Kapitel 12

578 21 0
                                    

Ein paar Stunden später, die Dämmerung brach bereits an, gab es erneut eine Gelegenheit für mich, der Küche zu entkommen. Diesmal kam jedoch nicht Tim, sondern Anne in die Halle gestürmt. „Wer von euch kann seine Arbeit unterbrechen?" Kurz hielt mich die Angst vor einem weiteren Fiasko wie dem von heute Morgen zurück, dann verwarf ich den Gedanken jedoch wieder. Was geschehen war, war geschehen. Und als niedere Bedienstete zweimal an einem Tag einem arroganten Prinzen zu begegnen, war eigentlich unmöglich. Also zeigte ich auf. Mit ihrem Finger rief mich Anne zu sich.

Kritsch sah sie an mir herunter. Erleichtert betrachtete ich ebenfalls das einfache Leinenkleid, das ich trug. Vor der Mittagspause hatte ich mich umgezogen, da Sofie meinte, Anne käme öfters die Küche besuchen. Sie hatte Recht behalten. Stünde ich nun da in Hosen, hätte es womöglich Ärger gegeben. So aber nickte sie nur. „Du wirst gehen." Dann gab sie mir ein kleines Päckchen in die Hand und deutete auf die Tür. „Überbring das dem Baron Cantalon." Unsicher betrachtete ich das Päckchen. Ungeduldig zog Anne an meinem Arm und schob mich aus der Küche. „Na los!" Ehe ich mich versah stand ich im Gang, die Türe hinter mir geschlossen. Und jetzt? Wo musste ich überhaupt hin? Wo fand ich diesen Baron? Das hatte Anne nicht gesagt. Und noch einmal reingehen und dastehen wie ein Idiot wollte ich auf keinen Fall. Also musste ich den Baron wohl auf eigene Faust finden.

Ich erinnerte mich daran, dass der Adel im Palast ab dem fünften Stock wohnte, also begann ich dort zu suchen. Wie sollte ich ihn denn erkennen? Wie sah er aus? Seufzend lief ich durch die leeren Flure. Diese Suche würde dauern. Dachte ich zumindest. Als ich den fünften Stock abgesucht hatte und keinen Baron fand, führte ich meine Suche im sechsten Stock fort. Hier bemerkte ich eine Veränderung. Die Flure wirkten noch edler und imposanter als zuvor, außerdem war es irgendwie...stiller. Ich hatte das Gefühl die einzige Bedienstete hier zu sein. Unsicher lief ich durch die Gänge. Vielleicht konnte ich den Namen ja aufschreiben und jemandem zeigen... wenn ich denn jemanden fand.

Im Gehen sah ich zur Tasche meines Kleides, griff hinein und ... stieß prompt mit jemandem zusammen. Überrascht taumelte ich zurück, dabei fielen mir der Notizblock und das Päckchen aus der Hand. Da ich mit meinem Blick den fallenden Objekten gefolgt war, hatte ich noch nicht zu meinem Gegenüber aufgesehen. Allerdings sah ich seine Füße und Beine, die beide von edler Kleidung bedeckt waren. Ich sah eine weiße, anliegende Hose und ein paar dunkelblauer Stiefel mit goldener Borte. Nicht aufdringlich oder imposant wirkend, jedoch deutlich erkennbar aus teurem Material.
Ich war also mit einem Adeligen zusammengestoßen. Na super. Mein Tag konnte nicht besser werden.
Eilig griff ich nach dem Notizblock, schrieb darauf und verbeugte mich hastig, während ich meine Worte vorzeigte.

Ich bitte um Verzeihung, das war keine Absicht.

Der Herr vor mir gab ein Geräusch von sich, es hörte sich fast wie ein unterdrücktes Lachen an. Dann sagte eine tiefe Stimme: „Das macht doch nichts. Du musst dich nicht verbeugen!" Gehorsam richtete ich mich auf... und musste mich beherrschen, nicht entsetzt eine Hand vor den Mund zu schlagen. Vor mir stand König Elias und lächelte mich freundlich an.

Ich hatte noch nie ein Bild von ihm gesehen, und doch wusste ich, dass er es war. Etwas umgab ihn, eine Art natürliche, königliche Aura. Besser konnte ich es nicht beschreiben. Als ich ihn genauer betrachtete, wurde mir sofort klar, warum ihm laut Sofie das halbe Königreich verfallen war: Die dunkelblaue Uniform betonte seine Figur und ließ einen durchtrainierten Körper darunter erahnen, die aufrechte Haltung deutete klar auf einen Gentleman, ganz zu schweigen von dem freundlichen Lächeln, mit dem er mich ansah. Seine Haut war sehr hell, wirkte aber nicht blass. Die halblangen Haare, die seine Ohren etwas überdeckten, waren hellblond, im Licht schienen sie sogar weiß strahlend. Und nicht zuletzt besaß er tiefe, royalblaue Augen, die mich warm ansahen. Um es zusammenzufassen: Er sah wirklich unfassbar gut aus!

„Kann ich dir behilflich sein?" Sein Lächeln während dieser Frage verblüffte mich. Diese Freundlichkeit zu einer niederen Person hatte ich nicht erwartet. Eilig schrieb ich auf meinen Notizblock. In der Zeit entdeckte der König das am Boden liegende Päckchen und hob es auf. „Ich nehme an, das hast du verloren." Nickend empfing ich das Päckchen und deutete einen Knicks an, bevor ich ihm mein beschriftetes Blatt zeigte.

Könnt Ihr mir sagen, wo sich der Baron Cantalon befindet?

Nickend, als wäre es eine Selbstverständlichkeit mit ihm per Blatt zu kommunizieren, antwortete er: „Ich glaube, zur Zeit befindet er sich im Herrensalon. Vermutlich wirst du ihn dort finden." Dankbar knickste ich und er lächelte wieder. „Nichts zu danken." Schnell wandte ich mich ab und lief eilig davon.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt