Kapitel 32

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Überraschenderweise wandte Kilian sich plötzlich von den Herren ab, die immernoch auf ihn einredeten, und bewegte sich auf mich zu. Dabei ließ er meinen Blick nicht los. Ich war wie gebannt von seinem Blick, der mich dort festhielt, wo ich stand. Als versuche er sicherzustellen, dass ich nicht davonlaufen würde. Nachdem er mich erreichte, meinte er mit einem halben Grinsen: „Schön zu sehen, dass es dir wieder gut geht." Augenblicklich schoss mir Blut ins Gesicht. Meinte er damit meine Krankheit oder den Der-Prinz-trägt-eine-schlafende-Dienerin-in-ihr-Zimmer-Vorfall? Glücklicherweise wurde mein Bewusstsein auf den Gedanken umgelenkt, es sei schön, dass es mir gut ging. Er freute sich also. Eine Kleinigkeit, die selbstverständlich und nichtig erscheinen sollte, für mich jedoch eine unglaubliche Bedeutung bekam.
Eifrig nickte ich und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

Heute trug ich keine Mütze. Sie wurde gewaschen und war noch am Trocknen. Stattdessen hatte ich mir nur einen Zopf geflochten, aus dem mittlerweile einige Strähnen wieder herausgefallen waren. Es fühlte sich seltsam und ungewohnt an. Als hätte ich einen Schutz aufgegeben. Gleichzeitig mochte ich aber auch das Gefühl von dem Wind, wie er durch meine Haare fuhr und daran zupfte, bis sie sich schließlich aus dem Zopf lösten. Mir gingen so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich erst jetzt bemerkte, dass der Prinz und ich uns schon einige Zeit nur anschwiegen und anstarrten. Verlegen über diese Erkenntnis wollte ich den Blick senken, schaffte es jedoch nicht mich von seinen Augen zu lösen. Diesem hellen, warmen, strahlenden Braun, das sich wie ein ruhiges und gleichzeitig stürmisches Meer in meinen Verstand ergoss und keinen klaren Gedanken zuließ. Stattdessen schwamm ich in diesem Braun, immer tiefer und tiefer in dieses Meer hinein...

„Hoheit!" Der Ruf riss mich aus meinem Tagtraum und ließ mich zur Seite sehen. Kilian tat es mir nach. Die zwei Männer, die zuvor mit dem Prinzen gesprochen haben, kamen auf uns zu. Ihre Gesichter sahen nicht wirklich zufrieden aus. Sie ähnelten der Grimasse einer Mutter, die ihrem Kleinkind hinterherlief und es ständig davon abhalten wollte, seinen eigenen Kopf durchzusetzen. Kurz bevor uns die Herren erreichten, meinte ich einen unterdrückten Seufzer von Seiten des Prinzen zu hören. Daraufhin musste ich ein Grinsen unterdrücken. Beinahe hätte ich wetten können dass er in diesem Moment mit den Augen rollte. Inzwischen waren die Männer bei uns angekommen. Sie bedachten mich kurz mit einem abfälligen Blick, bevor sie begannen auf den jungen Prinzen einzureden. „Hoheit, wir bitten Euch noch einmal darum, Eure Gemächer aufzusuchen. Ihr solltet schon längst mit dem Hofschneider gesprochen haben!"

Kilian verschränkte die Arme und erwiderte unbeeindruckt: „Wofür? Damit ich mich wie eine Puppe mal wieder einkleiden lasse um für ein Fest herausgeputzt zu werden und schön dazustehen?" Die Herren wollten etwas erwidern, doch der Prinz fuhr bereits fort. „Ich habe Ihnen bereits mehrmals erklärt, dass mich soetwas nicht interessiert und ich meine Zeit auch anders verwenden kann. Zufälligerweise habe ich jetzt nämlich einen Termin und kann leider nicht als Schaufensterpuppe für ein paar Aristokraten dienen. Meine Herren, " Er deutete eine Verbeugung an, wandte sich kurz mir zu und wiederholte die Geste, diesmal allerdings mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, bevor er schließlich davonmarschierte. Im Weggehen hörte ich noch: „Sie entschuldigen mich..." Doch die Männer wollten nicht lockerlassen. „Hoheit! Bitte Wartet!" Sie gingen ein paar Schritte hinterher, bevor sich einer der Beiden zu mir drehte und mich mit überheblicher Miene ansah.

„Du! Mach, dass du wieder an die Arbeit kommst! Sonst wird dir deine Faulheit zum Verhängnis!" Rasch biss ich mir auf die Lippe, um meinen Schreck über seine Worte nicht zu zeigen znd gleichzeitig das Verlangen zu unterdrücken, ihm ins Gesicht zu spucken. Er hatte nicht das Recht, so mit mir umzuspringen! Zwar schien ihm eine hohe Position anzugehören, doch er war nicht mein Vorgesetzter und ich hatte nichts falsch gemacht. Kilian schien seine Worte wohl gehört zu haben, denn er kam nochmal zurück und diesmal sah sein Gesicht nicht sehr freundlich aus. Im Gegenteil, fast schon feindselig. „Das Mädchen hat nichts falsch gemacht. Ich habe sie von ihrer Arbeit abgehalten. Und selbst wenn es ihre Schuld gewesen wäre, ist das kein Grund eine Dame so grob zu behandeln. Vor allem nicht als Gentleman! Dabei spielt ihr Rang keine Rolle! So ein Benehmen will ich nicht noch einmal mitbekommen, vor allem nicht von meinen Ministern, haben wir uns verstanden?!" Seine Stimme war ruhig, und doch schwang ein Ton der Drohung mit. Der Minister schien überrascht und eingeschüchtert zugleich, als er eifrig nickte. „Gut." Kilians Stimme verlor ihren bedrohlichen Klang und er schenkte mir ein Lächeln, bevor er sich urplötzlich umdrehte und über den Hof rannte. Bevor einer von uns reagieren konnte, war er bereits auf die Palastmauer geklettert und sprang mit einem Satz darüber, in die unbekannte Region außerhalb des Schlosses.

Ein paar Stunden waren seitdem vergangen. Ich arbeitete alleine in der kleinen Nebenküche, in der ich Kilian das erste Mal begegnet war. Gerade war ich dabei, einige der zuvor gepflückten Salatköpfe zu waschen und zu zerpflücken, um sie anschließend für die Weiterverarbeitung in die Hauptküche zu bringen. Dabei begleitete mich die Gedanken an einen gewissen Prinzen, die ich einfach nicht abstellen konnte. Kilian hatte mich beschützt, er hatte mich vor seinen Ministern verteidigt! Der Gedanke daran ließ mein Herz schneller schlagen und in meinem Bauch breitete sich eine ungewohnte Aufregung aus. Es war nicht das erste Mal, dass ich solche Gefühle empfand, und es waren nicht die einzigen. In Kilians Nähe fühlte ich mich wohl, und wenn ich mit ihm sprach fühlte ich mich frei. Als würden wir normal mit Worten kommunizieren. Bei ihm war ich keine Dienerin, kein stummes Mädchen, ich war einfach... Ich. Dasselbe musste für ihn gelten. Er schien völlig zu vergessen, dass er ein Prinz war, wenn er mit mir sprach. Dann sah ich eine Seite von ihm, von der ich mir sicher war, dass sie nicht viele sahen. Er war ein unglaublicher Mensch! Und ein wirklich guter Prinz. Auch wenn es anfangs anders war... Schmunzelnd dachte ich an unsere ersten Begegnungen. Er hatte sich seitdem verändert. Oder vielleicht einfach nur sein altes, echtes Ich wiedergefunden. Egal wie, ich wusste nur, dass ich diesen jungen Mann mochte. Vielleicht sogar mehr, als ich zugeben wollte...

„Das ist doch verrückt..." Vor Schreck wäre mir beinahe der Salatkopf aus der Hand gefallen. Ich war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass ich meine Umwelt gar nicht mehr wahrgenommen hatte und die plötzliche Stimme, die die Stille zerriss, daher wie ein Donnerschlag auf mich wirkte. Hektisch sah ich mich im Raum nach der Quelle der Stimme um. Da war jedoch niemand. Irritiert starrte ich ein paar weitere Momente durch die helle Kammer, doch nichts. Ich war alleine hier. Aber woher kam dann... Da traf es mich wie der Blitz. Geistesabwesend ließ ich den Salatkopf fallen und fasste mir stattdessen mit einer Hand an meinen Hals. Ich konnte sachte meinen Herzschlag spüren. Mit zitternden Fingern tastete ich weiter zu meinem Mund. War ich das etwa, die gesprochen hatte?!

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt