Kapitel 42

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Alle im Raum hielten den Atem an. Anne verstand es wirklich gut, dramatische Pausen zu machen. Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ sie die Bombe platzen. „...Sofie!" Neben mir erklang ein überraschtes Keuchen. Sofie schlug sich die Hände auf den Mund und sah Anne fassungslos, aber mit einem Strahlen im Gesicht an. Um mich herum hörte ich leise Seufzer und grummelnde Kommentare, die zwar alle ziemlich enttäuscht und ein wenig neidisch, aber nicht böse waren. Wie auch: Sofie war schließlich die perfekte Wahl dafür! Sicher konnte jeder nachvollziehen, warum gerade sie gewählt wurde. Sie war einfach immer gut drauf, stets hilfsbereit und freundlich und hatte ein Herz aus Gold. Und sie hatte es sich verdient, so viel und hart wie ich sie hatte arbeiten sehen. Vor Glück fast platzend nahm sie mich in den Arm, nachdem sie sich bei Anne bedankt hatte und die anderen wieder an die Arbeit gegangen waren. Ich erwiderte ihre Umarmung mit einem Lächeln im Gesicht und beglückwünschte sie, während ich mit der Enttäuschung in meinem Inneren kämpfte und der kleine Funke Hoffnung in mir erlosch, ihn jemals wieder zu sehen.

Am Abend in unserer Kammer war Sofie immernoch richtig aufgeputscht, sie schien ihr Glück immernoch nicht begreifen zu können. „Ich kann es gar nicht fassen" bestätigte sie meine Vermutung. Lächelnd setzte ich mich auf mein Bett und schrieb: Das solltest du aber. Du hast es dir verdient.
Aufgeregt erwiderte sie: „Stell dir nur vor, ich werde König Elias wiedersehen! Vielleicht wird er ja mit mir tanzen! Ein schwachsinniger Gedanke, ich weiß. Aber... möglich wäre es ja. Träumen darf man ja. Und wie es auf einem richtigen Ball wohl zugeht? Ich wollte dort schon seit Jahren hin! Unglaublich, dass sich dieser Traum jetzt erfüllt!" Aufgeregt redete sie weiter über ihre Vorstellungen, und ich hörte ihr einfach mit einem Lächeln zu. Doch es war schwer das Lächeln aufrecht zu erhalten, daher sah ich schnell weg und spielte stattdessen mit dem Medaillon um meinen Hals. Den Kloß an derselben Stelle ignorierte ich dabei bewusst. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?! Natürlich war die Idee totaler Schwachsinn gewesen! Und selbst wenn ich auf den Ball hätte gehendürfen, wie hoch war die Chance schon, dass er auch dort war? Mein Griff um die Kette wurde fester. Wie lange hatte ich ihn schon nicht mehr gesehen? Ich arbeitete nun seit drei Monaten im Palast. Waren es also wirklich schon fast neun Monate? Wie viele weitere würden wohl noch dazukommen? Würde ich ihn überhaupt jemals wiedersehen? Erschrocken schreckte ich vor dieser Frage zurück, die mir seit Monaten solche Angst machte. Nein, stellte ich entschlossen fest und schob den Gedanken in den hintersten Winkel meines Bewusstseins. So aussichtslos durfte ich nicht denken. Ich durfte meine Hoffnung nicht verlieren, schließlich war genau jene alles, was ich noch hatte.

„Alles in Ordnung?" riss Sofie mich aus meinen düsteren Gedanken. Besorgt musterte sie mein Gesicht. Schnell nickte ich und setzte ein Lächeln auf, doch es wurde eher eine Grimasse daraus. Meine beste Freundin musterte mich daraufhin nur noch kritischer. Dann schien ihr ein Licht aufzugehen und ihre Miene wurde schuldbewusst. „Wärst...wärst du gerne zum Ball gegangen?" Mein erster Impuls war, es abzustreiten, doch ich zögerte. Der Ball an sich war zwar nicht der Grund, wieso ich dorthin wollte, aber... Mein Zögern schien für Sofie Antwort genug zu sein. Sofort schlug sie die Hände vors Gesicht. „Oh nein, es tut mir so leid, Tia! Ich war die ganze Zeit so auf mich fixiert, dass ich gar nicht auf dich und deine Wünsche geachtet habe! Es tut mir so unendlich Leid, wirklich!" Sie kniete sich vor mich und legte ihre Hände in meinen Schoß. Dabei sah sie so reumütig aus, dass mir nun ein echtes Lächeln über die Lippen kam. Rasch wehrte ich mit den Händen ab und schrieb:

So ein Unsinn, dir soll nichts leidtun! Du hast es dir verdient und ich freue mich wirklich für dich! Es ist nur

„Was?" Auffordernd sah Sofie mich an, als ich nicht weiterschrieb. Mit dem Ansatz eines Grinsens fragte sie: „Ist es weil du gehofft hast, Prinz Kilian zu sehen?" Schnell schüttelte ich den Kopf, woraufhin wir beide grinsen mussten, denn sie wusste, dass das nicht ganz stimmte. Natürlich hätte  es mir gefallen, Kilian wiederzusehen. Aber vorrangig gab es einen anderen Grund. Seufzend setzte ich den Stift wieder aufs Papier.

Es ist so, dass ich gehofft hatte, dort jemanden zu finden. Ich habe ihn schon seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen, weil ich nicht weiß wo er sich aufhält. Aber ich vermisse ihn wirklich sehr und dachte, ich könnte ihn dort wiedertreffen. Zumindest besteht eine kleine Chance, dass er da sein wird.

Die Augen meiner besten Freundin vergrößerten sich schlagartig. Nun wich ihre schuldbewusste Miene einem Grinsen. „Uhhh, ist er dein Freund?" wollte sie neugierig wissen. Lächelnd schüttelte ich erneut den Kopf.

Nein, aber er bedeutet mir sehr viel. Er ist quasi das Letzte, was mir von meiner Familie .

Sofort kehrte ihr Gesicht zurück zum Schuldbewusstsein. „Oh nein, Tia! Es tut mir so Leid!" Sie nahm mich in den Arm. Ich erwiderte nichts, denn sie wusste, dass ich es ihr nicht übel nahm. „Hätte ich das gewusst, hätte ich mich extra schlecht benommen!" versicherte sie mir an meinem Ohr. Empört, aber mit einem Lächeln schrieb ich:

Wage es nicht! Das soll dein Abend werden, und ich freue mich für dich! Es wird andere Gelegenheiten für mich geben. Und jetzt reden wir darüber, wie es sein wird mit dem König zu tanzen!

Lachend las sie meine Zeilen. Mit geröteten Wangen erwiderte sie: „Na gut. Also..." Wir begannen darüber zu fantasieren, wie Sofie in einem sündhaft teuren, viel zu pompösen Kleid die Aufmerksamkeit aller Gäste (und besonders die des Königs) auf sich zieht und sie mit seiner königlichen Hoheit den ganzen Abend lang tanzen würde, weil er die Augen nicht von ihr abwenden kann. Diese Fantasien holten sie aus ihrem Schuldbewusstsein und mich aus meiner Trauer heraus. Zumindest für ein paar Stunden lang. Nur beim Einschlafen schlichen sich ein paar traurige Gedanken ein. Wie es ihm wohl ging? Was er wohl gerade machte? Ob er mich wohl genauso sehr vermisste wie ich ihn? Rasch fegte ich die Gedanken weg und drückte mein Gesicht tiefer ins Kissen. Nach einer Ewigkeit übermannte mich endlich der Schlaf.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt