Kapitel 54

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Eine Weile hatte ich einfach nur im Flur gesessen und die Decke angestarrt. Kilian war kurz nach meiner Umarmung wieder gegangen, er sagte er müsse sich darum kümmern, dass hier nicht noch mehr Chaos ausbrach und alles wieder in Ordnung gebracht wurde. Obwohl ich ein wenig traurig und überrascht über seinen plötzlichen Aufbruch war, konnte ich seine Gründe nachvollziehen. Dabei hoffte ich, dass es tatsächlich nur das war, und dass diese seltsame Distanz der letzten Tage nicht wiederkehren würde. Gleichzeitig war es auch gut, dass er ging, denn ich brauchte jetzt Zeit für mich. Ich musste verarbeiten, was alles in den letzten Stunden passiert war. Von jetzt auf Gleich sollte alles vorbei sein? Einfach so? Es klang so schön, doch ich traute mich nicht, daran zu glauben. Zudem klang es so unwirklich. Mein Verstand wollte es einfach nicht begreifen. Vielleicht dauerte das ja eine Weile...
Um mich herum wurde es nach und nach belebter, Menschen kamen aus ihren Verstecken und suchten nach Freunden und Angehörigen, wollten wissen was passiert war. Mich beachtete niemand. Erst als eine Silhouette mit sehr hellen, weißblonden Haaren und wunderschönen blauen Augen in den Flur hastete, sah ich auf. Als Elias mich am Boden kauern sah, hielt er an und sein sorgenvolles Gesicht lichete sich etwas. „Tia! Es freut mich zu sehen, dass es dir gut geht! Kilian erwähnte es zwar, aber es war mir wichtig, mich selbst davon zu überzeugen." Seine Worte erzeugten bei mir eine angenehme Wärme. Lächelnd ergriff ich seine ausgestreckte Hand und ließ mich von ihm hochziehen. Auch ich war wirklich froh, ihn kerngesund neben mir stehen zu sehen.

Abgesehen von der Last, die ihm ins Gesicht geschrieben stand. Gewonnen hin oder her - er hatte immernoch ein Königreich zu regieren, dessen Volk gerade einen Anschlag hinter sich hatte. Er tat mir ehrlich leid, doch ich war mir sicher, dass niemand anderes mit dieser Situation besser umgehen würde als Elias. „Ich freu mich auch, dich heil zu sehen." Normalerweise hätten wir so nicht gesprochen, wenn uns Menschen beobachten konnten, doch im Moment war jeder mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, dass wir niemandem auffielen. Daher sprach Elias ungehindert weiter. „Ich bin gerade dabei, mir die Schäden im Schloss anzusehen und mich zu vergewissern, dass alle Verletzten bereits versorgt werden, aber wo ich dich jetzt treffe..." Plötzlich sah der König etwas verlegen aus. Er kratzte sich am Hinterkopf, als er weitersprach. „Hast du... Ich meine, weißt du etwas von Sofie? Geht...es ihr gut?" SOFIE! Augenblicklich sackte mein Herz nach unten. Reflexartig schlug ich die Hand vor den Mund. „Oh nein! Das habe ich völlig vergessen!" Die Angst in meinen Augen beunruhigte auch Elias sichtlich, erst recht weil er kein Wort verstand. Doch mir blieb keine Zeit für Erklärungen, darum rannte ich den Gang entlang und bedeutete dem König mit einer Handbewegung, mir zu folgen. Sofie...wie hatte ich sie nur vergessen können?! Ich saß da und dachte über die unwichtigsten Dinge nach, während meine beste Freundin vielleicht verletzt oder sogar... Nein, daran durfte ich nicht denken. Das durfte nicht sein. Ich brauchte Gewissheit. Sofort. Doch es schienen Stunden zu vergehen, ehe wir endlich die letzte Treppe hinuntergeeilt waren und mich nur noch ein paar Meter von dem Raum trennten, in dem ich Sofie das letzte Mal gesehen hatte.

Die Tür war geschlossen. War das ein gutes Zeichen? Oder würde ich darin eine am Boden liegende, leblose Sofie finden? Erst als auch Elias hinter mir ankam, legte ich zögerlich eine Hand auf die Türklinke und versuchte sie zu öffnen. Verschlossen. „Sofie?" rief ich mit belegter Stimme und einem Funken Hoffnung. „Sofie, bist du da drin? Ich bins, Tia! Es ist alles in Ordnung, du kannst aufmachen!" Einige quälend lange Sekunden geschah nichts. Dann war von drinnen ein Geräusch zu hören. Jemand verschob Möbelstücke. Dann wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet. Als ich ein paar blauer Augen  und wilde rote Locken erkannte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Noch ehe ich etwas sagen konnte, riss Sofie die Tür auf und stürtzte sich in meine Arme. „Du hast wohl Spaß daran gefunden, mich zu quälen!" Murmelte sie weinerlich in meine Schulter. „Ich hatte eine Heidenangst um dich!" Waren das kleine Schluchzer? Gerührt und voller Schuldgefühle drückte ich sie an mich und vergrub das Gesicht in ihren Haaren. Die Worte Es tut mir Leid schienen mir in diesem Fall zu wenig, darum sagte ich einfach nichts. Erst als wir uns lösten und ich ihr verweintes, aber erleichtertes Gesicht sah, traute ich mich zu sprechen. „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist!" Sie schnaubte. „Mir?! Mir geht's super. ICH bin nicht wie eine Wahnsinnige unbewaffnet in ihr Verderben gerannt um nach meiner großen Liebe zu sehen, die auf sich selbst aufpassen kann!" Ich wusste, ihre Worte waren nicht verletzend gemeint, sondern drückten nur ihre Sorge um mich aus. Allerdings hätte sie sich den Teil mit der großen Liebe auch sparen dürfen. In diesem Moment räusperte sich jemand hinter uns. Oh nein. Elias hatte ich ja total vergessen! Sofort stieg mir die Röte ins Gesicht, denn er hatte jedes Wort mit angehört. Als ich mich umdrehte, las ich für einen kurzen Augenblick Erleichterung und Amüsement aud seinem Gesicht, dann galt seine volle Aufmerksamkeit meiner besten Freundin.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt