„...schon irgendwie aufgeregt, weißt du? Ich meine, was ist wenn sie sich nicht benehmen? Ich hab sie wirklich lieb, aber sie können so viel Manieren wie ein Haufen Wilder besitzen! Wie sollte ich das dem König klarmachen? Er war so nett zu mir, zu uns, er hat sogar darauf bestanden, dass ich für die Zeit des Besuchs auch in ihr Gästezimmer ziehe und mir sogar ein paar Tage freinehmen darf! Ist das nicht unglaublich warmherzig? Und wie danke ich es ihm? Indem ich eine Bande Wilder auf das Schloss loslasse! Ich muss verrückt sein!" Es war später Abend. Seit einigen Minuten hatten Sofie und ich uns in unser Zimmer zurückgezogen und machten uns für die Nacht fertig. Dabei machte sich meine Mitbewohnerin lautstark Sorgen, da bereits am nächsten Tag ihre Geschwister kommen würden. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ganz für sie da zu sein, sie zu beruhigen und ihr zu versichern, dass alles gut würde. Wäre da nicht diese eine, klitzekleine Sache gewesen, die mich schon seit dem Nachmittag verfolgte und nicht losließ: Ich hatte gesprochen.
Dieser Gedanke war immernoch total fremd. Ich, die seit über drei Jahren kein Wort mehr von sich gegeben hatte, hatte ohne guten Grund etwas gesagt. Nein, das stimmte nicht ganz: Es gab einen Grund. Kilian. Der Gedanke an ihn ließ mich wohlig fühlen und machte mich gleichzeitig rasend. Wie konnte dieser Junge es wagen Worte aus mir hervorzubringen?! Dazu kam, dass er nicht einmal anwesend war! Diese Tatsache zeigte, wie groß sein Einfluss auf mich eigentlich war. Und ein wenig machte es mir Angst. Sprechen machte mir Angst. Geistesabwesend tasteten meine Finger nach meinem Mund. Seit so vielen Jahren hatte ich meine Stimme nicht mehr benutzt, und doch waren mir die Worte völlig mühelos über die Lippen gekommen...
Etwas riss mich aus meinen Gedanken. Kein Laut, nein, im Gegenteil: ich bemerkte, dass es still im Raum war. Irritiert nahm ich wahr, dass Sofie aufgehört hatte zu sprechen und nun mit verschränkten Armen auf ihrem Bett saß und mich abwartend ansah. „Guten Morgen auch." Ihr Sarkasmus verdeckte nicht komplett den Vorwurf in ihrer Stimme. Sofort riss ich die Augen auf, senkte den Kopf und hob bittend die Hände.
Es tut mir furchtbar Leid! Das wollte ich nicht...
Ein resigniertes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Ach, ich kann dir nichts vorwerfen. Schließlich kann ich mich ja selber kaum noch jammern hören..." Schnell wedelte ich mit den Händen und schüttelte heftig den Kopf.
So ist das nicht! Wirklich! Ich verstehe deine Sorgen und will dir helfen. Ich habe nur über etwas nachgedacht. Tut mir Leid.
Plötzlich schien sie ihr Leid vergessen zu haben, denn sie fing an zu grinsen. „Achso" begann sie ganz beiläufig, hörte jedoch nicht zu grinsen auf. Was immer ihr in den Sinn kam, es konnte wohl kaum mit meinen Gedanken übereinstimmen. „Fängt dieses etwas zufällig mit einem ‚K' an und hört mit ‚ilian' auf?" Sofort wollte ich protestieren, hielt jedoch inne. Teilweise lag sie schließlich richtig. Mein Zögern rief ein triumphierendes Grinsen bei ihr hervor. „Ich wusste es! Wie läuft es denn so bei euch?" Augenverdrehend streckte ich ihr die Zunge raus, worauf hin sie erwiderte: „Uhh, so weit also schon, ja?" Ein Kissen flog in ihre Richtung, was sie mit einem Lachen kommentierte. Ich selbst unterdrückte ebenfalls ein Grinsen. Teils, weil ich ihre Witze einfach lustig fand, und teils weil ich es schön fand, sie wieder vollkommen sorglos zu erleben.
Gerade wollte sich Sofie mit ihrem eigenen Kissen in meinem Gesicht revanchieren, als es an der Tür klopfte. Irritiert hielten wir inne und sahen uns beide an. Wer konnte das sein? Da ich bereits in mein Nachtkleid geschlüpft war, öffnete meine Mitbewohnerin die Tür einen Spalt. Die Person draußen sagte ein paar Worte, die ich nicht genau hören konnte. Sofie erwiderte etwas und schloss die Tür wieder. Als sie sich zu mir drehte, hielt sie einen Brief in der Hand. „Post für dich." meinte sie achselzuckend, als sie mir das Papier in die Hand drückte. „Tim hat es wohl für dich mitgenommen, als der Postbote heute Mittag gekommen ist und du nicht da warst." Langsam nickte ich, konzentrierte mich jedoch auf den Brief vor mir. Der Umschlag war ohne Absender, doch es gab nur eine Person, die mir schreiben konnte: Margot. Nachdenklich starrte ich das Papier in meinen Händen an. Ich war hin - und hergerissen zwischen dem Drang, es eiligst aufzureißen und die Zeilen zu verschlingen, und es irgendwo zu vergraben, um niemals den Inhalt zu kennen. Denn Margot konnte nur aus einem Grund geschrieben haben: Es gab Neues über ihn. Und ich war mir nicht sicher, ob sie mir gefallen würden. „Worauf wartest du?" fragte Sofie, die ein paar Schritte abseits stand und dabei war, sich umzuziehen.
Schließlich fegte ich alle Unsicherheit gedanklich beiseite, öffnete den Umschlag und faltete das darin liegende Papier auseinander.
Meine liebe Tia,
Ich hoffe es geht dir nach wie vor gut in Dyandra, und dass man dich dort so gut behandelt wie du es verdienst. Du musst mir nicht zurückschreiben, ich weiß, dass du dich meldest wenn du kannst. Doch nun möchte ich zum eigentlichen Grund kommen, warum ich dir schreibe: Mein Kind, ich muss dich warnen! Die Rebellen sind inzwischen an die Grenzdörfer von Lavinia gedrungen, man munkelt sie wollen nun auch in Dyandra einfallen! Bitte sei vorsichtig, ja? Und verlasse den Palast nicht, in Ordnung? Bleib immer in der Nähe von deiner Freundin, dann kann dir nichts passieren. Ich wünschte, ich könnte dich zu mir holen um dich in Sicherheit zu wissen, doch eine Reise ist in dieser Zeit zu gefährlich. Im Moment ist natürlich auch noch nichts gewiss, ich wollte nur, dass du vorsichtig bist, ja?
Und meine Liebe, damit du dir keine zu großen Sorgen machst, will ich dir am Ende noch eine gute Nachricht überbringen: Er ist wohlauf und sicher, das garantiere ich dir. James ist fast die ganze Zeit bei ihm. Sorge dich also nicht, auch nicht um uns. Wir haben dich lieb, Süße.
In Liebe
Margot
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Sound of Silence
FantasyDie siebzehnjährige Tia reist aus ihrer Heimat in ein fremdes Land, um dort eine Arbeit am Königshof zu finden. Das neue Leben ist fremd und völlig ungewohnt. Sie kann sich zunächst nur schwer einleben, vor allem durch ihr besonderes Handicap. Zusät...