Irgendwie hatte ich erwartet, dass vor der Tür alle Bewohner des Palastes stehen würden um zu lauschen. Als ich jedoch auf den Flur hinaustrat, war ich alleine. Darüber war ich ungemein erleichtert. Rasch machte ich mich auf zu meinem Zimmer. Dabei dachte ich darüber nach, was in den letzten Minuten vorgefallen war. Ich konnte kaum glauben, dass ich mein Geheimnis tatsächlich jemandem erzählt hatte. Und dann auch noch dem König! Und Kilian... Bei diesem Gedanken biss ich mir auf die Lippe und kniff die Augen zusammen. Sein Blick, oder viel eher seine unübersehbare Ignoranz taten weh. Sehr sogar. Aber das hatte ich mir selbst eingebrockt. Mir war klar gewesen, dass eine solche Reaktion kommen würde. Ich musste ihm die Situation erklären. Die nächsten Tage würde ich ihn aufsuchen und mit ihm reden. Vielleicht würde er mich verstehen. Einzig dieser Gedanke schaffte es, dass ich im Gehen nicht an Tempo verlor. Neben dem Schmerz spürte ich jedoch auch noch etwas anderes. So etwas wie Erleichterung. Tatsächlich fühlte ich mich ein wenig besser, nun da jemand die Wahrheit kannte. Zumindest einen Teil davon. Mittlerweile war ich vor meiner Kammer angekommen und trat hinein. Eine vollkommen aufgelöste Sofie erwartete mich darin. Sie saß auf ihrer Bettkante und sah mich einen Moment lang an, als sei ich ein Geist. Angst kroch in meine Glieder. Augenblicklich blieb ich stehen. Würde sie mich auch so kalt behandeln, nun da sie mich sprechen gehört hatte? Meine Angst verflog, sobald Sofie aufsprang und sich in meine Arme stürzte. Von ihrer Distanz am Morgen war nichts mehr zu spüren. „Tia! Ich hatte solche Angst um dich! Ich dachte dir sei etwas passiert und sie hätten dich gefangen genommen und du würdest eingesperrt oder verurteilt oder verbannt und aus dem Schloss geworfen oder -" Sie stoppte sich selbst, als ihr die Luft ausging. Stattdessen drückte sie mich noch näher an sich. Überrascht über ihre Sorge um mich merkte ich, wie dringend ich gerade eine Umarmung brauchte. Daher drückte ich sie ebenso fest an mich.
„Es...tut mir leid." flüsterte ich irgendwann zaghaft, während ich mein Gesicht in ihren Haaren vergrub. Eine rote Locke kitzelte mich an der Nase. Sie zog sich zurück und lächelte mich an. „Alles gut, ich bin einfach froh, dass es dir gut geht." Betreten sah ich zu Boden. „Das hatte ich eigentlich nicht gemeint, sondern..." Ungeschickt deutete ich auf meinen Hals. Zu meinem Erstaunen hörte Sofie nicht auf zu lächeln. „Ach das! Keine Sorge, ich hab mir schon fast gedacht, dass du irgendwann anfängst zu reden." Überrascht sah ich zu ihr auf. Sie zuckte nur mit den Schultern. „Kein Mensch hält es ewig aus ohne zu Sprechen." „Aber... ich hab dir doch gesagt ich bin stumm!" Sie schüttelte den Kopf. „Nein, du hast mir gesagt du sprichst nicht. Ich bin vielleicht nur eine Magd, aber dumm bin ich nicht." In meinem Bauch breitete sich ein warmes Gefühl aus, und auf meinem Gesicht erschien ein strahlendes Lächeln. Voller Freude umarmte ich sie noch einmal. „Du bist die beste, klügste, hübscheste und warmherzigste Freundin die man sich wünschen kann!" Und ich wünschte ich könnte dir auch mein anderes Geheimnis erzählen. An meiner Schulter spürte ich wie sie lächelte, dann meinte sie jedoch leise: „Sei dir da mal nicht so sicher..." Irritiert löste ich mich von ihr und sah sie fragend an. „Wie meinst du das?" Bevor sie antworten konnte, klopfte es an der Tür. Stirnrunzelnd ging meine beste Freundin zur Tür und öffnete sie.
Dahinter erschien ein Paar rehbrauner Augen. Allerdings ließ der Ausdruck darin mir das Blut in den Adern gefrieren. "Hoheit! Was -" begann Sofie überrascht, doch sie wurde unterbrochen. "Ich entschuldige mich für die Störung, aber ich muss mit Tia sprechen." Kilian Stimme war mindestens so eisig wie sein Blick. Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Schaudern. Kurz sah ich zu Sofie, die nur fragend eine Augenbrauen hob. Dann sah ich zu Boden, denn ich konnte den stechenden Blick nicht mehr ertragen, und lief an meiner besten Freundin vorbei aus dem Zimmer. Schweigend ging ich neben dem Prinzen her, der zielstrebig durch die Gänge schritt. Dabei betrachtete er mich kein einziges Mal. Dieses kalte Verhalten machte mich noch ganz krank! Am schlimmsten war jedoch, dass ich nicht wusste, was er dachte. Sonst hatte ich immer in seinem Blick sehen können, was ihn beschäftigte. Nun sah ich nichts als eiserne Verschlossenheit. Und so sehr ich wissen wollte, was nun in ihm vorging... so sehr hatte ich auch Angst davor, es zu erfahren.
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Sound of Silence
FantasyDie siebzehnjährige Tia reist aus ihrer Heimat in ein fremdes Land, um dort eine Arbeit am Königshof zu finden. Das neue Leben ist fremd und völlig ungewohnt. Sie kann sich zunächst nur schwer einleben, vor allem durch ihr besonderes Handicap. Zusät...