Kapitel 41

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Ein lautes Klopfen unterbrach meinen Schlaf. Dann kam auch eine Stimme dazu: „Hey Mädchen, aufstehen! Du hast keinen Urlaub!" Verschlafen öffnete ich die Augen und wurde direkt von Sonnenstrahlen geblendet. Moment, Sonnenstrahlen?! Mit einem Schlag war ich hellwach und sprang aus dem Bett. Die Stimme draußen gehörte Anne. Als sie merkte, dass ich aufgewacht war, ging sie und rief dabei: „Du stehst in zehn Minuten in der Küche!" Mein Nicken konnte sie nicht sehen, aber das war auch nicht so wichtig. Nun musste ich mich beeilen! Rasch waschen, neues Arbeitskleid anziehen und statt einer Frisur die Haare unter einer Mütze verstecken. Als das erledigt war, stürmte ich regelrecht aus dem Zimmer und rannte durch das Schloss. Für eine Dame gehörte sich das ganz und gar nicht, aber ich war ja hier keine Dame sondern eine Magd. Und außerdem war ich dabei meinen Job zu verlieren. Während ich durch die Flure rannte, bemerkte ich etwas seltsames. Irgendetwas war heute anders. Ich hatte zu wenig geschlafen, und trotzdem fühlte ich mich gut und ausgeruht. Dann fiel mir ein woran das lag: Ich hatte keinen Alptraum gehabt. Das muss wohl an dem Abend gestern gelegen haben. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich daran dachte. Mit diesem Lächeln im Gesicht kam ich in der Küche an, wo mich Anne bereits mit einer strengen Miene erwartete.

Meine gute Laune konnte dadurch jedoch nicht getrübt werden. Den ganzen Vormittag über arbeitete ich so viel ich konnte um Annes Stimmung zu heben. Dabei vergingen die Stunden wie im Flug, und ehe ich mich versah, durfte ich bereits in die Mittagspause. Nachdem ich hastig gegessen hatte, suchte ich das Zimmer von Sofie und ihren Geschwistern auf. Dort wurde ich herzlich begrüßt und Sofie versicherte mir tausend Mal wie sehr ich ihr in der Nacht gefehlt hätte. Gleichzeitig stand ihr die Freude darüber, bei ihren Geschwistern geblieben zu sein, ins Gesicht geschrieben. Es machte mir nichts aus, ich freute mich nur einfach für sie. „Du musst ja so einsam gewesen sein." stellte meine beste Freundin erschüttert fest und sah mich schuldbewusst an. Sofort biss ich mir auf die Lippe und zwang mich, nicht zu Boden zu sehen. Ich war gestern Abend vieles, aber einsam auf keinen Fall. Allerdings wollte ich Sofie nicht von der Sache mit Kilian erzählen. Nicht, dass ich ihr nicht vertraute, aber dieses Erlebnis fühlte sich einfach so...privat an. Noch wollte ich es mit niemandem teilen. Noch sollte es mein kleines Geheimnis bleiben.

Vor Sophie schien ich jedoch nichts verstecken zu können. Mal abgesehen von dem klitzekleinen Geheimnis meiner Vergangenheit. Als wir das Zimmer verließen um noch ein wenig Zeit für uns alleine haben zu können, sprach sie das Thema nochmal an. „Du hast irgendwas." stellte sie fest. „Irgendetwas ist gestern passiert." Ehe ich etwas erwidern konnte, kam uns meine Rettung im Flur entgegen: Seine königliche Hoheit schritt erfreut auf uns zu, als er uns erblickte. „Ah, nach Euch habe ich gesucht, meine Damen. Nun ja, eigentlich nach dir, Sofie." gab er mit einem Schmunzeln zu. Wir knicksten rasch, während Sofie ihn gebannt und auch irgendwie irritiert ansah. Dabei wurden ihre Wangen rosig. „So? Wieso denn, Hoheit?" Der König lächelte sie an. Er trug einen hellblauen Anzug, durch den seine tiefblauen Augen noch mehr zur Geltung kamen. „Ich wollte mich danach erkundigen, ob deine Geschwister gut angekommen sind, und habe mich gefragt, ob ich sie nicht einmal kennenlernen dürfte." Einen Moment lang herrschte Stille. Und ein bemerkenswerter Augenkontakt zwischen dem König und meiner besten Freundin. Diese erwachte schließlich aus ihrer Starre, als ich sie leicht anstubste. „Meint Ihr das Ernst?! Ja, natürlich! Meine Geschwister werden sich freuen!" quiekte sie. Dabei glänzten ihre Augen vor Freude. Auch der König strahlte nun. Er wirkte so jung, wenn er so strahlte. Nicht wie ein König, sondern der einfache Zwanzigjährige der in ihm steckte. Mit diesem Strahlen bot er meiner besten Freundin den Arm an. „Na dann: Führ mich doch bitte zu ihnen."

Ausnahmsweise vergaßen mich die Beiden nicht völlig, sondern verabschiedeten sich noch von mir, ehe sie zurück zum Gästezimmer liefen. Kopfschüttelnd betrachtete ich die Beiden, bevor ich mich umdrehte, um zurück zur Hauptküche zu laufen. Als ich auf den Hof lief, kam mir jemand entgegen. Jemand mit braunen Haaren und Rehaugen. Diese Augen waren allerdings in ein Schriftstück vertieft, so dass er mich nicht kommen sah. Mit einem unterdrückten Grinsen blieb ich stehen, zückte Notizblock und Stift, beschriftete eine Seite und lief anschließend die letzten Meter bis zu Kilian. Erst als ich direkt vor ihm stand, sah er auf. Kurz hatte ich Angst, er würde sich nach letzter Nacht nun sehr distanziert verhalten. Als sich jedoch ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, entspannten sich meine Muskeln. „Hey Tia!" Schnell zeigte ich ihm mein Blatt. Er las laut vor: „Heute keine Entführung von Dienstmägden geplant?" Ein tiefes Lachen drang aus seiner Kehle und entlockte mir einen Schauer, der mir über den Rücken lief. „Nein" sagte er dann grinsend und kam mir mit dem Gesicht etwas näher. Seine Augen blitzten schelmisch. „Dieses Privileg steht allein dir zu." Mein Herzschlag verschnellerte sich, doch ich versuchte ruhig zu bleiben, als ich eine Antwort schrieb.

Juhu, ich darf als Einzige von dir entführt werden. Mein Traum hat sich erfüllt.

Dabei streckte ich ihm die Zunge raus, woraufhin er erneut lachen musste. „Hoheit!" unterbrach jemand unser Gespräch. Ein paar Meter weiter stand ein Minister, der den Prinzen zu sich winkte. Diesem entfuhr augenblicklich ein genervtes Stöhnen, bevor er dem Mann zunickte. „Ich muss los, aber wir sehen uns. Bis dann, ja?" entschuldigte er sich bei mir. Nickend bestätigte ich seine Worte. Damit verließ er mich und schlenderte, nein, stapfte zu dem Minister hinüber. Und ich ging weiter meiner Arbeit nach.

~

"Alle mal herkommen!" brüllte Anne, als sie in die Hauptküche eintrat. Sofort ließen alle Angestellte ihre Geräte liegen und liefen zur Miesmuschel. Fragend sahen Sofie und ich uns an, bevor wir schließlich Lappen und Küchenmesser beiseite legten und zu den anderen in den Kreis traten. Neben mir stand Tim, doch seine Miene war unergründlich als ich aus dieser herauszufinden versuchte was hier los war. Wollte man jemanden von uns entlassen? Nein, dazu wurde hier zuviel Aufsehen gemacht. Aber was dann? Neugierig sah ich zu Anne, die nun zu sprechen begann: "Wie ihr wisst, findet morgen Abend der jährliche Sommerball statt." Um mich herum begann aufgeregtes Tuscheln. Es war genau eine Woche her seit Kilian mich mit ins Dorf genommen hatte. Vor ein paar Tagen hatten sich Sofies Geschwister dann von uns verabschiedet. Beide Seiten waren sehr traurig darüber gewesen, doch die Trauer verging schnell und machte dem Alltag wieder Platz.

Sofies Augen neben mir begannen aufgeregt zu leuchten. „Und wie ihr ebenfalls wisst" fuhr Anne in deutlich lauterem Ton fort, um weiterhin für alle gut hörbar zu sein. „Wird es Dank unseres überaus gütigen Königs wie in jedem Jahr einem Angestellten des Palastes ermöglicht als Gast daran teilzuhaben. Dieses Privileg vergebe ich wie immer an die Person, deren Benehmen und Arbeitsmoral absolut tadellos in diesem Jahr war." Das Tuscheln wurde lauter. Auch Sofie drückte angespannt meine Hand. Nun erkannte ich warum alle so aufgeregt waren. Sicher war es für jeden hier die einmalige Chance, sich einen Abend lang nicht wie ein Bediensteter zu fühlen, sondern wie ein Gleichgestellter gegenüber den ganzen anderen Adligen, die dort auftauchen würden. Moment mal... Mir kam plötzlich ein wichtiger Gedanke. Dieser Ball... Dort würden sich Gäste aus dem ganzen Land zusammenfinden, mehr noch: Sicher auch von anderen Ländern! Bestimmt auch aus Lavinia! Das bedeutete... Mein Atem verschnellerte sich, als ich an einem Gedanken festhielt: Vielleicht würde auch ER den Ball besuchen! Plötzlich wurde mir klar, was für ein Angebot Anne da beschrieben hatte. Die Möglichkeit, auf diesen Ball zu gehen! Die Möglichkeit, ihn dort zu suchen und hoffentlich auch zu treffen! Meine Gelassenheit verschwand innerhalb einer Sekunde. Nun war ich eben so aufgeregt wie die anderen. Wenn ich die Chance bekäme...

„Jedenfalls" unterbrach Anne die tuschelnden Gespräche und sorgte für absolute, angespannte Stille. „Habe ich mich dieses Jahr entschieden für..."

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt