Als ich die Augen öffnete, war ich einen Moment lang verwirrt. Dann fiel mir wieder ein, warum ich in einer Kutsche saß. Ich war auf dem Weg in ein neues Leben. Als ich aus dem Fenster sehen wollte, fuhr ein stechender Schmerz in meinen Nacken. Ich musste wohl ungeschickt gelegen haben, während ich geschlafen hatte. Zusätzlich war die Bank, auf der ich saß, ein einfacher Holzblock ohne Polsterung, und so wurde der ungemütliche Effekt nur verstärkt. Ein zweiter Anlauf aus dem Fenster zu sehen funktionierte: Ich sah Bäume an mir vorbeiziehen, die den Wegrand schmückten.
Es war früher Abend. Hatte ich so lange geschlafen?Wo war ich denn nun? Wie lange dauerte die Fahrt noch? War es noch weit? Waren wir überhaupt schon in Dyandra? Ich sah noch einmal genauer hin. Doch, wir mussten schon in Dyandra sein. Die Umgebung sah nicht nach meiner Heimat aus. Ich konnte nicht genau sagen wieso, es war einfach ein Gefühl. Zwar hatte ich von Lavinia natürlich noch nicht alles gesehen, doch ich war mir sicher: Diese Welt, die das Fenster mir zeigte, war fremd. Schön, sogar sehr schön, aber fremd.
Wie lange dauerte es denn nun noch? Unsicher sah ich durch die Öffnung im Kutschenraum auf den Rücken des Kutschers. Dann lehnte ich mich gedanklich seufzend wieder aus dem Fenster. Ich musste wohl einfach geduldig sein. Da sah ich eine Stadt auf uns zukommen. Oder besser: Wir fuhren auf eine Stadt zu. Einige neugierige Gesichter beobachteten die Kutsche beim Vorbeifahren, der Rest kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten. Trotzdem schüchterte es mich ein wenig ein, und so zog ich den Kopf ein und starrte weiter auf die dunkle Wand.
Irgendwann hatten wir das Dorf durchquert und erreichten nun eine leichte Anhöhe. Ehe ich mich versah kam die Kutsche plötzlich zum Stehen. Unsicher sah ich zur Tür. Waren wir schon da? Hatten wir eine Panne? Da hörte ich knirschenden Kies und stapfende Schritte. Die Tür ging plötzlich auf und das Gesicht des Kutschers erschien dahinter. „Wir sind da." sagte er mit der tiefen, kratzigen Stimme eines alten Mannes. Dann trat er zur Seite und wartete darauf, dass ich ausstieg. Ich atmete einmal tief ein, bevor ich es schließlich wagte auszusteigen.
Im ersten Moment war alles zu hell, um etwas erkennen zu können. Dann, als meine Augen sich daran gewöhnt hatten, blieb mir der Mund offen vor Staunen. Ich stand im Innenhof eines Palastes. Das Gebäude war riesig! Ich vermutete mindestens zehn enthaltene Etagen. Der Palastmauern waren hauptsächlich in weiß gehalten, die Dächer erstrahlten in der späten Sonne in saphirblau. Die eingebauten Fenster waren riesig und von wunderschönen Mustern durchzogen. das Licht, welches durch das Glas fiel, erstrahlte in bunt schillernden Farben. Vor mir führte eine Treppe hinauf zu zwei großen Toren, vermutlich dem Haupteingang. Daneben waren jeweils einige Büsche und Bäume angelegt.
Während ich staunte, hörte ich Hufgetrappel im Hintergrund. Ein Blick hinter mich zeigte mir, dass die Kutsche sich bereits wieder in Bewegung gesetzt hatte und davon fuhr. Als ich mich erneut zu den Toren drehte, stand ein paar Meter entfernt vor mir plötzlich eine Frau. Ich erschrak und zuckte zusammen. Unbeeindruckt lief die Frau auf mich zu. Sie trug Arbeitskleidung und hatte dieselbe Figur wie Margot, allerdings eine ganz andere Ausstrahlung. Falten zierten ihr rundes Gesicht und betonten den strengen Ausdruck in ihren Augen, die etwas einschüchterndes hatten. Ihr strenger Dutt aus schwarzen Haaren im Nacken machte es nicht besser. Sie wirkte etwa 10 Jahre älter als Margot.
Einen Moment betrachtete sie mich mit einem kritischen Ausdruck. Unsicher sah ich an mir runter. Heute Morgen hatte ich mich zwar noch gründlich gewaschen, doch von der langen und anstrengenden Reise waren bereits einige Dreckspuren auf meinem schlichten grünen Leinenkleid zu sehen. Im Stillen betete ich, dass dies nicht auch in meinem Gesicht der Fall war. Egal aus welcher Klasse man stammte, ob Bauer oder Adeliger, Bettler oder König: Wenn man eine Anstellung haben wollte, musste man durch die äußere Erscheinung einen guten Eindruck machen. Vor allem wenn es um eine Stellung am Königshof ging.
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Sound of Silence
FantasyDie siebzehnjährige Tia reist aus ihrer Heimat in ein fremdes Land, um dort eine Arbeit am Königshof zu finden. Das neue Leben ist fremd und völlig ungewohnt. Sie kann sich zunächst nur schwer einleben, vor allem durch ihr besonderes Handicap. Zusät...