„Können wir nicht bis morgen Früh warten?", versuche ich es hoffnungsvoll. Matt sieht mich nachdenklich an.
„Liam kann auch nicht mehr", bekräftige ich meine Aussage. Mein Bruder lehnt mit geschlossenen Augen an der Wand und atmet immer wieder tief ein und aus. Sein Fuß macht ihm mehr zu schaffen, als er gedacht hätte. Matt sieht in die Richtung des Eingangs: „In der Nacht ist es bestimmt besser reinzukommen als am Tag." Da könnte er recht haben.
„Morgen könnte es zu spät sein, um zu helfen oder um etwas zu verhindern", denkt er nach. Um was zu verhindern? In der ganzen Hektik habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht, warum der Stützpunkt überhaupt angegriffen wird. Es muss doch einen Grund dafür geben.
Mit meiner Hand umklammere ich die von Liam, der kurz blinzelt, aber die Augen zulässt. Seine Hand ist kalt. Ich spüre wie er langsam seine Finger um meine schließt.
„Warum werden wir angegriffen?", frage ich wie ein kleines Kind.
„Es geht um Papiere, die den anderen Stützpunkt belasten könnten. Sie wollen diese Papiere zurück, aber wir wollen sie nicht geben." Wegen einem Stück Papier riskiere ich hier mein Leben? Dann muss ja etwas überaus wichtiges dort draufstehen.
„Das ist aber eine krasse Kurzfassung, Matthew. Da steckt weitaus mehr dahinter", wispert mein großer Bruder.
„Sie muss ja nicht alles wissen oder?", äußert sich Matt. Vielleicht hat er recht und ich will gar nicht alles wissen. Eigentlich will ich mir darüber jetzt auch eher weniger Sorgen machen. Es kann jetzt nicht mehr verhindert werden. Der andere Stützpunkt hat den Angriff begonnen. Wir haben die Pflicht zu kämpfen.
Ich umklammere Liams Hand fester und lege meinen Kopf an seine Schulter. Ich kann nicht mehr. Meine kompletter Körper zittert. Aus Angst, sowie aus Erschöpfung.
„Na gut. Wir ruhen uns ein paar Stunden aus und gehen dann in das Gebäude", ergibt sich Matt. Er geht auf die Seite mit dem Aufenthaltsbereichen. Weiter hinten sind Büsche und Bäume, die die Sicht auf das Gebäude versperren. „Wir gehen dahin." Matt läuft vor. Liam stößt sich von der Wand ab und humpelt mit mir an der Hand zu den Büschen. Dort angekommen, lasse ich mich direkt auf den Boden fallen. Liam liegt neben mir. Matt sagt: „Ich bleibe wach." Ich widerspreche nicht. Dazu fehlt mir die Kraft.
Liam zieht mich näher an sich und legt meinen Kopf auf seinen Arm. Leise flüstert er in mein Ohr: „Versuch zu schlafen." Unsere Hände halten sich noch immer fest. Ich nicke und gebe ihm einen Kuss auf die Wange: „Hab dich lieb." Er lächelt leicht: „Ich dich auch." Es ist das erste Mal, dass ich ihm einen Kuss gegeben habe, seitdem wir uns wieder vertragen haben. Er streichelt mir durch das Haar. Ich schließe meine Augen und tatsächlich kann ich einschlafen.
*
Durch ein Rütteln werde ich geweckt. Ich schlage die Augen auf und sehe in Matts Gesicht.
„Wir müssen weiter", sagt er. Mit einem Schlag werde ich mit der ganzen Situation konfrontiert. Mir fällt ein, dass wir jetzt wohl oder übel in das Gebäude müssen. Ich richte mich langsam auf. Die Sonne geht gerade auf. Liam setzt sich hin und wirft mir ein gezwungenes Lächeln zu. Ich weiß, dass er mich beruhigen will, aber das ist nicht so einfach. Ich habe kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache.
Liam stellt sich auf die Beine und hält mir die Hand hin, um mir auf zu helfen. Ich nehme sie entgegen und ziehe mich hoch. Ist Matt nicht auch müde? Vielleicht hat er geschlafen, nur habe ich es nicht mitbekommen. Er sieht sich gründlich um, bevor wir wieder auf das Gebäude zusteuern. Was wohl mit Carolina und Emely ist? Hoffentlich geht es ihnen gut.
„Kommt!"
Liam und ich setzen uns in Bewegung. Wir kommen an dem Gebäude an. Dort, wo wir in der Nacht gestanden haben, bleiben wir stehen. Man kann den Platz vor dem Eingang gut überblicken. Es stehen einige Container dort, die uns in diesem Fall zur Deckung helfen können.

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Inexcusable
RomansaCharlie Bennett, ein Mädchen, das hautnah erfahren muss, wie es sich anfühlt sein ganzes Leben lang mit einer Lüge aufzuwachsen, muss in ein Camp, um dort die Wahrheit über ihre gesamte Geschichte zu erfahren. >> Es war wie ein Schlag direkt ins Ges...