Kapitel 3

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Als ich wach wurde öffnete ich meine Augen noch nicht sofort. Zuerst spürte ich das harte Bettgestell unter mir. Dann fiel mir wieder ein wo ich war. Nach einem tiefen Atemzug öffnete ich schließlich meine Augen. Ich lag auf der Seite und sah auf die Wand vor mir. Durch das kleine Fenster sah man den Himmel, der sich am Horizont von einem dunkelblau über ein lavendellila zu einem zarten rosa färbte. Um nicht zu spät zur Arbeit zu erscheinen, setzte ich mich auf und drehte mich, sodass mein Blick nicht mehr der Wand sondern dem Raum zugewandt war.

Erschrocken stellte ich fest, dass ich nicht alleine war. Vor Schreck schnappte ich nach Luft und lehnte mich instinktiv zurück. Auf dem anderen Bett saß ein Mädchen in meinem Alter und beobachtete mich aufmerksam. Sie trug ein schlichtes braunes Kleid und darüber eine weiße Schürze. Ihr Gesicht war blass, nur auf der Nase waren Sommersprossen zu erkennen. Die langen, kupferroten Locken hatte sie schlicht mit einem Band zusammengebunden. Ihre Augen leuchteten hellblau und sahen mich neugierig an.

„Hallo! Du bist wohl meine neue Mitbewohnerin. Ich bin Sofie!" Mit einem freundlichen Lächeln streckte sie mir die Hand entgegen. Immernoch etwas irritiert von dem Schock gerade beugte ich mich vor und ergriff ihre Hand. Abwartend sah sie mich an. „Und du heißt...?" Ich zog meine Hand zurück, griff in meine Kleidtasche und zog Block und Stift hervor. Schnell schrieb ich meinen Namen auf und zeigte Sofie anschließend die Seite.
Tia. Mein Name ist Tia. In den letzten Jahren hatte ich gelernt, schnell und trotzdem ordentlich zu schreiben. Nun schrieb ich fast genauso schnell wie ich sprechen würde.

Interessiert, ohne dabei böse zu wirken, sah Sofie von dem Blatt auf. „Schöner Name! Bist du diejenige, die stumm ist?" Wenn man nicht normal war, sprach sich das sehr schnell rum. So war es vermutlich auch hier. Wieder sträubte sich etwas bei dem Wort stumm in mir, doch ich beließ es dabei. So ersparte ich mir viele Fragen, die besser nicht gestellt werden sollten. Also nickte ich stattdessen unsicher. War diese Sofie nun enttäuscht, dass sie jemanden wie mich als Mitbewohnerin hatte? Immerhin würden unsere zukünftigen Gespräche für sie wohl ziemlich einseitig verlaufen. Doch sie sah nicht im Geringsten abgeschreckt oder voreingenommen aus, so wie ich es gewohnt war. Stattdessen wurden ihre Augen größer. „Kannst du dann auch Gebärdensprache oder so?" Wieder nickte ich nur.

Nun schien sie begeistert. „Wie cool! Kannst du mir was beibringen? Ich wollte der Miesmuschel schon immer mal die Meinung geigen, ohne dass sie eine Ahnung hat, was ich da eigentlich sage!" Irritiert schrieb ich auf:
Miesmuschel?
Als sie es las, begann sie zu grinsen. „Oh, so nennt das Personal die Schreckschraube und Oberchefin Anne. Ich arbeite jetzt schon drei Jahre hier und hab sie noch nie gut gelaunt erlebt!" Ihre Worte und ihre lockere Art zauberten mir ein kleines Lächeln ins Gesicht. Sofie war die erste fremde Person seit langem die mich so nett behandelte. Sie war mir sympatisch. Als sie sah, dass ich lächeln musste, erwiderte sie dieses. Sie hatte ein sehr schönes Lächeln. Überhaupt war sie sehr schön.

„Komm, wir müssen jetzt los. Sonst kommt die Miesmuschel und wirft uns persönlich aus dem Bett. Und glaub mir: Das willst du nicht erleben!" Sie tat, als würde ihr ein Schauer über den Rücken laufen und zog dabei eine Grimasse. Daraufhin musste ich grinsen. Bevor wir aus der Tür gingen, reichte mir die rothaarige noch eine Schürze. „Hier, die brauchst du, um deine Kleidung zu schützen. Leider hast du keine Zeit mehr dich umzuziehen." Sie sah mich entschuldigend an. Ich machte eine wegwerfende Handbewegung, um ihr zu zeigen, dass es nicht schlimm war. Ich besaß nicht viele Kleider, daher hätte ich mich sowieso nicht umgezogen. Allerdings fasste ich mir an den Kopf, um zu prüfen wie viel von meiner Frisur noch übrig war. Wie zu erwarten: Nichts. Viele Strähnen waren herausgefallen und standen mir vermutlich vom Kopf ab.

Also löste ich das Haarband, ordnete mein Haare ein wenig, band sie schnell wieder zusammen und ging anschließend zu meinem Bett, um dort etwas aus meiner Tasche zu holen. Schließlich fand ich, was ich suchte: Eine Mütze. Sie war dunkelbraun und wie ein Beutel geformt. Eilig setzte ich sie auf und versteckte meine Haare darunter. So waren sie aus dem Weg, ich musste keine aufwendige Frisur herstellen und sie wurden vor Schmutz und Dreck geschützt. Endlich bereit verließ ich mit Sofie unser Zimmer.

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