Kapitel 51

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"Als ich noch ein kleines Mädchen war, war meine Welt noch in Ordnung. Diesen ganzen Prinzessinnenkram habe ich gar nicht so sehr mitbekommen, für mich gab es einfach nur unsere kleine Welt im Palast mit meiner Familie. Meinem Vater, meiner Mutter und meinem Bruder Erik. Wir lebten glücklich dort. Erik und ich waren natürlich alles andere als anständige Kinder, ständig sind wir durchs Schloss gerannt und haben Unfug angestellt. Meine Eltern waren ein gutes und gerechtes Herrscherpaar, und auch unserem Volk ging es gut. Es gab ertragreiche Ernten, wenig Streit und fast nur glückliche Tage. Bis meine Mutter krank wurde." Kurz musste ich schlucken, und Kilian strich mir sanft über den Arm bevor ich weitersprach. „Die Ärzte haben innere Blutungen festgestellt, konnten jedoch nicht viel tun. Also...starb sie." Tränen stiegen mir in die Augen, doch ich schaffte es sie wegzublinzeln. „An diesem Tag habe ich geschrien. Ich lag neben ihr, weinte und schrie verzweifelt nach Hilfe. Ich war erst 14, ich habe nicht begriffen was vor sich ging. Ich wollte es nicht. Ich schrie solange, bis mein Hals wund war und kein Laut mehr aus meiner Kehle kommen konnte. Doch mein Schreien und Flehen hat nichts genützt. Niemand hat meiner Mutter geholfen, keiner hat sie gerettet. Durch das Schreien hat meine Stimme ein paar Tage lang nicht funktioniert, und damals hatte ich beschlossen, dass es auch so bleiben sollte. Wenn niemand meine Stimme erhörte, warum sollte ich sie dann benutzen? Von diesem Moment an habe ich bis auf eine Ausnahme keinen Laut mehr von mir gegeben." Kurz machte ich eine Atempause. Kilian nutzte diese um mich etwas fester an sich zu drücken. „Ich verstehe..." murmelte er an meine Schulter.

„Der Tod von Mutter war für unsere Familie damals ein schwerer Schlag. Eine Zeit lang war es, als wäre uns das Licht in der Welt genommen worden. Unser Volk hatte seine Königin verloren, Vater seine geliebte Frau und Erik und ich eine liebevolle Mutter. Gleichzeitig hat dieses Ereignis unsere Familie aber noch stärker zusammengebracht. Wir waren in unserer Trauer füreinander da und haben uns umeinander gekümmert. Vor allem Erik und ich. Ohne ihn wäre ich verzweifelt, aber er war immer für mich da und hat mich aufgeheitert, wenn es mir mal wieder schlecht ging. Beinahe waren wir unzertrennlich. Ich glaube nach Mutters Tod haben wir uns nicht einmal mehr gestritten! Nach der Trauerzeit hatte ich die Hoffnung, wir könnten doch noch glücklich werden. Aber dann... vor neun Monaten..." Ein heftiger Schluchzer packte mich und Kilian strich mir beruhigend über den Kopf. Trotz der schmerzhaften Erinnerungen, die mich überfielen, spürte ich gleichzeitig eine tröstende Wärme, ein Gefühl von Geborgenheit. „Was ist passiert?" flüsterte Kilian ohne mich loszulassen. Ich bin nicht allein. Dieser Gedanke gab mir die Kraft, die einströmenden Erinnerungen zuzulassen und ihm alle Einzelheiten von der schlimmsten Nacht meines Lebens zu erzählen. Ich erinnerte mich daran, als wäre es gestern gewesen...

Mein Schlaf war traumlos gewesen. Bis ich eine Stimme hörte. „Hoheit!" Sie war leise, aber bestimmt. Missmutig ließ ich die Augen geschlossen und kuschelte mich tiefer in mein warmes Bett. Es war sicher noch viel zu früh zum Aufstehen. Ich wollte weiterschlafen! Doch die Stimme ließ nicht locker. „Hoheit! Ihr müsst aufstehen! Bitte!" Nun rüttelte jemand an meiner Schulter. Verschlafen öffnete ich die Augen und sah für einen Moment nichts. Dann gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich erkannte meine Zofe Emmie, die vor meinem Bett stand. Was machte sie hier mitten in der Nacht? Und wieso sah sie so verängstigt aus? „Hoheit, bitte steht auf! Das Schloss wird belagert von Rebellen, sie haben es bereits in die erste Etage geschafft! Wir müssen hier weg! Ihr müsst mitkommen, schnell!" Während ich noch im Begriff war, ihre Worte zu verstehen, zog sie mich auf die Beine und half mir in meinen Morgenmantel. In meinem kurzen Nachtkleid war es sonst zu kalt. Nur Schuhe konnte ich keine mehr anziehen, Emmie schob mich bereits durch die Tür. Im Flur war es dunkel, doch von fern hörte ich Rufe und Schreie. Nun war ich hellwach. Was hatte Emmie gesagt? Rebellen? Sie waren hier? Im Palast?! Wie war das möglich?! Angst packte mich. In diesem Flur war niemand, doch das würde sich bald ändern. Und was war mit Erik und Vater? Waren sie bereits in Sicherheit? Schliefen sie noch? All das wollte ich meine Zofe fragen, doch diese konzentrierte sich auf die gegenüberliegende Wand. Ein kaum sichtbarer Hebel an der Seite öffnete einen Gang, dessen Treppe nach unten führte. „Kommt!" Sie zog mich in den Gang und eilte mit mir die Treppen hinunter. Meine Gedanken überschlugen sich. Nur gut, dass Emmie einen klaren Kopf behielt.

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