Kapitel 44

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"Fast fertig!" prophezeite mir Sofie mit einem Lächeln im Gesicht, während sie eine der letzten Haarsträhnen feststeckte. Ich hatte das Endergebnis zwar noch nicht gesehen, doch ihre Handgriffe waren so sicher und flüssig ineinander übergelaufen, dass ich vermutete dass  sie keine Anfängerin mehr war. Es hatte vermutlich sein Gutes, kleine Schwestern zu haben. Ein wenig nervös davor, mich gleich sehen zu können, spielte ich mit den Ohrsteckern, die Sofie ebenfalls aus der Kiste gekramt und mir gegeben hatte. Es waren kleine Süßwasserperlen und passten perfekt zu dem Kleid. "Jetzt bist du fertig!" stellte meine beste Freundin zufrieden fest und trat ein paar Schritte zurück um mich zu betrachten. In ihren Augen sah ich Stolz aufblitzen, als sie meine Hand nahm und mich ein paarmal im Kreis drehte. Durch einen kleinen Handspiegel konnte ich mich dann auch selbst betrachten. Einen Moment lang stockte mir der Atem, als ich die Frau im Spiegel betrachtete.

Ich sah so anders aus. Nicht wie Tia die Magd, sondern wie... "Wie eine Prinzessin!" beendete Sofie lächelnd meine Gedanken. Schwer schluckend sah ich weiter auf den Handspiegel. Sie hatte recht. Die aufgesteckten Haare wirkten fast wie ein Kunstwerk, das Kleid hatte mir beinahe wie angegossen gepasst und dessen helles Blau betonte das dunkle Braun meiner Augen. "Nur etwas passt nicht ganz..." stellte Sofie mit grübelnder Miene fest, bevor sie auf mein Medaillon zeigte. "Die Kette musst du leider abnehmen." Zögernd umfasste ich das Schmuckstück. Es war das Kostbarste was ich besaß. Die einzige Erinnerung an meine Familie. Ich hatte es seit über 9 Monaten nicht mehr abgenommen, nicht einmal zum Schlafen. Aber Sofie hatte Recht, es passte nicht zum Kleid. Außerdem war es viel zu auffällig, denn so konnte ich den Anhänger nicht einfach unter das Kleid schieben wie sonst. Also legte ich die Kette schweren Herzens ab und verstaute sie in der Reisetasche unter meinem Bett. Meine beste Freundin lächelte mich beruhigend an, als sie merkte wie unwohl ich mich dabei fühlte. "Ich bin den ganzen Abend hier, es kann also nichts damit passieren. Versprochen!" Lächelnd nickte ich und war schon wieder etwas munterer.

„Bist du bereit?" fragte meine beste Freundin fast ehrfürchtig. Um nicht in Versuchung zu gelangen einen Rückzieher zu machen, nickte ich schnell und umarmte Sofie zum Abschied. „Ich wünsche dir ganz viel Glück. Und natürlich Spaß!" Mit einem Zwinkern schob sie mich vor die Tür und schloss diese gleich daraufhin. Mit einem Schmunzeln sah ich mich kurz um. In diesem schmucklosen, beinahe schon schäbigen Flur kam ich mir in diesem Kleid so fehl am Platz vor wie noch nie. Mit einer plötzlichen Entschlossenheit eilte ich darum, so schnell es in diesem Kleid möglich war und es der Gang einer Dame zuließ, in Richtung Ballsaal. Inzwischen kannte ich mich im Schloss ganz gut aus, weshalb ich beinahe ferngesteuert einen Fuß vor den anderen setzte. Dabei bedankte ich mich im Stillen für die ausgetretenen Ballerinas, die gut unter dem Rock versteckt waren. Unterwegs stoppte ich nochmal kurz und stolperte dabei fast, als ich an einem Ganzkörperspiegel vorbeikam. Im kleinen Handspiegel hatte ich mich zwar schon halbwegs gut betrachten können, doch mein ganzes Erscheinen auf einen Blick zu sehen war nochmal... anders. Nachdenklich betrachtete ich die Prinzessin im Spiegel. Dieses Bild wirkte so fremd und doch gleichzeitig so natürlich, als wäre es nie anders gewesen. Kurzerhand riss ich mich los und lief weiter, sonst würde ich noch zu spät kommen.

Um in den Ballsaal zu gelangen, musste ich die Eingangshalle überqueren. Dort stand bereits eine Schlange an Gästen, die bis zum Eingangstor verlief. Zögerlich blieb ich stehen. Es gehörte sich nicht, sich einfach an den wartenden Menschen vorbeizudrängeln. Vor allem nicht als die Angestellte, die ich war. Aber anstellen konnte ich mich auch nicht, denn der Strom an Gästen begann bereits draußen vor dem Palast, an dem die Gäste mit Kutschen einreisten. Am Eingangstor entdeckte mich jedoch ein älterer Herr in einem dunkelgrünen Anzug und winkte mich mit einem freundlichen Lächeln zu sich. Langsam schritt ich zu ihm. Als ich ihn erreicht hatte, meinte er: „Schöne Dame, wenn Sie keinen Platz in der Reihe finden, dürfen Sie sich gerne zu mir stellen." Mit seinen freundlichen Lachfalten im Gesicht wies er mit einer Hand neben sich.

Dankbar lächelte ich ihn an und knickste, bevor ich mich neben ihn stellte. Innerlich überkam mich jedoch Panik, denn ich erinnerte mich daran, wie unangenehm es war, fremden Menschen zu begegnen die nichts von meiner Wortkargheit wussten. Ich hatte mich so an die stille Akzeptanz im Schloss gewöhnt, dass ich dieses Detail einfach verdrängt hatte. Eine gefühlte Ewigkeit (eigentlich erst ein paar Minuten) standen wir schon, obwohl es flüssig voran ging. Dann erklang neben mir die Stimme des Mannes. „Sind Sie alleine hier?" Meine Hand knüllte den Rock des Saumes ein wenig zusammen, als ich nickte. Der Herr nickte überrascht. „Wie interessant! Wo haben Sie ihre Familie gelassen? Wollte sie nicht kommen?" Wieder lächelte ich scheu und zuckte mit den Schultern. Dabei verfluchte ich gedanklich den Strom an Menschen. „Verzeihen Sie mir meine Neugier." entschuldigte der Herr sich schnell und nahm ungefragt meine Hand, um sie zum Kuss anzuheben. „Wenn ich mich vorstellen darf: Ich bin Henry Jones, Graf von Sixton." Langsam verkrampfte sich mein Lächeln, doch ich knickste brav und wandte mein Gesicht wieder der Menge zu. „Ihr seid wohl nicht sehr gesprächig." stellte der Graf mit einem amüsierten Lächeln fest. Mit dem versteinerten Lächeln auf meinem Gesicht schüttelte ich den Kopf und war unendlich dankbar, als wir endlich vor dem Ballsaal standen. Hier wurde jeder einzeln reingelassen, da man gleichzeitig Name und Titel des Eintretenden verkündete. Der Graf war zuerst dran. Er verabschiedete sich mit einem Lächeln. Dann bat man mich vor. Schnell reichte ich dem Mann, der die Namen präsentierte, einen Zettel. Dieser sah mich etwas irritiert an, bevor er vorlas:  „Miss Sofie Berger aus Dyandra."

Das war meine einzige Aufforderung einzutreten, der ich auch nachkam. Auf den ersten Blick war ich überwältigt von der Schönheit des Ballsaals. Zwar hatte ich ihn schon gesehen, als ich seinen Boden schrubben musste, doch nun war die Atmosphäre nochmal ganz anders. Fasziniert beobachtete ich das bunte Treiben der Menschenmenge, hörte dem Lachen und Murmeln und Klackern der Absätze zu, bevor ich mich an mein eigentliches Vorhaben erinnerte: ihn zu finden. So unauffällig wie möglich mischte ich mich unter die Gäste. Dabei achtete ich darauf, dass meine Haltung nicht als eine Einladung zu einem Gespräch gedeutet werden konnte. Sorgfältig inspizierte ich die Gesichter der Menschen. Einige waren mir bekannt, ich erkannte einige Grafen, Herzoginnen und einen Baron aus Lavinia. Ihnen wich ich geschickt aus, damit sie mich nicht zu Gesicht bekamen. Doch niemand dieser Menschen war er. Mein Herz füllte sich mit Enttäuschung. Ich hätte es wissen müssen. Die Chance war so winzig gewesen, und doch hatte ich gehofft...
Das Gemurmel der Menschen wurde von einer schallenden Trompete durchbrochen. Schlagartig wurden alle still und starrten gebannt zum Eingang. Dort stand der Namensausrufer und verkündete nun: „Ihre Majestäten König Elias und Prinz Kilian von Dyandra und die Königinmutter Alisa!" Alle Drei betraten sie gleichzeitig den Raum.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt