Kapitel 45

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Es war das erste mal, dass ich die Königinmutter sah. Sie trug ein wunderschönes fliederfarbenes Kleid, dessen Taille mit Edelsteinen geschmückt war. Eine Kette aus denselben Steinen zierte ihren zierlichen Hals. Ihre Haare waren so hellblond dass sie beinahe weiß erschienen, genau wie bei ihrem ältesten Sohn. Es gab keine Throne im Saal, daher setzte sich die Königinmutter einfach in einen der Stühle am Rand des Saals und fing an mit einigen Damen zu plaudern. Der König trug heute eine cremefarbene Uniform, die golden schimmerte, mit der er zugegeben wie ein König des Himmels aussah. Die Hälfte der Damen im Raum begann bei seinem Anblick theatralisch zu seufzen. Dann blieb mein Blick an Kilian hängen. Er hatte nichts mehr von dem wagemutigen Ausreißer der nachts in einem Dorf mit einer Freundin tanzt. Nein, dort stand ganz der Prinz, der seiner Verantwortung bewusst war und sein Amt mit Freude ausführte. Er trug eine Prinzenuniform in einem sehr hellen grau, der, im Gegensatz zu seinem Bruder, silbern wie der Mond schimmerte. Als er seinen Blick über die Menge schweifen ließ und ihnen kurz winkte, meinte ich er hätte kurz innegehalten und mich erblickt. Vielleicht war das aber auch nur Wunschdenken gewesen, das meinem verschnellerten Herzschlag zu verdanken war.

Der König begann zu sprechen, doch meine Augen hingen weiter an Kilian. Dieser hatte seinen Blick nun über die Menge auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. „Liebe Gäste, ich heiße euch ganz herzlich willkommen zu unserem diesjährigen Sommerball! Es freut uns, dass Sie alle gekommen sind. Ich lade Sie nun ein, mit uns zu feiern und sich zu amüsieren. Traditionell eröffnen wir diesen Ball mit einem Tanz von Seiten eines Mitglieds der königlichen Familie und einem Partner seiner Wahl. Da ich die letzten Jahre diesen Part übernommen habe, habe ich ihn dieses Jahr an meinen Bruder übergeben. Mit diesen Worten beende ich meine Begrüßung und bitte nun um einen Applaus für den Prinzen!" Sofort ertönte Applaus, sowohl für den König als auch für Kilian, der seinem Bruder höflich zulächelte und dann auf das Publikum zuschritt. Ein Diener rief dazu aus, dass alle weiblichen Gäste nun vortreten und sich in einem Kreis aufstellen sollten. Sofort kamen alle der Aufforderung nach, so auch ich. Es stellte sich heraus, dass die Anzahl der weiblichen Gäste etwa der der männlichen entsprach und somit nicht wenig waren. Als sich alle zu einem Kreis versammelt hatten, markierten wir mit dem Kreisinneren gleichzeitig die Tanzfläche, in dessen Mitte der Prinz stand. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Langsam ließ er den Blick über die Mädchen gleiten und drehte sich dabei im Kreis. Wieder meinte ich, er sei eine Millisekunde lang an meinem Blick hängengeblieben.

Dann marschierte der Prinz näher zu einigen Damen in der entgegengesetzten Richtung und begann, den Kreis abzulaufen. Langsam ging er an jeder Dame vorüber, jeder nickte er höflich zu. Diese knicksten, sobald er vor ihnen stand, und machten enttäuschte Gesichter, als er weiterging. Je näher er mir kam, desto größer wurde die Aufregung in meinem Bauch. Ob er mich wohl wählen würde? So ein Unsinn! Erstens war das hier kein einfaches Gasthaus, sondern ein öffentlicher Ball, zweitens waren wir nur befreundet, drittens hatte er dich vermutlich nicht mal gesehen geschweige denn erkannt, viertens gab es hier mindestens hundert andere weitaus schönere Mädchen, die eine bessere Wahl waren als ich und fünftens sollte mir diese Erkenntnis egal sein! Du würdest gerne mit ihm tanzen. Du willst, dass er dich wählt. Es stimmte, bemerkte ich erschrocken. Das wollte ich. Und diese leise, hoffnungsvolle Stimme in mir, die gegen meine Vernunft ankämpfte, gefiel mir gar nicht: Er könnte dich wählen. Er hat es schon einmal getan. Entschlossen fegte ich meine Gedanken fort, als Kilian nur noch ein paar Damen entfernt war. Das Mädchen neben mir verschnellerte hörbar ihre Atmung. Dann war er bei ihr angekommen. Tief versank sie in einen Knicks, doch er nickte ihr nicht zu. Stattdessen sah er zu mir. Für einen Moment sah er in meine Augen und ich in seine. Einen Moment lang gab es nur uns zwei. In seinen Augen las ich so vieles und gleichzeitig gar nichts. Dann war der Moment vorbei. Er wandte das Gesicht ab und schritt an mir vorbei.

Es war wie ein Faustschlag ins Gesicht. Stattdessen hielt er vor dem Mädchen nach mir an, verbeugte sich und nahm lächelnd ihre Hand. „Prinzessin Feline, würdet Ihr mir die Freude bereiten, den ersten Tanz mit mir zu tanzen?" Ich sah das Gesicht der Prinzessin nicht, doch sie nickte und folgte dem Prinzen beschwingt auf die Tanzfläche. Sie hatte dunkle Locken, die aufwendig um ihr zartes Diadem gesteckt waren. Als die Beiden in der Mitte angekommen waren, nahmen sie ihre Positionen ein und warteten auf die Musik, die sofort begann zu spielen. Es war ein Walzer. Gebannt sahen alle Gäste auf das tanzende Paar. Dazu gehörte auch ich. Dabei wusste ich nicht, ob ich heulen oder mich übergeben sollte, doch ich versuchte Haltung zu waren, so wie man es mir beigebracht hatte. Wieso hatte er das getan? Warum hatte er mich mit einem solch intensiven Blick angesehen, nur um anschließend mit einem anderen Mädchen zu tanzen? Weil du nur Personal bist. Weil du nur eine Freundin bist. Weil... Warum kümmerte mich das so sehr? War es nicht von Anfang an klar gewesen? Schluckend sah ich in die Gesichter der Tanzenden. Kilian lächelte und ich sah, wie er sich mit seiner Tanzpartnerin unterhielt. Da sie sich immer und immer wieder drehten, bekam ich auch die Prinzessin zu Gesicht. Sie war sehr schön, vermutlich aus dem Süden. Und sie lächelte ebenfalls, sie lachte sogar einmal, was sich für eine Prinzessin eigentlich nicht gehörte. Doch selbst ihr Lachen war schön. Mir schoss eine Erinnerung durch den Kopf.

„Das gibt es ja nicht!" Mit einem gespielt schockierten Gesicht sah Prinz Kilian mich an. „Sie lacht! Sie lacht tatsächlich!" Es sah so albern aus, dass ich nur noch mehr in Versuchung war, laut loszulachen. Aber ich konnte mich beherrschen. Nachdem ich mich wieder unter Kontrolle hatte, bemerkte ich den Blick des Prinzen, der auf mir ruhte. Auf meinen fragenden Blick hin sagte er: „Ich würde es gerne mal hören." Irritiert sah ich ihn an. Was? „Dein Lachen." Seine Augen fixierten mich mit einem durchdringenden Blick.

Ich konnte das nicht länger mit ansehen. Mit einem Kloß im Hals wandte ich mich ab und lief durch die Menge bis zum Rand des Raumes. Von hier aus konnte man die Tanzfläche nicht sehen. Mit geschlossenen Augen atmete ich ein paarmal tief durch, dann hörte die Musik auf. Der Tanz war beendet. Die Menge klatschte und viele Menschen drängten sich nun selbst auf die Tanzfläche, als neue Musik ansetzte. Sie war fröhlich und hob die Stimmung der Gäste nur noch mehr, mich erreichte sie jedoch nicht. Stattdessen versuchte ich mich mit meiner Suche nach ihm abzulenken. Vielleicht hatte ich ihn ja nur übersehen... Mit suchendem Blick schritt ich an der Wand des Raumes entlang und machte schließlich an einem Buffet Halt. Zum einen hatte ich von hier einen ganz guten Blick auf die Gäste, und zum anderen musste ich einfach eines dieser köstlich aussehenden Pralinen probieren! Verstohlen schob ich mir eines in den Mund und fühlte mich gleich besser. Gerade überlegte ich, ob ich mir nicht noch eines erlauben sollte, als mich neben mir jemand ansprach. „Guten Abend, M'lady." Ein junger Mann in meinem Alter lächelte mich an und nahm meine Hand um sie zum Kuss anzuheben. Er hatte strohblonde Locken und eine lange Nase. So manche Frau würde ihn als ziemlich attraktiv beschreiben. In Gedanken an meine Manieren knickste ich und nickte kurz lächelnd. Interessiert fragte der Mann: „Seid Ihr alleine hier?" Oh nein, nun ging das wieder los. Erneut an diesem Abend verkrampfte sich mein Lächeln, als ich nickte.

Dass ich nicht antwortete, schreckte den Mann nicht im Geringsten ab. „Und wieso, wenn ich fragen darf?" Innerlich stöhnte ich gequält auf. Dieser Abend war ein Desaster! Sofie, Margot, Mutter, irgendjemand: rettet mich! Ich setzte bereits ein Schulterzucken an, als eine tiefe Stimme hinter mir erklang: „Entschuldigung, darf ich kurz stören?"

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt