Drei Tage noch bis zum Ball. Elias war bereits gestern mit seinem halben Hof zu dem Anwesen gereist, das nahe der Grenze zu Lavinia lag und auf dem in ein paar Tagen unzählige Gäste eintreffen würden. Mein Bruder, Vater, Sofie und ich waren ebenfalls mit dem König gegangen. Bei unserer Ankunft hatte Elias uns seinem Hofstaat auch richtig vorgestellt. Die Angestellten, die mich persönlich kannten und mit denen ich über Monate zusammengearbeitet hatte, waren sichtlich überrascht gewesen. Unter ihnen waren auch Anne und Tim. Der Junge hatte mich einige Momente lang einfach nur angestarrt, als wüsste er nicht, was er nun von mir halten sollte. Als ich ihm jedoch beruhigend zugelächelt hatte, schien er begriffen zu haben, dass ein Titel nichts an unserer Freundschaft ändern würde, und hatte zurückgelächelt. Anne hingegen hatte mich mit ihrer undurchdringlichen, finsteren Miene durchbohrt. Früher hätte sie mich damit geängstigt, doch ich hatte gelernt, dass hinter dieser rauen Fassade ein weicher Kern steckte. Darum hatte ich ihr offen in die Augen gesehen und ihr ein aufrichtiges Lächeln geschenkt. Meine Raktion hatte sie sichtlich verwirrt, weshalb ihre finstere Miene ins Wanken geraten war. Dann hatte sie den Kopf geschüttelt, als hätte ich den Verstand verloren. Und schließlich war, für eine winzige Sekunde, ein kleines Lächeln in ihrem Mundwinkel zu erkennen gewesen. Nachdem sich die Palastangestellten von dem Schock erholt hatten, dass eine weitere Königsfamilie wochenlang im Verborgenen bei ihnen gelebt hatte, freuten sie sich schließlich einfach für uns.
Lächelnd lehnte ich an der kühlen Fensterscheibe und sah hinaus. Der Garten des Anwesens war riesig. Kein Wunder waren so viele Menschen eingeladen - hier würde jeder Platz finden. Mein Blick schweifte durch den riesigen Raum, der mir zugewiesen wurde. Die Wände waren in einem hellen Blau gestrichen. An der Decke zeichneten sich geschwungene Ornamente ab, und der Boden war aus einem dunklen Holz. Es gab zwei riesige Betten, zwei Frisiertische, einen kleinen Arbeitstisch und ein paar Sessel in der Ecke. Durch die riesigen Fenster fiel viel Licht, sodass der ganze Raum freundlich erstrahlte. Sofie lebte mit mir zusammen hier, darauf hatte ich bestanden. Im Moment war sie jedoch nicht hier. Diese Gelegenheit wollte ich für etwas nutzen. Als hätte man meine Gedanken gelesen, klopfte es in diesem Augenblick. „Herein!" Eine Frau trat ein. Sie war klein, mittleren Alters und hatte ihre hellblonden Haare unter einer Haube versteckt. Ich hatte sie noch nie gesehen, daher vermutete ich, dass sie zu den Angestellten dieses Anwesens gehörte. Sie knickste, bevor sie ein paar Schritte auf mich zukam. „Hoheit, ich bin Agnes, die Schneiderin hier. Ihr ließet mich rufen?" Um mir einen Seufzer zu verkneifen, biss ich mir auf die Lippe. Ich hatte mich bereits daran gewöhnt, dass man mich gleichgestellt behandelte. Nun musste ich mich wohl wieder an die ständigen Knickse und förmliche Anreden gewöhnen. Lächelnd sah ich die Schneiderin an. „Ja, ich habe noch kein Kleid für den Ball. Könnt Ihr eines für mich schneidern?" Eifirg nickte Agnes. „Natürlich!" Hastig holte sie einen Notizblock und einen Stift hervor. Schmunzelnd dachte ich daran, wie ich bis vor kurzem diese beiden Utensilien ebenfalls ständig mit mir herumgetragen hatte.
„Habt Ihr bestimmte Vorstellungen für das Kleid, Hoheit?" Verlegen trat ich noch einen Schritt näher auf die kleine Frau zu. „Eigentlich sind es sogar zwei Kleider."~ drei Tage später; am Morgen des großen Tages
„Und? Hat er dich endlich gefragt?" Gespannt rutschte ich auf der Bettkante hin und her, während ich Sofie unverwandt anstarrte. Diese sah verlegen auf die Bettdecke unter ihren Fingern. „Ich weiß nicht, wovon du redest." Augenverdrehend rutschte ich noch ein Stück näher zu ihr. „Jetzt tu bloß nicht so! Dieses Versteckspiel zwischen dir und Elias geht schon viel zu lange so!" Nun sah sie auf und hob amüsiert eine Augenbraue. „Das sagt die Richtige. Wie viel Zeit haben Kilian und du denn gebraucht um euch zu finden, hm? Ewig!" „Lenk jetzt nicht ab!" hielt ich dagegen und bemühte mich um einen neutralen Ton. „Hat Elias dich gefragt, ob du seine Begleitung sein willst, ja oder nein?" Einige Momente biss sie sich auf die Lippe, bevor sie schließlich mit leuchtenden Augen nickte. Vor Freude quiekte ich begeistert auf. „Ich wusste es!" Begeistert sprang ich vom Bett auf und tippelte jubelnd durch das Zimmer. Es war früher Morgen, einige schliefen vermutlich noch, doch das war mir egal. Ich freute mich einfach nur so für meine beste Freundin. Als ich jedoch erneut zu ihr sah, hielt ich inne. Etwas stimmte nicht. Sie saß immernoch ganz still auf dem Bett und hatte eine beklommene Miene aufgesetzt. Diese Reaktion war absolut nicht angebracht. Mit einem Schlag war meine Euphorie verschwunden. „Was ist los?" fragte ich alarmiert. „Ich... ich habe abgelehnt." Siebzehn Jahre Benimmunterricht hatten nicht verhindern können, dass mir nun die Kinnlade hinunterfiel. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ihre Stimme war sehr leise, ich hatte Mühe sie zu verstehen, und doch waren die Worte wie ein Eimer voll eiskaltem Wasser, der mich überschüttete und mich brutal aus meinen Träumen holte. Beschämt sah sie auf ihre Hände. Dabei fiel ihr eine ihrer wunderschönen roten Locken ins Gesicht.
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Sound of Silence
FantasyDie siebzehnjährige Tia reist aus ihrer Heimat in ein fremdes Land, um dort eine Arbeit am Königshof zu finden. Das neue Leben ist fremd und völlig ungewohnt. Sie kann sich zunächst nur schwer einleben, vor allem durch ihr besonderes Handicap. Zusät...