Kapitel 10

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Ein Mädchen, etwa 14 Jahre alt, lag auf einer Wiese im Garten und beobachtete die am Himmel vorbeiziehenden Wolken, als ihr Name gerufen wurde. Als sie sich aufrichtete, erkannte sie ihre Eltern, die auf sie zuliefen. Mama trug ein Kleid in einem zarten rosa, und obwohl es nicht sehr edel war, sah sie darin bezaubernd aus. Ihre hellen Haare waren aufgesteckt, doch ein paar einzelne Strähnen hatten sich bereits aus der Frisur gelöst. Doch das war nicht wichtig bei ihrem Anblick. Alles, worauf man achtete, war das schöne, gütige Lächeln, welches ihr Gesicht zierte. Auch Papa wirkte glücklich, als er auf das Mädchen zukam. Diese rannte ihnen entgegen. „Papa! Hast du die Wolke gesehen?" Er sah in die Richtung in die sie zeigte, bevor er grübelte. „Ja! Hmmm... ein...Schmetterling? Oder ein Pferd?" Sie lachte empört. „Nein! Ein Eisbär, das sieht man doch!" Er lachte und fasste sich an die Stirn. „Natürlich! Wie konnte ich das nicht wissen!" Beide lachten. Auch Mama. Sie kannte diese Spiele schon von uns. Eine Weile riet das Mädchen weiter mit ihrem Papa Wolkenbilder. Zusammen lachten wir, und auch Mama, die nur zusah, musste immer wieder lachen. Allerdigs entging dem Mädchen nicht, dass ihr Lachen immer öfter von einem Husten unterbrochen wurde. „Geht es dir gut?" wollte sie schließlich besorgt wissen. Mama winkte lächelnd ab. „Jaja, meine Kehle ist nur etwas trocken." Auch Papa sah sie nun besorgt an. „Dann trink bitte etwas. Das hört sich nicht gesund an." Sie nickte und wandte sich ab. Nach ein paar Schritten knickte sie jedoch plötzlich ein und fing wie verrückt an zu husten. „Mama!" Erschrocken rannten beide zu ihr. Entsetzt sah das Mädchden, dass die Frau Blut spuckte.

Keuchend riss ich die Augen auf. Mein Atem ging nur stoßweise, meine Stirn war nass und meine Augen verklebt von den geweinten Tränen. Überraschend war allerdings, dass jemand auf meiner Bettkante saß. Sofie sah mich mitleidig an und strich mir über die Wange. „Alles ist gut, du hast nur schlecht geträumt." beruhigte sie mich. Zitternd richtete ich mich auf. Ein Traum. Nur ein Traum. Sofie sah, wie mitgenommen ich war, darum rutschte sie noch etwas näher und legte die Arme um mich. Kurz war ich erschrocken über diese Geste, dann umarmte ich sie ebenfalls und legte mein Gesicht auf ihre Schulter. Eine Weile saßen wir einfach so da. Ich genoss die Wärme, die von meiner Mitbewohnerin ausging, und beruhigte mich langsam. Sofie sagte nichts, sie hielt mich einfach fest bis ich mich beruhigt hatte.

Dann löste sie sich sanft von mir, lächelte und fragte: „Geht es dir besser?" Nickend wischte ich mir über die Augen, um letzte Tränenreste zu entfernen, dann lächelte ich ebenfalls und formte das Wort Danke mit den Lippen. Als Antwort drückte sie meine Hand. „Geh wieder schlafen, wir haben noch ein paar Stunden Zeit bis wir aufstehen müssen." Mit diesen Worten legten wir uns beide wieder hin und wünschten uns Gute Nacht. Dank Sofie gelang es mir sogar, schnell wieder einzuschlafen. Diesmal träumte ich nichts.

Am nächsten Morgen machten wir uns schnell fertig. Ich zog erneut die Mütze und ein Paar schlichter Hosen an. Diese Art Klamotten waren am bequemsten und Praktischsten, und solange mich Anne damit nicht sah, würde ich sicher keine Probleme bekommen. Mir entging nicht, wie Sofie mich an diesem Morgen aufmerksam musterte. Sie schien sich selbst überzeugen zu wollen, dass es mir tatsächlich gut ging. Einerseits fühlte ich mich dadurch beobachtet, andererseits war ich ihr wirklich dankbar für ihre Fürsorge.

Gemeinsam gingen wir in Richtung Hauptküche. Laut Einteilung sollten Sofie und ich heute den ganzen Tag Kartoffeln schälen. Was für ein Spaß, dachte ich mir, bevor wir durch den Eingang liefen. Sobald Tim, der nahe am Eingang stand, uns bemerkte, kam er auf uns zugerannt. „Sofie! Im Mittelgang im fünften Stock des Ostflügels ist einem Butler eine Vase heruntergefallen. Jemand von euch muss hingehen und das Chaos beseitigen." Ehe Sofie etwas sagen konnte, hob ich meine Hand. Jede Ausrede, diese laute, überfüllte Küche zu verlassen, war mir recht. Tim nickte und wandte sich ab. „Komm mit!" Aus einer Art Besenkammer holte er einen Besen hervor und drückte ihn mir in die Hand. Ich lächelte, doch er schien es gar nicht zu merken und ging bereits wieder zu seiner Arbeit. Ein wenig traurig darüber, dass der Junge mich scheinbar nicht mochte, wandte ich mich ebenfalls ab und verließ die Küche. Was hatte er gesagt? Fünfter Stock? Ostflügel?  Das war doch eine Etage der Adeligen, wenn nicht sogar der Königsfamilie selbst, wenn ich mich richtig erinnerte.

Was gab es dort nochmal? Eine Bibliothek, einen Speisesaal und... mehr wusste ich nicht mehr. Aber das war auch nicht wichtig, schließlich hatte ich nur den Gang zu säubern. Allerdings ertappte ich mich auf dem Weg dahin über die Frage grübelnd, wie es dort wohl aussah. Ob die Bibliothek wohl groß war? Vielleicht sogar noch größer als die in Lavinia?Ich liebte Bibliotheken. Sowohl die Stille, als auch die Massen an Büchern darin. Würde ich jemals die Chance bekommen, wieder eine zu betreten? Der Gedanke stimmte mich traurig, also schob ich ihn schnell beiseite und konzentrierte mich auf den Weg, um mich nicht zu verlaufen.

Gerade kam ich im richtigen Stockwerk an und lief durch den Gang. Tim hatte leider vergessen zu erwähnen, in welchem der vielen Gänge das Unglück passiert war. Ich  musste also danach suchen. Noch nicht lange herumirrend hörte ich plötzlich zwei Stimmen. „Ich wollte Wasser aus der Eisquelle, nicht aus dem Brunnen!" schimpfte jemand. Ich kannte die Stimme, konnte sie jedoch nicht sofort zuordnen. „Verzeiht, Hoheit. Ich werde sofort das richtige Wasser holen." Als ich um die nächste Ecke bog, erkannte ich im Gang Prinz Kilian stehen. Er sah ziemlich unzufrieden aus und beschimpfte eine Magd vor sich. Die bereits etwas ältere Frau war mir bekannt, sie war schon einige Male beim Kartoffelschälen dabeigewesen. Hannelore hieß sie, glaubte ich. Sie sah schuldbewusst aus, fast ängstlich, und verbeugte sich tief vor dem Prinzen. Dieser schimpfte weiter. „Das will ich auch hoffen. Und wo sind die Bücher, die ich auf mein Zimmer bestellt hatte?! Das war vor einer halben Stunde, und es ist immernoch nichts passiert!" Hannelore beugte sich noch tiefer.

Mein Verstand schaltete sich bei diesem Bild aus. Ohne Nachzudenken lief ich auf die Beiden zu und stellte mich vor die Magd, sodass ich den Prinzen ansehen konnte. Und das tat ich ziemlich vorwurfsvoll. Wenn nicht sogar wütend. Dieser jedoch schien nicht sehr beeindruckt von meiner Miene. „Was willst du hier, Küchenjunge?!" Ich verschränkte die Arme, fuchtelte mit ihnen herum und zeigte anschließend auf die arme Hannelore, die sich immernoch eingeschüchtert verbeugte. Der Prinz verdrehte die Augen. Er schien nicht zu verstehen was ich ihm sagen wollte. „Hast du deine Zunge verschluckt? Kannst du nicht sprechen oder was?!" Ich biss die Zähne zusammen, hörte jedoch nicht auf ihn anzusehen. „Mit Verlaub, Herr" meldete sich Hannelore zu Wort. „Aber so ist es." Überrascht zog der Prinz eine Augenbraue hoch und musterte mich. Unbeeindruckt holte ich meinen Notizblock und schrieb so hastig darauf, dass sich meine Finger fast verkrampften.

So dürft Ihr eure Bediensteten nicht behandeln! Die arme Frau kann nichts dafür, dass Ihr nicht sofort das bekommt, was Ihr wollt. Lasst sie gehen, Ihr habt sie genug geängstigt.

Unbeeindruckt sah er mich an. „Denkst du, du kannst mir vorschreiben, was ich tun muss?" Ohne eine Antwort zu schreiben, sah ich ihn weiter stur an. Er erwiderte den Augenkontakt eine Weile, bis er sich schließlich zu Hannelore wandte. „Jetzt geh schon, ich habe genug Zeit mit dir vergeudet!" Sie verbeugte sich und murmelte Dank im Gehen. Der Prinz wandte sich ohne Umschweife wieder mir zu. „Ich warte auf eine Antwort. Denkst du wirklich, du Küchenjunge kannst mir vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe?" Endlich schrieb ich eine Antwort.

Nein, das kann ich nicht. Aber wenn Ihr klug seid, dann hört Ihr euch einen Rat an. Selbst, wenn er von jemandem aus der niederen Schicht kommt. Ihr als Prinz solltet am meisten Respekt vor den unteren Schichten haben, denn die Menschen dort arbeiten hart und viel um es Euch recht zu machen. Diese Menschen wollen einen Prinzen, der sich um sein Volk sorgt und dies auch zeigt. Ich möchte nicht respektlos klingen, aber wenn Ihr eure Mitmenschen so behandelt wie jetzt, habt Ihr in eurer Pflicht als Prinz versagt. Entschuldigt mich, ich muss nun weiterarbeiten.

Als der Zettel fertig geschrieben war, drückte ich ihn ihm schnell in die Hand und ging, bevor ich für meine Worte noch Ärger bekam. Kurz, bevor ich um die Ecke bog, sah ich noch einmal sein Gesicht: Er starrte auf mein Papier, mit einer Miene, die ich nicht deuten konnte. Freundlich war sie jedoch nicht.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt