Kapitel 40

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Es fühlte sich an, als hätte mir jemand eine Faust in den Bauch gerammt. Die beiden sahen glücklich aus. Mochte Kilian Brunna mehr als eine Freundin? Sie war hübsch. Und sehr nett. Wie konnte er sie da nicht mögen? Der vernünftige Teil in mir sagte mir, mich für die beiden zu freuen, immerhin war Kilian mein Freund. Allerdings wollte mein Körper nicht darauf hören. Er hörte lieber auf den anderen, den überwiegenden Teil von mir. Aus einem kindlich naiven Glauben heraus hatte ich angenommen, Kilian würde nur mit mir tanzen wollen. Oder überhaupt mit mir. Nun, da mir diese Tatsache bewusst wurde, stellte ich gleichzeitig fest wie dumm ich gewesen war. Mit einer Mischung aus Enttäuschung und Neid betrachtete ich das Tanzpaar und könnte mich gleichzeitig dafür ohrfeigen. Um diese lächerlichen Gefühle abzuschütteln sah ich in eine andere Ecke des Raumes.

Mein Blick blieb an Albrecht hängen. Mit Stolz in den Augen sah er seiner Tochter beim Tanzen zu. Unwillkürlich musste ich an meinen Vater denken, und wie wir früher miteinander getanzt hatten. Ein kleines, wenn auch trauriges Lächeln entschlüpfte mir. "Tia?" Eine, nein, seine tiefe Stimme riss mich aus meinen Erinnerungen. Als mein Kopf herumfuhr, sah ich in ein Paar rehbrauner Augen. Verwirrt sah ich zu der Stelle, an der bis eben noch Kilian und Brunna getanzt hatten, doch der Platz war leer. Brunna unterhielt sich nun lachend mit einem Gast. Die Stimme des Prinzen lenkte meinen Blick wieder auf sein Gesicht. "Bist du gerade beschäftigt?" Er klang zögerlich, fast unsicher. Rasch schüttelte ich den Kopf. Dabei schlug mein Herz ein wenig schneller. „Würdest du dann" Mit ausgestreckter Hand beugte sich der Prinz ein wenig nach vorne. „Mit mir tanzen?" Ein kleines, schüchternes Lächeln umspielte sein Gesicht. Ehe ich einen klaren Gedanken fassen konnte, lag meine Hand bereits in seiner. Mit einem Lächeln, das sich einfach nicht abstellen lassen wollte, wurde ich nach draußen in den Garten auf eine große Rasenfläche geführt. Hier hielten sich nur vereinzelte Menschen auf, die uns gar nicht beachteten. Durch die offene Tür war die Musik noch gut zu hören.

Da ich keinen einzigen dyandrischen Volkstanz beherrschte, dauerte es eine Weile, bis Kilian mir die groben Schritte beigebracht hatte. Schlussendlich entschieden wir uns dafür, auf die Schritte zu pfeifen und uns stattdessen laut lachend einfach so zu bewegen, wie es uns gerade passte. Das war auch etwas schönes an diesem Ort, stellte ich fest. Hier ging es fiel entspannter zu als im Palast. Es kümmerte keinen, dass man nicht tanzen konnte. Es ging um den Spaß. Allmählich fühlte ich mich wirklich wohl hier. So wohl, dass ich keine Probleme damit hatte mit Kilian über den Rasen zu wirbeln, zu lachen (also ich zumindest lautlos) und mich nicht darum zu scheren, ob wir angestarrt wurden oder nicht. Dann endete das Lied und ein neues begann. Dieses hatte eine ruhigere und langsamere Melodie. Zwei Pärchen neben uns nahmen nun eine andere Haltung ein. Die Frauen legten den Männern ihre Arme um den Hals, und die Männer hielten ihre Partnerin an der Taille fest. Unschlüssig sah ich zu Kilian. Dieser hingegen grinste sein typisch schelmisches Grinsen, zuckte mit den Schultern und legte seine Hände vorsichtig um meine Taille. Augenblicklich stand mein Körper unter Strom. Langsam legte ich nun auch meine Hände auf seine Schultern, und wir begannen, uns im Takt der Musik zu wiegen.

Nun blendete ich unsere Umwelt endgültig aus. Alles, was noch exisiterte, waren Kilian, ich und der Mond, der sein Gesicht erhellte und die strahlend schönen Augen noch mehr hervorhob. Wie hypnotisiert starrte ich in eben diese. Wir waren uns so nahe, dass sein Atem meine Wange strich. Nur einmal war ich ihm bis jetzt so nah gewesen. Als er mich in den Armen zu meinem Zimmer getragen hatte. Allerdings hatte ich da geschlafen! Seine Nähe im wachen Zustand zu erleben war nochmal um einiges schöner als ich mir vorgestellt hatte. Tia, was denkst du denn da?! Reiß dich zusammen! Um meinen Kopf etwas zu klären, blinzelte ich ein paarmal. Es funktionierte sogar ein wenig. Doch wenn ich ihn nun so ansah, dann war er mir doch ein Rätsel. „Was ist?" drang Kilians tiefe Stimme an mein Ohr. „Du siehst aus, als wolltest du etwas sagen." Frustriert biss ich mir auf die Lippe und nickte. Ich wollte ihn etwas fragen, aber dafür musste ich schreiben und dafür hätte ich ihn loslassen müssen. Und das wollte ich nicht. Der Prinz schien zu ahnen, dass wir in dieser Position schlecht miteinander kommunizieren konnten. „Okay, dann machen wir es doch so: Du deutest an was du fragen willst, denn deine Augen verraten mir dass du eine Frage hast, und ich versuche zu erkennen, was du meinst." Kurz überlegte ich, bevor ich ihm mit einem Nicken antwortete. Kilian hatte mich bis jetzt, im Gegensatz zu anderen, immer gut auch ohne Worte verstanden. Wieso sollte es nun anders sein?

Während wir uns weiter zur Musik bewegten, drehte ich den Kopf ein wenig und hob anschließend die Schultern. Dann zeigte ich ihm eine verwirrte, hilflose Miene. Sie sollte so viel heißen wie: Warum hast du mich hier hergebracht? Lange sah der Prinz mir in die Augen, bevor er so leise sprach, dass nur wir beide es hören konnten: „Willst du wissen, warum ich dich hierhin mitgenommen habe?" Aufgeregt nickte ich wieder. Er lächelte, wobei ein kleines Lachen aus seiner Kehle drang. „Ehrlichgesagt weiß ich es selbst nicht so genau. Ich könnte dir jetzt etwas erzählen von wegen dass ich dachte, dass es dir hier gefällt und ich nicht wollte, dass Geheimnisse zwischen uns stehen." Bei dem Wort Geheimnisse zuckte ich innerlich zusammen und biss mir schuldbewusst auf die Lippe. Kilian merkte es trotzdem und lächelte warm. Dabei blickte er auf die Narbe an meinem Unterarm, der auf seiner Schulter lag. „Ich weiß, dass du noch nicht bereit bist, alles von dir zu erzählen und das respektiere ich auch. Ich wollte dir nur nichts verheimlichen." Überwältigt von seinen Worten starrte ich ihn an, während er weitersprach: „Zumindest wäre das eine mögliche Erklärung für das hier." Er deutete mit dem Kopf um sich herum und meinte unsere Situation. „Tatsächlich aber glaube ich, ich wollte dich einfach nur bei mir haben." Äußerlich erschien ich ruhig, aber in meinem Inneren herrschte ein totales Chaos, überwältigt von Glücksgefühlen. Ohne Nachzudenken lächelte ich ihn glücklich an, um ihm zumindest einen Teil davon klarzumachen, was sein Geständnis bei mir bewirkt hatte. Die dunkelbraunen Haare glänzten im Mondlicht fast schwarz und seine Augen leuchteten mich mit einer Wärme an, die mich erneut überwältigte. Ich fasste meinen Mut zusammen, kam einen Schritt näher und legte den Kopf auf seine Brust. Mein Tanzpartner keuchte überrascht, hob mich gleich darauf jedoch noch ein wenig fester.

Nun fiel auch noch die letzte Anspannung von mir ab. Mit einem Mal fühlte sich seine Nähe so natürlich an. Mit geschlossenen Augen sog ich den Duft des Prinzen nach Wald und Minze ein. Unter meinen Fingerspitzen konnte ich durch den dünnen Stoff seine Muskelstränge spüren und an meinem Ohr hörte ich seinen Herzschlag. Ich konnte mich an keinen Moment in den letzten Monaten erinnern, in dem ich so glücklich und zufrieden gewesen war.
Viel zu schnell waren die Lieder vorbei, inzwischen war es weit nach Mitternacht. Zu gerne hätte ich die ganze Nacht so weitergetanzt. Kilian war es schließlich, der sich sanft von mir löste und murmelte: „Es wird langsam Zeit, dass wir verschwinden." Nickend, darum bemüht meine Enttäuschung nicht zu zeigen, folgte ich ihm zurück ins Gasthaus. Meine Enttäuschung verflog jedoch, nachdem mich Albrecht mit einem freundschaftlichen Handschütteln und Brunna mit einer Umarmung verabschiedet hatten. Auf dem Heimweg hielt Kilian meine Hand. Natürlich, damit wir uns nicht verloren. Das Lächeln in meinem Gesicht ließ sich damit jedoch nicht wegwischen. Im Schloss war es ruhig, man schien die Suche nach dem Prinzen aufgegeben zu haben. Dieser verabschiedete sich von mir, sobald wir ins Schlossinnere gelangt waren. Bevor ich zu meiner Kammer lief, drückte ich ihm noch einen von mir beschrifteten Zettel in die Hand. In meiner Kammer warf ich mich auf mein Bett und schlief schon nach wenigen Minuten ein. Mit einem Lächeln auf den Lippen und in Gedanken daran, was auf dem Zettel stand.

Danke.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt