Der Soldat lacht, doch dann verfinstert sich sein Blick von einer Sekunde auf die andere: „Was ich eigentlich wollte. Hast du was von Liam gehört? Wie sieht die Lage in dem Einsatz aus? Habe gehört, dass es ziemlich brutal zugehen soll dort. Hat er alles unter Kontrolle?"
Mit dieser Frage verändert er so einiges mehr als seine Absicht war. Ich komme Matthew zuvor, denn ich muss dringend wissen, um welchen Liam es sich dabei handelt: „Li- Liam Ben- Bennett?"
Der Soldat sieht mich überrascht an: „Ja, du kennst ihn? Cooler Typ, der Junge." Ich kann nicht auf seine Frage antworten. In meinem Kopf wiederholt sich dieser eine Satz Habe gehört, dass es ziemlich brutal zugehen soll dort. Liam ist in einem Einsatz. Vermutlich ist er nicht mal mehr am Leben. Diese Sätze hallen wie Echos in meinem Kopf wieder.
Dieser coole Typ existiert vielleicht nicht mehr.
Ein Piepen verbreitet sich in meinem rechten Ohr. Heftiges Pochen an meiner Stirn. Mir wird schwarz vor Augen und ich taumele einen Schritt zurück. Mir ist schwindelig. Habe das Gefühl gleich zu versinken. Ich bemerke wie mein Körper gehen die harte kalte Steinwand knallt. Meine Hände suchen nach etwas, wo sie sich festhalten können, damit ich nicht umkippe. Ich nehme alles nur noch gedämpft wahr. Die Stimmen um mich herum: „Charlie. Was hast du?"
Ich atme schnell ein und aus und spüre Schweißperlen, die sich an meiner Schläfe bilden und von dort aus langsam hinunterrollen. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein.
Er darf nicht sterben. Er ist noch viel zu jung. Er ist mein Bruder. Ich konnte mich nicht mal verabschieden. Ich drücke meine Augen fest zu. Das Bild erscheint vor meinen Augen, wie es in meinem Traum auftauchte. Er wird von einer Kugel getroffen, die ihm das Leben nimmt. Er sinkt auf die Knie, bevor sein lebloser Körper zu Boden fällt, der ohnehin schon mit weiteren Leichen übersät ist. Er fällt nicht mehr auf. Ist einer von vielen.
Dann blitzt mir unser letztes Telefonat vor Augen. Deswegen hatte er angerufen. Er wollte sich verabschieden, falls wir uns nie wieder sehen werden. Er hat es nichtmal angesprochen, dass er gehen wird. Ich höre die Stimmen, wie sie im Hintergrund bei dem Telefonat nach seinem Namen gerufen haben. Bennett, komm wir müssen los. Ich Trottel habe mir nichts dabei gedacht. Es hätte mir auffallen müssen, dass er seit dem Telefonat nicht mehr an seinem Handy war.
Ich bin so verdammt dumm. Mein Finger wandert zu meiner Augenbraue, hinter die das heftige Pochen zieht. Ich massiere mir die Schläfen. Das Piepen verstärkt sich. Langsam spüre ich eine Träne, die aus meinem Augenwinkel nach unten fließt. Das Bedürfnis hier auf der Stelle zusammenbrechen zu wollen, holt mich ein. Einfach hier auf dem kalten Boden zusammengerollt liegen und in Selbstmitleid versinken. Ich will zusammenbrechen. Für einen Moment nichts spüren. Alle Gefühle zur Seite schieben und einfach wegsein. Ich will das alles nicht mehr spüren.
Alles kommt in mir hoch. Die seltsame Stimmung, die ich Zuhause mit meinen Eltern habe. Diese Einsamkeit, die mit der Dunkelheit einkehrt. Die Dunkelheit ist schlimm. Man sieht nichts mehr klar. Man bildet sich Dinge ein, die eigentlich nicht existieren oder man sieht Dinge schlimmer als sie sind. Eine üble Form der Halluzination. Ich will, dass es aufhört.
Ich schlage meine Augen auf und bemerke eine Hand an meinem Arm. Es ist Matthews. Besorgt sieht er mich an. Ich kann Mitleid in seinen Augen sehen. Ich will kein Mitleid. Nicht von ihm. Die Wahrheit würde mir mehr helfen als jegliche Tröstungen.
Mein Atem findet wieder seinen üblichen Rhythmus. Der Tinnitus verschwindet. Das Pochen lässt nach. So plötzlich, wie es gekommen ist.
„Ist er tot?" Man hört das Zittern in meiner Stimme. Ich habe Angst. Angst, Liam das letzte Mal gehört zu haben.

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Inexcusable
RomanceCharlie Bennett, ein Mädchen, das hautnah erfahren muss, wie es sich anfühlt sein ganzes Leben lang mit einer Lüge aufzuwachsen, muss in ein Camp, um dort die Wahrheit über ihre gesamte Geschichte zu erfahren. >> Es war wie ein Schlag direkt ins Ges...