Am nächsten Tag war ich zum Staubwischen eingeteilt. Nicht unbedingt meine Lieblingsarbeit, aber sie musste nun einmal gemacht werden. Mir wurde eines der oberen Stockwerke zugeteilt. Wenn ich mich anstrengte, bekam ich das sogar an einem Tag hin. Eifrig nahm ich mir die ersten Zimmer vor. Gegen Mittag hatte ich tatsächlich bereits einen ganzen Flügel von Staub befreit (mal ganz davon abgesehen, dass das Schloss auch so wie geschleckt aussah). Motiviert nahm ich mir darum ein weiteres Zimmer vor. Beziehungsweise: Ich hatte es vor. Bevor ich das nächste Zimmer betreten konnte, hörte ich Stimmen aus dem Inneren kommen. Ich wollte schon weitergehen, als ich eine der Stimmen erkannte, wollten meine Füße sich nicht vom Platz bewegen. So stand ich wie angewurzelt vor der Tür und lauschte.
„...wieso willst du das nicht unterstützen?" drang Prinz Kilians Stimme zu mir. Er klang verärgert. Darauf folgte eine andere Stimme. Sie klang geschlagen, aber unnachgiebig. „Du weißt sehr wohl, dass es auch in meinem Interesse liegt. Aber wir haben nun einmal nicht die Mittel, um beide Gebiete ausreichend zu unterstützen! Und wir können vom Volk keine Steuererhöhung verlangen, das wäre nicht fair." Erst nach einigen Momenten erkannte ich, dass die zweite Stimme König Elias gehörte. Sein Bruder schien noch mehr verärgert. „Aber nur eines der Gebiete zu unterstützen ist fair?! Beide gehören zu Dyandra! Und der Norden wird bereits seit einem Jahr unterstützt, wieso können wir uns dann nicht schon jetzt auf den Westen konzentrieren?" „Der Norden hat Unterstützung genauso nötig wie der Westen. Sobald sich der Norden selbst finanzieren kann, wenden wir uns dem Westen zu." „Sie brauchen diese Hilfe aber jetzt, nicht wenn die anderen fertig sind!" „Es tut mir Leid, Kilian. Wir können nicht beide gleichzeitig stützen, und das weißt du. Wenn du eine Lösung findest, können wir gerne darüber reden. Doch für jetzt ist die Diskussion beendet."
Kurz herrschte Stille. Dann kamen Schritte auf die Tür zu. Erschrocken riss ich mich von der Tür los und trat geistesgegenwärtig vor eine danebenstehende Blumenvase, um so zu tun als hätte ich diese gerade abgestaubt. Im selben Moment ging die Tür auf und der König trat heraus. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn konnten seiner Attraktivität nichts anhaben. Als er mich bemerkte, setzte er jedoch eine freundliche Miene auf und nickte mir zu, bevor er in die entgegengesetzte Richtung davonlief. Ich verbeugte mich kurz, in Gedanken war ich immernoch bei dem eben gehörten. Dann trat Prinz Kilian aus dem Zimmer. Er schien mürrisch, und irgendwie ergeben. Als seine Augen zu mir wanderten, sah er überrascht aus. „Was machst du hier?" Schulterzuckend hob ich den Staubwedel in meiner Hand hoch. „Hast du unsere Unterhaltung gehört?" Es klang nicht wütend oder vorwurfsvoll, und doch lief ich augenblicklich rot an vor Scham.
Ja, naja zumindest den letzten Teil. Es tut mir Leid, das war keine Absicht!
Nickend, wieder mit dieser ergebenen Miene, winkte er ab. „Schon gut." Während er sich mit einer Hand durch die dunkelbraunen Haare fuhr, die dadurch etwas zerzaust wurden, entfuhr ihm ein frustrierter Seufzer. „Ich schätze, man muss nicht gelauscht haben, um unserer Unterhaltung folgen zu können. Sie war ja nicht unbedingt leise." Vorsichtig fragte ich:
Diese Gebiete... Geht es dabei um Dörfer?
Als der Prinz meine Frage las, nickte er. Dabei wirkte er überrascht, dass ein Dienstmädchen sich für solche Probleme interessierte. „Ja. Im Norden gab es vor einem Jahr einen schlimmen Sturm. Felder waren überschwemmt und ganze Häuser wurden vom Wind abgerissen. Seit einem Jahr erhalten sie darum finanzielle Unterstützung von uns, damit die Menschen von dort sich wieder ein neues Leben aufbauen können. Es funktioniert auch, nur sehr, sehr langsam. Und im Westen war die Ernte im letzten Jahr schlecht, darum haben die Bauern kaum genug Geld um sich zu ernähren. Eigentlich bekommen sie in solchen Fällen ebenfalls Unterstützung von uns, aber die hohen Beträge, die benötigt werden, können wir nicht gleichzeitig an zwei Regionen ausgeben." Kurz entstand ein betretenes Schweigen. Das war wirklich eine verzwickte Situation. Aber vielleicht gab es ja doch irgendwie eine Lösung.
Gibt es nicht irgendwelche ungenutzten Felder, die die Bauern für eine Zeit nutzen dürfen? Und die Dörfer in der umliegenden Region könnten doch den Teil ihrer Ernte, den sie dem Königshaus abgeben müssen, der Region spenden. Mit Verlaub, aber der König hat doch mehr als genug Nahrung. Die paar Dörfer, die ihren Ertrag spenden, müssten eigentlich keinen großen Unterschied machen.
Nachdenklich sah der Prinz auf meine Notiz. Mein mulmiges Bauchgefühl sagte mir, dass ich mir zuviel herausgenommen hatte. Immerhin war ich ein einfaches Dienstmädchen, dass sich nicht in königliche Angelegenheiten einmischen durfte. Schon gar nicht, wenn meine Formulierungen so direkt gewählt waren. Es interessierte niemanden, dass ich mich in Politik auskannte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit durchdrang der Prinz endlich die Stille. „Eigentlich ist das gar keine schlechte Idee." Die hellen Augen sahen immernoch verblüfft auf meine Notiz, so als könne er nicht glauben, dass die Lösung so einfach war. Dann sah er zu mir. „Und das hast du dir mal einfach so ausgedacht? Aus dem Nichts?" Schulterzuckend sah ich auf den Boden. Dann vernahm ich ein ungläubiges Grunzen. „Wieso bin ich hier eigentlich der Prinz? Wir sollten mal Rollen tauschen. Wenn du mit allen Problemen so umgehst, herrscht hier in Kürze der Weltfrieden!" Durch seine Bemerkung war ich kurz davor zu kichern. Schnell hielt ich mir darum die Hand vor den Mund. Gleichzeitig wollte ich so die aufsteigende Hitze in meinen Wangen verbergen. Was war denn plötzlich mit mir los?!„Das gibt es ja nicht!" Mit einem gespielt schockierten Gesicht sah der Prinz mich an. „Sie lacht! Sie lacht tatsächlich!" Es sah so albern aus, dass ich nur noch mehr in Versuchung war, laut loszulachen. Aber ich konnte mich beherrschen. Nachdem ich mich wieder unter Kontrolle hatte, bemerkte ich den Blick des Prinzen, der auf mir ruhte. Auf meinen fragenden Blick hin sagte er: „Ich würde es gerne mal hören." Irritiert sah ich ihn an. Was? „Dein Lachen. Es wäre sicher wunderschön." Seine Augen fixierten mich mit einem durchdringenden Blick, bevor er sich lächelnd umdrehte. „Ich gehe dann mal dem König deine Lösung präsentieren. Bis zum nächsten Mal, Tia!" Mit diesen Worten ließ er mich im Gang stehen. Ohne es zu wollen sah ich ihm noch lange hinterher, bis er hinter der nächsten Ecke verschwand.
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Sound of Silence
FantasyDie siebzehnjährige Tia reist aus ihrer Heimat in ein fremdes Land, um dort eine Arbeit am Königshof zu finden. Das neue Leben ist fremd und völlig ungewohnt. Sie kann sich zunächst nur schwer einleben, vor allem durch ihr besonderes Handicap. Zusät...