht sich fertig. In der Küche bereite ich ein Frühstück vor. Für Justin mache ich einen Kakao und ich nehme einen Tee. Brot und Nutella stehen auf dem Tisch bereit.

Beim Frühstück sage ich kein Wort. Ich bin viel zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt. „Alles gut?", fragt er. Ich nicke nur. Er soll sich keine Sorgen um mich machen müssen. Er merkt, dass ich keine Lust zum Reden habe, denn er isst still weiter und räumt mit mir den Tisch ab, als wir fertig sind.

Durch ein Klingeln an der Tür schrecke ich zusammen. Warum bin ich verdammt nochmal so schreckhaft? Justin beobachtet mich misstrauisch: „Willst du nicht lieber Zuhause bleiben?" Ich schüttele den Kopf und ziehe mir die Jacke über. „Hast du alles?", frage ich mit brüchiger Stimme. Er geht zur Tür und öffnet diese. Matt steht davor und bekommt sofort einen ernsten Gesichtsausdruck als er Justin sieht. „Morgen", sagt er.

Justin betrachtet Matt: „Boah der ist ja auch Soldat." Ich schüttele leicht grinsend den Kopf und gehe zu den Jungs. „Morgen, Matt. Das ist mein Bruder Justin. Justin, das ist mein Freund Matt." Justin will mit Matt einschlagen, doch dieser blockt erstmal ab: „Wie kommt es, dass du hier schläfst?" Ich ziehe die Tür hinter mir zu und latsche die Treppen runter: „Er ist gestern Abend gekommen und weil es schon später war, habe ich gesagt, dass er bleiben soll."

Matt poltert hinter mir die Treppe runter: „Achso. Ist alles in Ordnung, Süße?" Ich ziehe die Tür nach draußen auf und schlüpfe heraus. Frische Luft umhüllt meinen Körper. Es ist angenehm. Zwei Arme legen sich um meine Schultern. Ich sehe auf den Boden und murmele leise ein „Geht schon". Allerdings haben es beide Jungs gehört.

„Tu doch nicht so! Seit du wach geworden bist, bist du schon so drauf", mischt sich Justin ein. Matt schlingt seine Arme enger um mich: „Was ist denn los?" Justin spaziert weiter zu dem Auto, dass direkt vor dem Grundstück geparkt wurde. „Ich habe Angst", flüstere ich. „Vor was?", fragt Matt liebevoll. „Da- dass Liam st- sterb..." „Hör auf sowas auch nur zu denken! Ernsthaft. Er ist der beste Soldat, den ich je gesehen habe und wenn er es nicht schafft, weiß ich echt nicht wer dann", unterbricht er mich.

Er dreht mich zu ihm um: „Guck mich mal an!" „Das Auto ist ja mal voll krass", staunt Justin von der Straße aus. Matt muss kurz lachen, konzentriert sich dann aber auf mich. Ich sehe ihm in seine wunderschönen blauen Augen, die mir zeigen, dass er es ernst meint. „Liam wird wiederkommen. Keine Angst. Und Nicklas auch. Versprichst du mir nicht mehr an sowas zu denken?", fragt er sanft. Ich nicke und lächele leicht: „Ja. Danke."

Er gibt mir einen gefühlvollen Kuss auf die Lippen, der mir das Gefühl von Sicherheit gibt. „Können wir jetzt mal losfahren? Ich will das Auto von drinnen sehen", fragt Justin aufgeregt. „Krass, dass das dein Bruder ist. Ich freue mich für dich, wenn du ein gutes Verhältnis zu ihm hast. Das ist echt schön", lächelt Matt mich nach unserem Kuss an. „Er ist lustig", grinse ich. „Kann ich mir vorstellen."

*

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie froh ich bin, als Matt das Auto anhält und wir an der Schule angekommen sind. Justin hat die ganze, wirklich die ganze Fahrt, Fragen gestellt. Er wollte alles wissen. Über das Auto, sowie über den Beruf als Soldat. Matt hat mühselig alle Fragen beantwortet, jedoch bin ich mir sicher, dass er mindestens genauso froh ist, ihn jetzt in der Schule zu lassen.

„Ich stelle mir den Beruf voll cool vor, aber es ist bestimmt voll anstrengend so viel Sport zu treiben. Ich mag Sport, aber jeden Tag... das wäre zu viel", quasselt Justin. „Na los, sonst kommt ihr zu spät", versucht Matt ihn loszuwerden. Justin öffnet die Tür und steigt aus: „Danke fürs Fahren. Bis dann." Ich lehne mich zu Matt und gebe ihm einen Kuss auf die Wange: „Du bist süß."

Er lächelt mich an: „Der redet wie ein Wasserfall. Man merkt, dass ihr Gemeinsamkeiten habt." Empört hebe ich die Hände: „Gar nicht wahr. Ich rede nicht so viel." „Manchmal schon", neckt er mich. „Idiot", sage ich gespielt beleidigt und steige aus. „Dein Idiot", ergänzt er. „Wann hast du Schluss?", fragt er. „13:40Uhr." „Okay, bis später. Und viel Spaß." Ich lächele ihn an: „Dir auch. Und versuch mal was von Liam zu hören."

„Die sind vor vier Stunden aufgebrochen. Was willst du da hören?" „Mach es bitte einfach", flehe ich. „Für dich doch immer", schleimt er. „Nett von dir."

Ich schlage die Autotür zu und laufe auf das Gebäude zu. Es ist schon alles leer, was nur bedeuten kann, dass der Unterricht bereits begonnen hat. Mist! Ich habe bei Miss Smith. Scheiße! Ich sprinte durch das komplette Gebäude bis ich vor dem Raum ankomme. Ich schnaufe einmal durch und klopfe dann an: „Entschuldigen Sie bitte die Verspätung. Ich ... habe verschlafen. Tut mir echt leid."

Überraschenderweise nimmt sie die Entschuldig an: „Ist okay. Setz dich." Wow. Ist sie krank? Ich lasse mir nichts anmerken und setze mich auf meinen Platz. So nett war sie nicht mehr seit... Okay, eigentlich war sie noch nie nett. Irgendwann ist immer das erste Mal, nicht?

Die Stunden vergehen und erst in der Pause sehe ich meine beste Freundin Lizzy, was mir auch ehrlich gesagt mehr als recht ist. Sie weiß nichts von Nick, denn sie ist total glücklich und kommt auf mich zu gehüpft: „Heey." „Hey", sage ich nur halb so motiviert. Sie sieht sich in der Pausenhalle um: „Nick ist heute krank." Ich fummele nervös an den Riemen von meinem Rucksack herum: „Okay."

„Ist alles in Ordnung?", fragt sie mich verwirrt. „Alles bestens", lüge ich.  Warum musste Nick mich da mit reinziehen? Ich fühle mich direkt schlecht, weil ich sie angelogen habe. „Okay..." Sie zieht das „y" in die Länge. Ich schrecke zusammen als mir jemand zwei Hände auf die Schultern legt und dann auf und ab hüpft: „Charliee."

Emely. Ich drehe mich um und sehe in das glückliche Gesicht von Emely. Irgendwie sind alle so schön glücklich. Nur ich nicht. „Wie geht es dir?", fragt Emely. „Gut und dir?" Sie lächelt: „Wunderbar. Wie immer." „Das ist schön", sage ich. „Habt ihr Lust mit mir und Julian rauszukommen? Max und Thomas sind auch dabei."

Lizzy nickt sofort und ich stimme mit ein: „Klar." Auf dem Weg nach draußen sehe ich Justin, der mit zwei Jungs auf einer Bank sitzt. Es sind andere Jungs. Nicht seine falschen Freunde. Ich lächle ihm zu. Es ist gut, dass er meinen Rat befolgt und sich neue Freunde sucht.

*

Am Nachmittag holt Matt mich pünktlich ab. Justin hat mir erzählt, dass er mitbekommen hat, dass die Jungs das Steinewerfen wohl nicht machen konnten, da die Polizei da war. Unser Plan ist also aufgegangen.

„Na, Prinzessin. Wie war dein Tag bis jetzt?", fragt mich Matt als ich mit ihm im Auto sitze. „Gut und deiner?" „Auch gut. Von Liam haben wir noch nichts gehört, aber wir sind davon überzeugt, dass alles gut ist", berichtet er mir. Ich sehe aus dem Fenster. „Okay, wenn du meinst."

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