Szene 1

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20 Jahre später.

Es ist einer dieser typischen Februartage. Der Himmel ist grau und es nieselt bei 10 Grad. Mein Blick wandert aus dem Fenster, das nicht wirklich eine spannende Aussicht zu bieten hat. Man kann lediglich den wie leergefegten Schulhof mit den Tischtennisplatten, Bänken und Tischen und die gegenüberliegenden Schulgebäude erkennen.

Nicht zum ersten Mal seit etwa einer Stunde wünsche ich mir nichts sehnlicher, als in meinem Bett zu liegen und meinen wirklich üblen Kater zu verschlafen. Stattdessen sitze ich, wie jeden Mittwochmorgen in den ersten beiden Schulstunden, im Religionsunterricht, der sich leider nicht abwählen lässt. Aber für den gestrigen Abend nehme ich auch gerne ein paar üble Kopfschmerzen in Kauf. Immerhin war es das letzte Mal vor dem Abitur, dass meine Mädels und ich feiern waren. Das haben wir auf jeden Fall zwischen dem zweiten und dritten Tequila beschlossen. Und ab heute wird mit Vollgas gelernt - na ja, vielleicht auch erst ab morgen.

Langsam wird es ernst. Nur noch vier Wochen, dann geht es mit den schriftlichen Prüfungen los. Und in ein paar Monaten wartet endlich die Freiheit auf mich. Ich werde  ausziehen und in München ein BWL-Studium beginnen. Mein NC sollte dafür reichen, wenn ich die Prüfungen nicht total in den Sand setze.

Nur mit Mühe kann ich ein Gähnen unterdrücken und trinke noch einen großen Schluck Wasser, in der Hoffnung, das schmerzhafte Pochen in meinem Schädel lindern zu können. Apropos NC: vielleicht sollte ich wenigstens einen sinnvollen Beitrag zu der heutigen Doppelstunde leisten, denn daran, dass jede einzelne Religionsnote in meinen Abischnitt einfließt, kann ich auch nichts ändern.

Aus irgendeinem unerklärlichen Grund sind wir von der Christenverfolgung mal wieder bei der Theodizeefrage angelangt. Genau genommen gibt es dazu nicht so viel zu sagen. Das Leiden auf dieser Welt ist eine unabdingliche und wirklich beschissene Tatsache, das habe ich am eigenen Leib erfahren müssen. Die logische Schlussfolgerung ist: Es gibt keinen Gott. Aber das scheinen die Theologen noch nicht begriffen zu haben. Das Warum beschäftigt nun mal die Menschheit, doch ich habe aufgehört, meine Gedanken an die Frage Was-wäre-wenn zu verschwenden. Ich überlege mir lieber, was ich inhaltlich Wertvolles beitragen kann, damit ich heute keine Vier mündlich eingetragen bekomme.

In der ersten großen Pause haben Johanna und ich ein paar heiß begehrte Sitzplätze im Aufenthaltsraum ergattern können. Bei dem miesen Wetter tummeln sich alle Schüler des Anne-Frank-Gymnasiums im Foyer und in der Cafeteria.

„Meine Güte, ich glaube, ich habe den ganzen Alkohol gestern herausgeschwitzt", lacht Johanna. „So viel getanzt habe ich schon lange nicht mehr."

„Kann es sein, dass diese Umstände etwas mit einem bestimmten männlichen Wesen zu tun haben?", stichele ich. „Na komm schon, hast du nun die Handynummer des unbekannten aber unendlich gutaussehenden Fabian?"

Johanna boxt mich in die Seite. „Pscht, nicht so laut!", zischt sie, aber auf ihrem Gesicht breitet sich ein Grinsen aus.

„Glaubst du, ich sollte ihn anschreiben?"

„Ja, das solltest du.", ertönt plötzlich eine Stimme hinter uns. Johanna zuckt ertappt zusammen, atmet aber erleichtert auf, als sie bemerkt, dass es nur Sabrina ist, das dritte Mitglied unseres kleinen Trios.

Die beiden lassen sich grinsend auf den beiden Stühlen mir gegenüber nieder.

Ich beuge mich über den Tisch zu Sabrina und flüstere in verschwörerischem Ton: „Ich habs dir doch gesagt, er hat ihr einen Zettel zugesteckt."

„Ahaaa" vielsagend wackelt Sabrina mit den Augenbrauen. „Johanna, ich befürchte, aus der Nummer kommst du nicht mehr heraus. Ich würde sagen, es ist Zeit für ein paar Fakten." Mit diesen Worten schlägt sie ihre Hand auf den Tisch und Johanna lehnt sich seufzend, aber immer noch mit einem breiten Grinsen im Gesicht, nach hinten und beginnt, über jedes kleinste Detail des gestrigen Abends zu berichten.

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