Erschrocken zuckte ich zusammen und sah auf. Vor mir stand Prinz Kilian und sah mich irritiert an. In seinem Blick lag Besorgnis, als er meine glasigen Augen sah. „Was ist passiert? Hast du geweint?" Hastig wischte ich mir über die Augen und schüttelte den Kopf. Im selben Moment wusste ich, dass ich nicht wirklich glaubwürdig rüberkam. Unerwartet beugte sich der Prinz plötzlich zu mir herunter und setzte sich neben mich. Mit dem Rücken lehnte er nun gegen den selben Baum wie ich. Unsere Schultern berührten sich beinahe, und aus irgendeinem Grund machte mich das plötzlich nervös. Zum Glück hatte ich geistesgegenwärtig mein Medaillon zugeklappt und ließ es nun zurück unter meine Kleidung wandern, wo es vor neugierigen Blicken geschützt war.
„Also" durchbrach der Mann neben mir die Stille. „Du kannst mir entweder erzählen warum du so traurig bist, und dich danach vielleicht besser fühlen, oder du frisst die Traurigkeit ihn dich hinein. So oder so: Ich habe gerade Zeit und Lust, noch ein Weilchen hier zu sitzen. Vielleicht willst du diese Zeit ja zum Reden nutzen." Verlegen starrte ich auf das Gras vor mir und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei war ich ziemlich froh, dass er mein Gesicht nicht sah. Sollte ich ihm von meinem Kummer erzählen? Vielleicht. Vielleicht würde es mir danach ja besser gehen. Schließlich atmete ich eimal tief aus, bevor ich nach meinem Notizbuch griff.
Heute ist der Todestag meiner Mutter.
Als er meinen Zettel las, drehte ich meinen Kopf auf die Seite um sein Gesicht zu betrachten. „Oh!" Er sah ehrlich bestürzt aus. „Es tut mir Leid. Das wusste ich nicht." Schwach lächelte ich ihn an. Es sollte so viel heißen wie: Schon gut. „Wie...wie lange ist es her?" wollte er vorsichtig wissen.
3 Jahre.
„Wie war sie so?" Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als ich schrieb:
Freundlich, herzlich, immer mit einem gütigen Lächeln im Gesicht. Egal wo sie hinging, sie verbeitete Glück und Frieden. Und sie schimpfte fast nie.
Nickend starrte er auf das Blatt Papier in seiner Hand. Eine Weile war es still. „Ich weiß, wie du dich fühlst. Mein Vater ist vor vier Jahren gestorben." Mit aufgerissenen Augen fuhr ich zu ihm herum. Er lächelte mich nur traurig an. Es stimmte, Sofie hatte mir erzählt, dass der König von Dyandra vor einigen Jahren verstorben war, nur war mir nicht bewusst, dass er auch ein verstorbener Vater war. Daran hatte ich nicht gedacht. Nun fühlte ich zwei Dinge gleichzeitig: Erleichterung, weil ich mit jemandem sprach, der den Schmerz kannte, und Mitleid, weil ich selbst mit diesem Schmerz nur all zu vertraut war.
Das tut mir ehrlich Leid.
Er lächelte und murmelte: „Schon verrückt: Manchmal denke ich immernoch, er sei da. Vertieft sich in seinem Büro in seine Arbeit und kommt spät Abends, um Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Das war ihm immer wichtig. Egal, wie viel er zu tun hatte: Er hatte immer Zeit für seine Familie." Ein bitteres Lachen kam aus seiner Kehle. „Ich hab ihn immer als mein Vorbild gesehen, und er hat mich immer unterstützt. Besonders, wenn es darum ging, an mich zu glauben. Elias war schon immer der bessere Prinz von uns beiden. Von Klein auf wurde er von allen vergöttert, weil er einfach in allem perfekt war. Und ich? Ich stand immer im Schatten. Ich war nicht perfekt. Ich machte Fehler, er nicht. Mein Vater aber hat uns beide immer gleich geliebt, und mich immer ermutigt, mein Bestes zu geben. Er hat mich geliebt wie ich bin. Mit meinen Fehlern. Das hat mir Kraft gegeben. Als er dann starb, gab es niemanden mehr, der mich bestärkte." Kurz machte er eine Pause.
Aufmerksam hörte ich zu, als er schließlich fortfuhr: „Eine Weile habe ich versucht, meinen Bruder nachzuahmen. Auch perfekt zu sein. Doch ich scheiterte. Versagte, immer wieder. Für jeden war ich eine Enttäuschung. Irgendwann..." Er schien mit sich zu ringen, als er weitersprach. „Irgendwann habe ich dann beschlossen genau das zu sein. Eine Enttäuschung. Wenn ich es sowieso niemandem recht machen konnte, dann würde ich es auch gar nicht erst versuchen." Darum hatte er sich also so benommen. So arrogant und unhöflich. Plötzlich sah ich den Mann vor mir in einem ganz anderen Licht. Ich sah auf einmal den kleinen Jungen, der immer nur sein bestes gab, und trotzdem nicht so anerkannt wurde wie sein großer Bruder. Ehe ich mich stoppen konnte, drehte ich mich plötzlich um und schloss ihn in die Arme. Prinz Kilian war sichtlich überrascht, doch nach einigen Momenten erwiderte er die Umarmung. Ungewollt bemerkte ich dabei, wie gut er roch. Nach Tannen und... etwas Waldigem .
Schließlich löste ich mich vorsichtig aus der Umarmung und wir lehnten uns etwas zurück. Unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Ich konnte nicht anders als in diese schönen, hellbraunen Augen zu starren. Eine leichte Brise ließ die Blätter der Bäume rascheln und wehten dem Prinzen ein paar Haarsträhnen ins Gesicht, was seine markanten Gesichtszüge noch attraktiver machte. Ein paar Sekunden veharrten wir so, dann räusperte sich der Prinz und ich zog mich schnell zurück und setzte mich wieder richtig hin. Dabei versuchte ich die Aufregung in mir zu unterdrücken. Um mich abzulenken schrieb ich auf mein Notizbuch:
Bist du deshalb so ein unfreundlicher Kotzbrocken geworden?
Als er meine Nachricht las, zog er eine Augenbraue hoch. Dann setzte er eine gespielt empörte Miene auf. „Ich? Ein unfreundlicher Kotzbrocken? Niemals!" Grinsend verdrehte ich die Augen. Dann nahm ich das Notizbuch wieder an mich, um etwas erwidern zu können, erstarrte jedoch, als mir etwas auffiel: Ich hatte den Prinzen mit „Du" angesprochen! Das war schon das zweite Mal! Schnell schrieb ich:
Bitte entschuldigt. Meine Anrede war nicht angemessen.
Er zog erneut eine Augenbraue hoch und sah mich amüsiert an. „Wie jetzt: Dafür entschuldigst du dich?! Und was ist mit dem Kotzbrocken?" Ich grinste wieder, erleichtert, das er es so gut aufnahm. Dann zuckte ich unschuldig mit den Schultern. Er erwiderte mein Grinsen. „Also wenn ich es dir schon durchgehen lasse, dass du mich Kotzbrocken nennst, kann ich es dir ja auch erlauben, die Förmlichkeiten zu vergessen. Es ist ohnehin nur fair, wenn wir uns beide duzen, nicht wahr?" Nun blieb mir der Mund offen stehen. Bot mir der Prinz gerade an, ihn ohne seinen Titel anzureden?! Aus irgendeinem Grund machte mich das verlegen, aber wirklich glücklich. Die Situation überforderte mich, darum sah ich auf den Boden.
„Tjaa, Ich sollte langsam mal wieder zurück gehen. Es gibt noch ein paar Dinge zu erledigen." Er stand auf und streckte sich. Dann bot er mir seine Hand an, um mir aufzuhelfen. Ich nahm sie dankbar entgegen. Als wir beide wieder standen, lächelte er und meinte. „Also, ich geh dann. War schön, mit dir zu reden. Bis dann, Tia!" Er wandte sich ab, doch ich griff nach seinem Arm, da ich ihn nicht rufen konnte. Fragend sah er mich an. „Ist noch etwas?" Nickend drückte ich ihm einen Zettel in die Hand.
Danke. Du hast mir sehr geholfen! Und du sollst eines wissen: Für mich bist du keine Enttäuschung, Kilian.
Das Lächeln, das er mir daraufhin schenkte, rettete mir meinen Tag endgültig.
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Sound of Silence
FantasyDie siebzehnjährige Tia reist aus ihrer Heimat in ein fremdes Land, um dort eine Arbeit am Königshof zu finden. Das neue Leben ist fremd und völlig ungewohnt. Sie kann sich zunächst nur schwer einleben, vor allem durch ihr besonderes Handicap. Zusät...