Kapitel 11

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Nun würde man mich entgültig entlassen. Wieso hatte ich nicht einfach meinen Mund gehalten?! Gut, streng betrachtet hatte ich kein Wort gesagt. Und selbst DAS hatte mir nichts geholfen! War ich denn von allen guten Geistern verlassen?! Warum besaß ich den Wahnsinn, in meiner Position einem Prinzen zu sagen was er zu tun hatte?! Weil ich in dem Moment so wütend war, dass ich nicht an die Konsequenzen gedacht hatte? Das vielleicht auch. Vor allem jedoch lag es daran, dass ich es nicht gewöhnt war, dass man so mit Menschen umging. Und dass ich noch nie für jemanden gearbeitet hatte. Hatte ich mir zu viel herausgenommen? Definitiv. An die Folgen meines Handelns wollte ich jetzt allerdings nicht denken, also beeilte ich mich, den Dreck im Flur zu beseitigen und danach schnell wieder in die Küche zu verschwinden, in der es hoffentlich mehr als genug Ablenkung gab.

Nach fünf harten Stunden durften Sofie und ich in die Mittagspause gehen. Wir hatten eine ganze Stunde frei, darum beschlossen wir, unseren Verwandten zu schreiben. Sofie hatte die Idee. Sie sagte, sie schrieb ihrer Familie einmal im Monat um den Kontakt zu halten. Gemeinsam begaben wir uns in den gr0ßen (und ganz nebenbei wunderschönen) Schlossgarten und setzten uns auf eine Bank in dem Bereich, in dem sich auch das Personal bewegen durfte. Die Sonne schien warm auf unsere Gesichter. Ich genoss den frischen Frühlingsgeruch und die zwitschernden Vögel. Dann konzentrierten wir uns auf das Schreiben. Sofie schien sofort zu wissen, was sie ihrer Familie alles erzählen wollte. Ich hatte zwar keine Verwandtenn, denen ich schreiben konnte, dafür aber Margot. Sie war im letzten halben Jahr meine Familie geworden. Zuerst sah ich ratlos auf das Papier, bis ich mich schließlich dazu entschloss, einfach das zu schreiben, was mir gerade einfiel.

Liebe Margot,
Verzeih dass ich dir erst jetzt schreibe. Ich wollte es erst tun, wenn ich mich hier eingelebt habe. Sorge dich nicht, ich komme zurecht. Das Schloss ist groß und sehr hübsch, aber eben auch unübersichtlich. Doch ich lerne schnell. Die Arbeit ist hart, aber ich glaube, man ist hier ganz zufrieden mit mir. Und ich habe eine bezaubernde und liebenswerte Freundin gefunden: Sofie, meine Mitbewohnerin. Mit ihr als Unterstützung macht sogar das Arbeiten Spaß! Anne ist auch nett zu mir.

Ich stoppte und sah kritisch auf meine Worte. Das alles war schon etwas beschönigt, aber ich wollte Margot ja nicht unnötig beunruhigen. Und der Kern meiner Botschaft stimmte ja: Es ging mir gut im Schloss. Eigentlich. Wenn man meine Vergangenheit außenvor ließ, in der ich ein anderes, besseres Leben hatte. Aber jetzt war ich relativ zufrieden, also schrieb ich weiter.

Leider muss ich auch zugeben, dass nicht alles toll ist. Auch wenn ich tagsüber beschäftigt bin, fühle ich mich nachts manchmal doch alleine. Wie sehr ich deine Umarmungen vermisse! Ich wünschte, du wärst hier bei mir! Aber keine Sorge, das Heimweh wird bald vergehen, und Sofie kümmert sich wirklich lieb um mich. Wie geht es dir denn? Und deinem Mann Holger?

Eine Frage brannte mir plötzlich auf der Zunge. Gerne wollte ich sie ebenfalls aufschreiben, doch ich hatte zu sehr Angst, jemand anderes könnte den Brief in die Hände bekommen und lesen. Also formulierte ich die Frage etwas um und hoffte gleichzeitig, Margot würde wissen, was ich wollte.

Weißt du mittlerweile etwas von ihm? Geht es ihm gut? Bitte, ich muss es wissen!
Bitte schreib mir bald.
Grüß Holger und James von mir, wenn du ihn siehst.
In Liebe
Tia

Als ich den Brief zusammenfaltete und in einen Umschlag steckte, war ich mir fast sicher, dass ich auf die letzten Fragen keine Antwort bekommen würde. Der Gedanke stimmte mich traurig, aber man musste es schließlich wenigstens versuchen! Entschlossen hob ich den Blick und sah zu Sofie rüber. Sie tat gerade dasselbe, bevor sie mich ebenfalls ansah und grinste. „Ich glaube dreiviertel in dem Brief hab ich nur über dich geschrieben." gestand sie. Überrascht sah ich sie an und deutete auf mich. „Ja klar, immerhin bist du meine beste Freundin, und das müssen sie doch wissen!" erklärte das Mädchen vor mir wie selbstverständlich. Beste Freundin. Ihre Worte berührten mich zutiefst. Ich hatte noch nie eine Freundin. Geschweige denn eine beste. Aber es fühlte sich gut an.

Ich hab auch über dich geschrieben.

Ihre Augen wurden größer vor Neugier, und sie rückte näher an mich heran. „Ja wirklich? Was denn? Was nettes? Sag doch!" In diesem Moment verhielt sie sich wie ein kleines Kind. Grinsend schrieb ich:

Dass du meine Mitbewohnerin bist.

Bevor sie protestieren konnte mit so Dingen wie „Das wars?!" , schrieb ich weiter:

Die ich unglaublich lieb habe.

Ihr zu Protesten bereits offener Mund schloss sich wieder, ihre Augen dagegen wurden noch ein Stück größer. Sie umarmte mich. „Aaawww!" Beherzt nahm ich ihre Umarmung an. Als wir uns wieder lösten, fragte sie interessiert: „An wen hast du überhaupt geschrieben? Ich meine deine Eltern sind ja tot und weil du keine Geschwister -" erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund. „Entschuldigung, ich wollte nicht... ich meine, ich dachte nur.... ach, Mist!" Lächelnd griff ich nach ihrem Arm um zu zeigen, dass alles in Ordnung war.

Ich schreibe an Margot.

„Ist das eine Verwandte?" Ich schüttelte den Kopf.

Margot hat mich in ihre Familie aufgenommen, nachdem ich meine verloren habe. Für mich gehört sie zur Familie dazu.

Sofie nickte verstehend. „Das ist wirklich schön, Sicher freut sie sich über deinen Brief!" Zusammen gingen wir zu dem Boten, der an diesem Tag alle Briefe im Schloss einsammelte, gaben unsere Post ab und liefen anschließend wieder zur Arbeit, da unsere Pause zuende war.

Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt