Kapitel 36

537 19 0
                                    

Nachdem ich all meine Aufgaben erledigt hatte, war es später Nachmittag. Obwohl ich auch Sofies Arbeiten zu erledigen hatte, war ich dennoch früher fertig als sonst. Vermutlich lag das erneut an Tim, der es irgendwie geschafft hatte, dass es heute ziemlich wenig Aufgaben für mich gab. Als er mir sagte, ich könne für heute auhören, konnte ich nicht anders als ihn zu umarmen. Er schien überrascht über die Geste, lächelte aber und wurde sogar ein wenig rot. Um mein Versprechen einzulösen, suchte ich das Gästezimmer von Sofies Geschwistern auf. Unterwegs fiel mir auf, dass ich mich selbst immer wieder umsah. In der Hoffnung, ein gewisses Paar hellbrauner Augen zu entdecken. Doch dem war nicht so. Enttäuschung machte sich in mir breit, als ich merkte, wie sehr ich mir wünschte Kilian gesehen zu haben. Kopfschüttelnd verdrängte ich dieses Gefühl. Ich benahm mich wirklich lächerlich! Zur gleichen Zeit erreichte ich das Gästezimmer und klopfte vorsichtig an. Ein paar Sekunden später öffnete mir eine vor Freude strahlende Sofie die Tür. „Da bist du ja! Komm rein!" Sie zog übermütig an meinem linken Arm und schleifte mich ins Zimmer. Dabei atmete ich kurz zischend die Luft ein, denn ihre Hand hatte die Narbe an meinem Arm umfasst. Zwar tat sie nicht mehr weh, doch es war als ob ich an dieser Stelle nun besonders empfindlich wäre. Sofie bemerkte davon nichts, stattdessen führte sie mich zum Bett und ich nahm neben ihr und ihren bereits wartenden Geschwistern Platz.

„Ich habe gerade davon erzählt, wie es war, als du hierher gekommen bist und ich endlich nicht mehr so alleine war." grinste meine beste Freundin. Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Ich hatte noch nie daran gedacht, wie einsam Sofie vor meiner Ankunft gewesen sein musste. „Jaja, lang und breit hast du das!" warf die jüngste Schwester ungeduldig ein. Sie schien nicht verärgert oder böse, nur war ein anderes Thema deutlich wichtiger für sie. „Erzählst du uns jetzt endlich von der Königsfamilie?" Auch Gemma richtete sich nun interessiert auf. „Ja genau! Wie sind sie so? Hast du sie schonmal getroffen? Auch schonmal mit ihnen geredet?" Verlegen strich sich meine beste Freundin durch die Haare. „Nun ja... also es ist so, dass..." Die Augen der Schwestern wurden größer. „Jaaaaa?" hakten sie nach. Ich grinste, als ich sah wie nervös Sofie plötzlich war. „Sie sind nett." Beendete sie schließlich ihr Gestotter. Das stachelte die beiden Geschwister nur noch mehr an. Ihre Brüder hingegen schienen nicht so großes Interesse daran zu haben. Der Älteste, Hendrik, hörte zwar zu, widmete seine größte Aufmerksamkeit jedoch einem Blatt Papier und einem Stift. Er schien etwas zu zeichnen, doch ich konnte nicht sehen was. Die zwei kleinsten hingegen waren mit sich selbst beschäftigt.

„Hast du denn schon mit dem König gesprochen?" fragte Charlotte ehrfürchtig. Sofort färbten sich Sofies Wangen in einem zarten Rosa und sie schwieg. Da sie aus ihrer großen Schwester nichts herausbekamen, blickten die beiden Mädchen abwartend zu mir hinüber. Grinsend reckte ich einen Daumen in die Höhe. Die beiden kreischten aufgeregt. „Und? Wie ist er so?" „Wie oft habt ihr miteinander gesprochen? Ist er wirklich so unglaublich?" „Sieht er so gut aus wie man sagt?" Sofie presste  beide Lippen zusammen, darum sahen die Schwestern wieder mich an. Ich nickte nur und formte mit meinem Mund das Wort Wow. „Und mag er dich?" wollte Charlotte nun wissen. Empört riss Sofie die Augen auf. „Bitte? Wie kommst du denn auf die Idee? Ich bin eine einfache Magd und keine Prinzessin, außerdem haben wir noch nicht so oft miteinander gesprochen." Als die Schwestern hilfesuchend zu mir sahen, schüttelte ich bedauernd den Kopf und tat, als würde ich meinen Mund wie einen Reißverschluss verschließen. So weit würde ich meiner Freundin dann doch nicht in den Rücken fallen. Die Geste schien für die Beiden jedoch nur ein Anreiz zu sein, noch mehr zu fragen. Währenddessen kamen die Zwillinge auf mich zu und rückten neben mich. „Du hast schöne Augen! So dunkelbraun..." sagte der eine - war es John oder Marlon? - und der andere meinte: „Und schöne Haare. Ich mag blond." Etwas überfordert lächelte ich die Beiden an.

Sie schienen meine Verwirrung zu spüren, denn einer sagte: „Unsere Mami sagt, wenn wir etwas toll an jemandem finden, sollen wir es der Person auch sagen." Bekräftigend nickte der andere Zwilling. Ich nickte ebenfalls. Und ehe ich mich versah hatten die Beiden mich in eine Unterhaltung verwickelt, in der ich immer mit Ja oder Nein antworten konnte. Die Zeit verging und irgendwann waren beide Zwillinge neben mir eingeschlafen und hatten sich an mich gelehnt. Auch mit Sofies jüngeren Schwestern und Hendirk hatte ich mich unterhalten. Gerührt nahm ich wahr, wie mich Sofies Geschwister bereits als ein Mitglied ihrer Familie aufgenommen hatten. Und wie sehr mich dieses Gefühl bewegte. Dieses Empfinden, Teil einer Familie zu sein. Als es Abend wurde, verabschiedete ich mich von ihnen. Sofie wollte zwar, dass ich ebenfalls hierblieb, doch ich lehnte ab. Sie brauchten auch Zeit für sich. „Kommst du denn alleine zurecht?" fragte Sofie zögerlich. Es stand ihr ins Gesicht geschrieben, dass sie mich nicht allein lassen wollte. Ich lächelte sie beruhigend an und nickte. „Na schön." Sie zog mich in eine Umarmung und ich winkte den Geschwistern nochmal zu, ehe ich das Zimmer verließ und zu unserer Kammer ging.

Dort angekommen ließ ich mich auf mein Bett fallen und starrte eine Weile lang einfach an die Decke. Mir fiel sofort auf, wie still und befremdlich das Zimmer ohne Sofie war. Gerade begann ich, mich ein wenig einsam zu fühlen, als ich ein Geräusch hörte. Irritiert setzte ich mich auf. Da! Schon wieder! Es war seltsam, eine Art Klacken. Beim Dritten Mal erkannte ich, dass es ein Kieselstein war, der gegen das kleine Fenster geworfen wurde. Verwirrt öffnete ich das Fenster und sah hinaus. Draußen war es bereits dunkel geworden. Im Hof entdeckte ich eine Gestalt, die mir zuwinkte. War das etwa... „Hey Tia!" rief mir Kilian im Flüsterton zu. Da ich in einer niedrigen Etage lebte, konnte ich ihn sowohl gut hören als auch gut sehen. Er musste mich wohl genauso gut sehen, denn als ich ihm mit irritierte Miene und fuchtelnden Händen so etwas vermittelte wie Was um Himmels Willen machst du da? erwiderte er mit einem Grinsen: „Hast du Lust, mit mir zu kommen?" Auf meine fragende Miene, die soviel ausdrückte wie Wohin denn bitte um diese Uhrzeit? grinste er nur noch breiter. „Das wirst du schon sehen. Also, kommst du?" Zögernd sah ich zu ihm hinunter. Er trug nicht seine Uniform, sondern ein weißes Leinenhemd und eine braune Hose. Seine Miene war unbekümmert und gleichzeitig herausfordernd, was mich schließlich dazu trieb zu nicken und das Fenster zu schließen.

Bevor ich aus der Tür lief, überprüfte ich mein Aussehen im kleinen Handspiegel. Die nach hinten geflochtenen Strähnen waren etwas zerzaust, aber noch in Ordnung. Meine Haut war blass, aber nicht bleich. Und das schlichte rote Kleid war dank der Schürze, die ich nun abnahm, auch noch relativ sauber. Ich grunzte bei dem Gedanken daran, dass Margot mich so niemals hätte rausgehen lassen, sondern mich nochmal komplett neu hergerichtet hätte. Dann verließ ich mit eiligen Schritten das Zimmer. Dabei spürte ich sowohl steigende Aufregung als auch Nervosität in mir. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen?

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt