Kapitel 16

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„NICHTS?! Du willst mir ernsthaft erzählen, es war NICHTS?!" Sofie sah mich ungläubig an. Als ich gestern von dem Gespräch mit dem Prinzen wiederkam, hatte meine Mitbewohnerin sich netterweise zurückgehalten, als mich alle anderen abwartend angestarrt hatten. „Hier gibt es nichts zu sehen, weiterarbeiten!" hatte sie gerufen, worauf die Frauen dann auch gehört hatten. Heute Morgen allerdings hatte sie nicht locker gelassen, bis ich mit einem Bericht rausrückte. Schulterzuckend sah ich sie an.

Er hat sich entschuldigt, mehr nicht.

Sofie schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Anscheinend verstehst du den Wert deiner Worte nicht. Du willst mir weißmachen, der feine arrogante Schönling ist extra zu dir gekommen, um sich zu entschuldigen? Das hat Märchenpotenzial." Grinsend flocht ich meine Haare zuende und stand auf.

Glaub mir, ich war genauso überrascht wie du. Aber er schien es ernst zu meinen.

Sie sah mich immernoch skeptisch an. „Und du bist dir wirklich sicher, dass du den richtigen Prinzen erwischt hast?" Abwinkend ging ich aus unserer Kammer. Dieses Mädchen war manchmal unmöglich! Sofie lief mir grinsend hinterher. „Ich sag ja schon nichts mehr. Es erscheint mir nur seeeehr...überraschend." Ein Grinsen konnte auch ich nicht verbergen. Nach ein paar Minuten kamen wir in der Küche an, wo wir heute arbeiten sollten. Dort war allerdings noch niemand an seinem Platz. Die Küche war leer, bis auf Tim. Er saß auf einem Hocker und säuberte einen Topf, als er uns reinkommen sah. „Hey Tim!" begrüßte meine Mitbewohnerin den Jungen. „Hey, Sofie. Hallo Tia." Ich lächelte den Jungen warm an und freute mich, dass er sich wohl allmählich an mich zu gewöhnen schien.

„Wo sind denn alle?" fragte Sofie unvermittelt. Tim sah nicht von seiner Arbeit auf, als er murmelte: „Der Bote ist gekommen. Alle holen sich vor der Arbeit ihre Briefe und Pakete ab." Sofies Augen wurden größer. Schnell packte sie meine Hand und rief: „Nichts wie hin!" Im Hinauseilen rief sie noch ein "Danke!" hinterher, bevor wir uns bereits wieder auf den Fluren befanden. Auch ich war aufgeregt und folgte Sofie bereitwillig. Vielleicht gab es ja auch Post für mich? Auf dem Palasthof sahen wir eine kleine Ansammlung an Angestellten, die sich um den Boten drängten. Dieser las laut die Namen vor, welche sich dann ihre Post holen konnten. Wir kamen gerade noch rechtzeitig.

„Sofie Berger!" rief er gerade aus. „Hier!" rief meine Freundin, streckte den Arm in die Höhe und quetschte sich durch die Menschen, um ihren Brief entgegen zu nehmen. Dabei tauchten ihre roten Locken in der Masse unter. „Tia... aus Lavinia!" Der Bote runzelte verwirrt die Stirn. Da ich keinen Nachnamen besaß, zumindest nicht mehr, musste ich wohl anders gekennzeichnet worden sein. Schnell hob ich die Hand und winkte, um auf mich aufmerksam zu machen. Dabei versuchte ich mich durch die Menschen zu wühlen. Endlich erreichte ich den Boten, der mir nur rasch einen Umschlag in die Hand drückte um sich dem nächsten Poststück zuzuwenden.

Wie einen Schatz hielt ich den Brief vor meine Brust und erkannte voller Vorfreude, dass die Handschrift auf dem Umschlag Margot gehörte. Schnell eilte ich wieder ins Schloss. Sofie hatte ich in der Menschenmenge verloren, also hoffte ich einfach, sie wieder in der Küche anzutreffen. Geistesgegenwärtig lief ich durch die vielen Flure des Schlosses und sah dabei nur auf den Brief in meiner Hand. Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu öffnen. Ob ihre Antworten mir wohl weiterhelfen würden...? Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, stieß ich mit jemandem zusammen.
„Na, das nenn ich eine Überraschung! Du hast es wohl auf mich abgesehen, wie?"

Okay, das konnte doch wohl wirklich kein Zufall mehr sein! Als ich aufsah, sah mich ein Paar hellbrauner Augen schelmisch an. Das eindeutige Zucken seiner Mundwinkel machte es nicht besser! Heftig schüttelte ich den Kopf, um Prinz Kilian zu zeigen, dass es garantiert NICHT so war, wie er dachte. Dann knickste ich kurz und versuchte an ihm vorbeizulaufen, doch er hielt mich an meinem Handgelenk fest. „Warte doch mal! Warum rennst du immer weg, wenn wir uns begegnen?" Schulterzuckend machte ich ein paar Handbewegungen, die zeigen sollten:

Ich muss arbeiten.

Er schien mich zu verstehen, ließ mich jedoch nicht durch, als ich es wieder versuchte. „Gut, du darfst unter einer Bedingung an mir vorbei." Irritiert hob ich eine Augenbraue. Die da wäre? Er sah mich mit einer Miene an, die ich nicht genau deuten konnte. „Du verrätst mir deinen Namen." Hm. Ich konnte mich auch einfach umdrehen und in die andere Richtung verschwinden. Verlegen biss ich mir auf die Lippe und sah auf den Boden. Warum zierte ich mich so? Es war nur ein Wort, nicht mehr. Und trotzdem. Vor ihm erschien es mir als so etwas...persönliches. „Hey, ich hab immerhin dein Leben gerettet. Damit bist du mir etwas schuldig!" Okay, das stimmte. Da ich wegen einem einzelnen Wort jedoch mein Notizbuch nicht herausholen wollte, sah ich zu ihm aus und formte meinen Namen stattdessen mit meinen Lippen.

Tia.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen las er von meinen Lippen. „Ria?" Kopfschüttelnd wiederholte ich meinen Namen. „Tia?" Diesmal nickte ich. „Tia..." Er ließ sich meinen Namen auf der Zunge zergehen, als wollte er testen wie er klang. Ohne es zu wollen, fand ich es schön, wie er meinen Namen aussprach. „Ein schöner Name."

Danke. Darf ich jetzt durch?

Das schrieb ich nicht, deutete es aber mit meiner Miene an. Lächelnd machte er mir den Weg frei. „Bitte, es hält dich niemand auf." Augenrollend lief ich an ihm vorbei. „Auf Wiedersehen, Tia." Der Satz traf mich so überrschend als hätte ein Blitz in meine Wirbelsäule geschlagen. Als ich mich jedoch umdrehte, war kein Prinz mehr zu sehen.
Schnell machte ich mich darum auf in die Küche, wo ich auch Sofie wieder traf, und begann zu arbeiten. Dabei verschob ich meine Gedanken an diesen seltsamen Zusammenstoß und lenkte sie stattdessen auf den Brief von Margot. In der Pause würde ich ihn öffnen. Was wohl darin stand?

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt