Kapitel 38

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Als wir das Gasthaus betraten, strömten mir zu viele Sinneseindrücke auf einmal entgegen. Der starke Geruch nach Bier und Gewürzen, viele Menschenstimmen durcheinander und ein hell erleuchteter Raum vor mir nahmen meine Aufmerksamkeit ein. Das Licht war ein wenig gedämpft und verlieh dem Raum etwas Heimatliches. Der ganze Raum war mit dunklem Holz verkleidet, an den Wänden hingen einige Geweihe und Felle. Links stand eine Bar, an dessen Holztresen ein älterer Herr ein Bierglas trocknete. Am Ende des Tresens hockte ein Mann in der Ecke mit einem Teller voll Suppe oder ähnlichem. Er sah ärmlich aus. Die billige Kleidung war für seinen dürren Körper zu groß. Zudem schien er das, was um ihn herum passierte, nicht zu beachten. Er konzentrierte sich voll auf seine Mahlzeit. Ich sah weiter. Der Rest des Raumes war gefüllt mit Holzbänken und Tischen, an denen viele Bauern und Mägde saßen und fröhlich Gespräche führten. Keiner von ihnen beachtete uns. Bis auf eine Ausnahme. Ein junges Mädchen, vermutlich in meinem Alter, bediente die Menschen, bis ihr Blick zu uns wanderte. Überrascht kam sie auf uns zu. Dabei blitzte Freude in ihren grünen Augen auf.

„Kilian, wie schön dich zu sehen! Komm rein!" Ihre langen, hellblonden Haare waren zu einem Zopf geflochten, der munter hin und her schwang, als sie nach Kilians Handgelenk griff und ihn zum Tresen zog. Er lächelte ebenfalls und folgte ihr. Ein Ziehen zog sich durch meine Brust, während ich zusah wie die beiden am Tresen ankamen. Nicht nur ihre Berührung brachte mich aus dem Konzept, sondern auch die Art, wie vertraut sie mit Kilian umging. Sie hatte ihn beim Vornamen genannt. Sie hatte ihn nicht wie den Prinzen, sondern einen engen Freund behandelt. Ich hatte angenommen, ich sei die Einzige, die das dürfe. Aus irgendeinem Grund machte mir das zu schaffen. „Schön dich zu sehen, Brunna." erwiderte nun auch Kilian und stellte gleichzeitig den Sack neben sich ab. Dann wandte sich auch der ältere Herr hinter dem Tresen an ihn. Seine Freude über die Anwesenheit des Prinzen war nicht zu übersehen. „Da bist du ja wieder! Wie gehts dir, Junge?" hallte seine tiefe, etwas kratzige aber durchaus angenehme Stimme bis zu mir herüber. Etwas misstrauisch beobachtete ich die Szene. Dann fiel der Groschen. Das war der Ort, zu dem der Prinz immer ging, wenn er verschwand! Anders konnte ich mir die Vertrautheit nicht erklären. Wussten die Beiden, wen sie da vor sich hatten? Oder kannten sie Kilian einfach als einen Bauernjungen?

Ich war so in meine neuen Überlegungen versunken, dass ich die Antwort des Prinzen nicht mitbekam. Dann jedoch wurde ich wachgerüttelt, denn plötzlich sahen mich die Drei unverwandt an. Das Mädchen, Brunna, und der Mann neugierig, Kilian mit einem beruhigenden Lächeln. Vielleicht sogar Stolz? Jedenfalls kam er auf mich zu. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich noch immer im Türrahmen stand. Kilian hatte mich erreicht und nahm sanft meine Hand in seine. Dabei sah er mich beruhigend an, als müsste er das Vertrauen eines scheuen Tieres gewinnen. Der Blick und seine Berührung ließen meinen ganzen Körper warm kribbeln, während er mich wortlos zum Tresen führte. „Das ist Tia, eine Freundin von mir. Sie arbeitet im Palast. Tia, das sind Albrecht und seine Tochter Brunna. Ihnen gehört das Gasthaus hier." Scheu lächelte ich die Beiden an und gab ihnen die Hand. Was war plötzlich mit mir los? Wieso war ich so unsicher? Brunna lächelte mich warmherzig an. „Schön dich kennenzulernen. Ich wusste gar nicht, dass unser stolzer Prinz hier eine Freundin hat!" Als Antwort streckte er ihr die Zunge raus und sie kicherte. Unser Prinz? Sie wussten also Bescheid. Nun war ich nur noch mehr verwirrt, aber ich lächelte weiter. „Stimmt, du musst ziemlich hartnäckig gewesen sein, bis unser Junge seinen Stolz überwunden hat." bestätigte Albrecht grinsend. Kilian verdehte die Augen, dann grinste auch er. „Eigentlich musste ich ziemlich hartnäckig bleiben, um ihre Gunst zu gewinnen." gestand er dann mit einem Lachen. Ich wurde ein wenig rot. „Aha, mal jemand der dich geknackt hat. Mir gefällt sie jetzt schon!" warf Brunna ein und grinste. Sie war mir sympathisch.

Trotzdem war ich von dieser ganzen Situation verwirrt. Kilian schien die Fragezeichen in meinen Augen zu lesen, denn er setzte zu einer Erklärung an. „Meine Familie, genauergesagt mein Vater war schon immer gut mit Albrechts Familie befreundet. Früher hat er mich hier her mitgenommen und Zeit mit uns verbracht. Albrechts Familie führt das Gasthaus schon seit Generationen und lässt nicht nur Menschen ein, die auch zahlen können, sondern vergibt auch Mahlzeiten an die, die es brauchen. Sie lassen auch Verachtete zu sich ein und geben ihnen das Gefühl, ein normaler Mensch zu sein, den man mit Respekt behandelt. Mein Vater hat sie dabei immer unterstützt. Ah, wo wir gerade dabei sind - " Er bückte sich nach dem Sack und stellte ihn auf den Tresen vor Albrechts Nase. „Bitteschön. Einige der besten, aber überflüssigen Lebensmittel aus der Schlossküche." Mein Gehirn versuchte die vielen Informationen zu verarbeiten, während Brunna große Augen bekam. „Kilian! Du sollst doch nicht immer so übertreiben!" Er winkte ab. „Mein Vater hat euch geholfen und ich mache es genauso. Er würde das hier wollen, das weißt du. Außerdem vermisst das Zeug eh niemand." Mir fiel auf, wie entspannt er sich benahm.

„Danke Junge. Du weißt, wir wissen das sehr zu schätzen." Albrecht sah zu mir. „Ich hoffe du petzt nicht. Wie ich höre sind einige aus dem Schloss mit Kilians Aktionen wohl nicht so einverstanden." Er lachte und wartete auf eine Reaktion oder einen Kommentar von mir. Stattdessen brachte ich nur ein halbherziges Grinsen und ein Nicken zustande. Ich hatte das alles noch nicht so ganz verdaut. Albrecht sah mich unterdessen stirnrunzelnd an. „Du bist wohl nicht sehr gesprächig." stellte er fest. Entschuldigend hob ich die Hände und wollte andeuten, dass ich nicht sprach, doch Kilian kam mir zu Hilfe. Er legte einen Arm um meine Schultern. „Sie spricht nicht." Mein Herz setzte einen Moment aus. Nur halb bekam ich mit, dass die beiden Menschen vor mir mit Erkenntnis und Verständnis reagierten, denn ich war vollkommen auf Kilians Wortwahl fokussiert. Sie spricht nicht hatte er gesagt, nicht Sie ist stumm. Ich wusste nicht, ob ihm der Unterschied überhaupt bewusst war, doch so oder so machte es mich glücklich. „Da haben wir noch einen Kandidaten." warf Albrecht ein und deutete stirnrunzelnd auf den ärmlich aussehenden Mann in der Ecke. Obwohl er nur ein paar Meter von uns entfernt saß und uns sicher hören konnte, reagierte er nicht darauf sondern starrte weiter auf seinen Teller.

„Wer ist das?" fragte Kilian. „Ich habe ihn hier noch nie gesehen." Albrecht stellte den Sack weg und schnappte sich ein neues Glas zum Putzen, während Brunna ein paar neue Getränke bereitstellte. „Er ist erst seit ein paar Tagen hier. Kurz nachdem du das letzte Mal hier warst, ist er hier angekommen. Allerdings ist er taub. Mehr als ein paar seltsam klingende Laute haben wir nicht aus ihm rausbekommen. Wir wissen weder woher er kommt noch wohin er will. Nicht einmal seinen Namen kennen wir." erklärte Brunna. „Keiner kann sich mit ihm verständigen, schließlich kann hier kaum einer lesen oder schreiben. Wir haben ihm Essen und einen Schlafplatz gegeben, aber mehr können wir nicht für ihn tun." Schulterzuckend wandte sich Albrecht wieder seiner Arbeit zu. Mitfühlend sah ich zu dem Mann. Darum beschäftigte er sich also so wenig mit seiner Umwelt. Es musste schlimm sein, so einsam zu sein. Sich mit niemandem unterhalten zu können. Sofort fühlte ich mich irgendwie mit diesem Menschen verbunden. Ich kannte das nur zu gut. Allerdings konnte ich meine Welt noch hören. „Er muss sich ziemlich einsam fühlen." sprach Kilian voller Mitgefühl in der Stimme meine Gedanken aus. Da kam mir eine Idee. Hastig kramte ich Stift und Notizblock hervor und schrieb an Kilian:

Würde es helfen, wenn ich versuche, mit ihm zu sprechen?

Irritiert sah er mich an. „Wie willst du das anstellen?" In Gebärdensprache sagte ich ihm, dass ich diese Sprache beherrschte. Er verstand zwar meine Zeichen nicht, aber den Inhalt der Botschaft. Seine Augen leuchteten auf. „Würdest du es versuchen?" Hätte ich diesen Entschluss nicht ohnehin schon gefasst, wäre ich spätestens bei diesem Blick weich geworden. Auch Albrecht und seine Tochter sahen mich nun mit Hoffnung im Gesicht an. „Oh bitte bitte versuch es mal!" bat mich Brunna und klatschte in die Hände. Als ich nickte, schob sie mich sofort auf den Tauben zu. Erst als ich nur noch einen halben Meter entfernt war, bemerkte der Mann mich und sah auf.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt