Kapitel 8

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Bereits seit zwei Wochen lebte und arbeitete ich mittlerweile im Palast. Die Arbeit war oft hart und anstrengend, doch zusammen mit Sofie fiel es mir leichter und manchmal machte es mir sogar Spaß. Naja, ein bisschen zumindest. Außer ihr waren die anderen Angestellten im Palast sehr... zurückhaltend mir gegenüber. Sie sprachen nicht mit mir und warfen mir heimlich Blicke zu. Ich versuchte es zu ignorieren, aber einfach war es nicht.

Gerade stand ich alleine in einer kleinen Nebenküche und schälte Rüben. Die Hauptküche war zu voll mit Menschen, und da ich meine Tätigkeit verlegen konnte, hatte ich dies auch getan. Es war mir sowieso viel lieber, alleine und in Ruhe zu arbeiten. Diese Küche ähnelte mehr einer Kammer. An den Wänden standen Regale und Fässer mit Vorräten und Geschirr darin, nur an einer Wand stand eine Arbeitsfläche. Auf dieser standen zwei Schalen, eine für den Abfall und eine für die fertigen Rüben. An der Wand daneben gab es ein kleines Fenster, durch das warmes Sonnenlicht in den Raum floss. Gegenüber der Eingangstür befand sich ein weiterer Eingang.  Dieser war kleiner, ohne Tür und führte in die Erweiterung des Raumes, die Vorratskammer.

Gedankenverloren stand ich also an der Arbeitsfläche und kümmerte mich seit einer gefühlten Ewigkeit um die Rüben, als von draußen Lärm ertönte. Dann Poltern. Als würden mehrere Menschen draußen an der Tür vorbeirennen. Das Licht wurde plötzlich gedimmt, und als ich zum Fenster sah, erkannte ich warum. Jemand war dabei, von draußen hindurchzuklettern. Binnen Sekunden stand plötzlich ein junger Mann im Raum. Als er mich bemerkte, starrte er mich mindestens so überrascht an wie ich ihn. Einen Moment verharrten wir in dieser Position. Ich erkannte ihn sofort. Es war derselbe Junge, den ich vor zwei Wochen bei seiner Flucht aus dem Palast gesehen hatte. Prinz Kilian, wie Sofie vermutete. Allerdings sah er für mich nicht gerade sehr prinzenhaft aus.

Er war vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich. Haselnussbraune Strähnen hingen ihm ins Gesicht, verdeckten dabei aber nicht die hellbraunen Augen. Und die Bauernkleidung, die er trug, machte es nicht besser. Kurz fragte ich mich, ob das nicht doch nur ein ganz normaler Junge war. Irgendetwas an ihm sagte mir jedoch, dass vor mir tatsächlich ein Prinz und nicht nur ein Bauersjunge stand. Dieser Prinz jedenfalls musterte mich einen Moment misstrauisch, als befürchtete er ich könnte ihn anfallen. Dann erklang von draußen ein Befehl: „Sucht ihn! Seine Majestät muss hier irgendwo sein!" Hastig sah der Junge von der Tür wieder zu mir. „Kann ich mich hier verstecken?!"

Sein unfreundlicher Ton gefiel mir nicht, doch in dem Moment war ich zu geschockt um irgendetwas zu machen, also deutete ich schlicht auf den kleinen Eingang zur Vorratskammer. Ohne ein weiteres Wort schlüpfte er hinein. Anscheinend gerade noch rechtzeitig, denn in genau diesem Moment wurde die Tür zur Küche aufgerissen und zwei Wachen stürmten hinein. „Wo ist der Prinz? Hast du ihn gesehen?" Bevor ich überhaupt die Möglichkeit hatte zu antworten, ergriff der andere Soldat das Wort und wandte sich dabei mit einer abweisenden Handbewegung an seinen Kollegen. „Vergiss es, das ist die Stumme. Sie ist keine Hilfe. Suchen wir weiter!" Der erste Soldat sah mich an, er schien zu begreifen und ging dann mit seinem Kollegen aus dem Raum. Nun stand ich wieder alleine da.

Augenverdrehend wandte ich mich wieder meiner Arbeit zu. Hätten die Herren mich mal zu Wort kommen lassen, wäre ich gerne bereit gewesen weiterzuhelfen. Aber bitte, selbst Schuld! Während ich nach einer weiteren Rübe griff um sie zu schälen, rumpelte etwas in der Nebenkammer. Dann sah ich aus dem Augenwinkel wie eine Gestalt herauskam. Ich sah nicht auf, doch ich konnte hören, wie der junge Mann mich ansprach. „Sind sie weg?" Stumm schälte ich meine Rübe weiter. „Hallooo? Jemand zuhause?!" Fuhr er mich an. Sein Ton passte mir nicht, darum schaltete ich auf stur und beachtete ihn nicht. „Hey, Küchenjunge! Hast du keinen Respekt vor mir?! Weißt du etwa nicht, wer ich bin?!" Küchenjunge?! Ich glaubte mich verhört zu haben. Doch wenn ich so über mein Auftreten nachdachte, konnte ich verstehen, wieso er mich für einen Jungen hielt: Ich trug eine Hose, von heute Morgen waren noch einige Mehlspuren in meinem Gesicht und meine Haare waren unter die Mütze geschoben. Trotzdem, die Beleidigung blieb.

Ich hörte ein wütendes Schnauben und sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Vermutlich fuhr er sich durch die Haare. Kurz drehte ich den Kopf in seine Richtung, wandte mich dann jedoch sofort wieder meiner Arbeit zu. Gereizt fuhr der Mann fort: „Oh schön, du kannst mich also doch hören! Dann bring jetzt gefälligst was zu trinken! Von dem vielen Staub in der Kammer habe ich total Durst bekommen!" Innerlich zwang ich mich ruhig zu bleiben, um nicht komplett auszuflippen. Seine Manieren waren wirklich eine Zumutung! Und das für einen Prinzen!  Mit einiger Selbstbeherrschung schaffte ich es, seelenruhig weiterzuarbeiten. „Hallooo? Hörst du mich nicht?! Das war ein Befehl!" Demonstrativ zeigte ich ihm die Rübe, mit der ich mich gerade beschäftigte. Das sollte klar und deutlich heißen: Ich hab noch zu arbeiten! Der folgenden Stille nach hatte mein Verhalten dem Prinzen vor Empörung die Sprache verschlagen. Allerdings konnte ich mich seinem Befehl natürlich nicht einfach widersetzen. Also trennte ich den Rest Schale der Rübe ab, legte sie in die Schüssel und ging anschließend an ein gegenüberliegendes Regal. Dort nahm ich einen Holzbecher heraus und tauchte ihn in ein nebenstehendes Wasserfass.

Das Glas stellte ich auf der Arbeitsfläche ab, ließ es jedoch nicht los. Der Prinz griff danach und wollte es sich nehmen, doch ich ließ immernoch nicht los. „Was ist jetzt?!" begann er genervt und sah mich an. Nun ignorierte ich ihn nicht mehr, sondern sah ihm direkt in die Augen. Auch, wenn ich keine Worte benutzte, war meine Forderung klar und deutlich. Mir war klar, dass ich gerade meine Stellung riskierte, doch das hier war mir extrem wichtig. Abwartend sah ich ihn an. Er verstand mich offenbar, denn er biss die Zähne zusammen und murmelte „Bitte!". Das Wort spuckte er förmlich aus, doch mir reichte es. Mit einem zufriedenen Blick ließ ich das Glas los, sodass er trinken konnte. Dann wandte ich mich weiter meiner Arbeit zu. Ich hörte nur noch, wie sich Schritte entfernten und eine Tür ins Schloss fiel. Dann - endlich - war ich wieder alleine in der Kammer. Würde ich meine Stimme nutzen, hätte ich nun einen frustrierten Seufzer losgelassen.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt