Kapitel 5

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Erschöpft schob ich mir die herausgefallenen Strähnen wieder unter die Mütze. Dann widmete ich mich wieder dem im Becken schwimmenden Laken, ergriff es und schrubbte es am Waschbrett sauber. Diese Arbeit war mühselig und anstrengend. Ich war es nicht gewohnt so hart zu arbeiten. Vor allem nicht von morgens bis abends. Schon seit Stunden arbeitete ich nun in der Waschküche und schrubbte und schrubbte. Meine Finger waren aufgequollen und taub von dem kalten Wasser, und an einigen Stellen waren sie sogar wundgeschrubbt. Doch ich wollte mich nicht beklagen, schließlich verrichteten andere Frauen dieselbe Arbeit jeden Tag und standen es ebenfalls durch. Darum musste ich das auch schaffen.

Es war bereits dunkel draußen, als Sofie zu mir kam. „Tia? Wir können für heute Schluss machen. Kommst du?" Erleichtert nickte ich, zog das Laken aus dem Wasser, wrang es aus und hängte es über eine nahegelegene Wäscheleine.
Dann wandte ich mich um und ging zu meiner Mitbewohnerin, die geduldig am Ausgang auf mich wartete. Gemeinsam gingen wir zu unserem Zimmer. Dort angekommen widerstand ich dem Drang, mich erschöpft auf das Bett plumpsen zu lassen, und setzte mich stattdessen nur darauf. Sofort spürte ich die Schmerzen in meinen Gliedern. Ich musste wohl noch eine Weile warten, bis mein Körper sich an die harte Arbeit gewöhnen würde. Sofie kramte währenddessen unter ihrem Bett und holte schließlich eine kleine Kiste hervor. Aus dieser nahm sie einen Verband und eine Salbe und kam zu mir.

Fragend sah ich sie an. Sie deutete auf meine Hände. „Um deine Hände zu versorgen. Die sind ja ganz wund!" Abwartend streckte sie ihre Hand aus. Es stimmte, meine Hände waren feuerrot, und brannten mittlerweile auch wie Feuer. Etwas unsicher gab ich ihr meine rechte Hand. Sie kniete sich vor mich und begann die kühle Salbe auf meiner Hand zu verteilen. Ihre Hände waren rauer als meine, und doch fühlte sie sich nicht unangenehm an. Sie sah hingegen sehr erstaunt auf meine. „Deine Haut ist ganz zart! Kein Wunder, dass sie so sensibel auf das viele Waschen reagiert. Du hast wohl wirklich noch nie richtig gearbeitet. Ich musste schon mit 14 Jahren eine Arbeit finden, um meine Eltern zu unterstützen." Während sie mir bereitwillig mehr von sich erzählte, verband sie meine Hand ordentlich und streckte den Arm anschließend nach der anderen aus. Hier zögerte ich jedoch. Reflexartig zog ich den linken Arm etwas näher an mich.

Irritiert sah sie mich an. „Ist etwas?" Ich biss mir auf die Lippe und mied ihren Blick. „Ich will dir nicht wehtun, ich möchte dir nur helfen." versicherte Sofie. Ich glaubte ihr, doch das war nicht der Grund für meine Reaktion. Dann gab ich mir einen Ruck. Es hatte keinen Sinn, etwas zu verstecken. So oder so, irgendwann hätte sie es sowieso gesehen. Also streckte ich ihr auch die linke Hand hin. Als sie die Handinnenfläche nach oben drehte, um auch dort die Salbe zu verteilen, stoppte sie kurz in ihrer Bewegung. Ich wusste worauf sie sah. Die dunkle Narbe auf meinem Unterarm war nicht zu übersehen. Die Fragezeichen standen ihr ins Gesicht geschrieben. Entgegen meiner Erwartungen fragte meine Mitbewohnerin jedoch nicht danach. Stattdessen setzte sie ihre Arbeit fort und erzählte weiter.

„Jedenfalls hab ich noch fünf Geschwister. Allerdings können sie nicht arbeiten, meine zwei Schwestern und meine drei
Brüder sind noch zu klein dafür. Tja, und um alle Mäuler stopfen zu können, müssen eben so viele wie möglich anpacken. Ich sehe meine Familie kaum, weil ich ja die ganze Zeit hier arbeite. Aber ich schicke ihnen regelmäßig Geld und weiß, wie sehr ihnen das hilft. Oh, tut mir Leid! Rede ich zu viel?" Lächelnd schüttelte ich den Kopf.

Nein, ich höre dir gerne zu! Vermisst du deine Familie nicht?

Sie zuckte mit den Schultern. „Naja, manchmal schon. aber solange ich weiß, dass sie stolz auf mich sein können, macht es das einfacher." Ich nickte um zu zeigen, dass ich verstand. Interessiert sah sie mich an. „Hast du denn Geschwister?" Etwas zog sich in mir zusammen. Schnell schüttelte ich den Kopf. „Glückspilz. Geschwister sind toll, aber zu sechst geht man ziemlich schnell in der Masse unter. Außerdem gibt es dann nie eine ruhige Minute. Das ist vermutlich das, was ich hier so sehr genieße: Ruhe!" Ich grinste. Die erschöpfte Geste, die sie dabei machte, sah einfach so komisch aus!
Dann knotete sie den Verband zusammen und lächelte mich an. „So, das wäre geschafft. In ein, zwei Tagen sollte alles abgeheilt sein." Dankbar sah ich sie an, bevor ich auf meine Hände starrte. Sie waren sauber verbunden worden. Um meinen Dank noch deutlicher auszudrücken, formte ich die Worte mit meinen Lippen.

Danke.

Sie winkte ab. „Ach, dafür doch nicht." Aber es war ja nicht nur dafür. Sie war schon den ganzen Tag nur nett zu mir gewesen, so nett wie schon lange keiner mehr. Sie hatte etwas einzigartiges an sich, eine Art freundliches, unschuldiges Wesen, das voller Leben sprühte. Und obwohl ich sie erst seit einem Tag kannte, mochte ich sie. Sogar sehr. Ich sah sie schon nicht mehr als Fremde an, was untypisch für mich war. Nein, ich begann sie als eine Freundin zu sehen.
Mit diesem guten Gefühl legte ich mich ins Bett und schlief wenig später ein.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt