Szene 6

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Der Streit mit meinem Vater ist nun schon zwei Tage her. Langsam habe ich das Gefühl, dass ein Fluch über den letzten Wochen auf meiner Schule liegt. Nun habe ich es fast geschafft, die Schule zu beenden, ohne dass irgendjemand irgendetwas herausgefunden hat. Und dann, kurz vor Ende, holt mich alles wieder ein.

Nervös betrete ich das Musikklassenzimmer. Johanna sitzt bereits auf ihrem Platz. Ich bin zu spät, also husche ich leise auf meinen Stuhl. Frau Schärder ist gerade dabei, den Notendurchschnitt an die Tafel zu schreiben. Die Klausur ist wohl nicht so gut ausgefallen, obwohl ich sie ziemlich einfach fand. Nach einem Vortrag darüber, wie schwach unsere Leistungen waren und zu wie viel Prozent diese Klausur in unsere Note einfließt, teilt sie die Arbeiten aus. Ich habe 14 Punkte. Mit einem zufriedenen Lächeln lehne ich mich zurück.

„Wie machst du das bitte immer?", fragt Johanna erstaunt. „Ich meine, du hast eigentlich keine Ahnung von Musik und trotzdem hast du immer die beste Klausur. Ich verstehe das nicht."

Ich zucke mit den Schultern. In der E-Phase, als die Noten noch nicht in den Abischnitt zählten, habe ich absichtlich viele Fehler in meine Klausuren in Musik eingebaut, damit ich nicht so herausstach. Mittlerweile muss ich an meine Zukunft denken und jede gute Note verbessert meinen NC. Also verstecke ich mein Können nicht länger.

„Weißt du, ich bin ein Naturtalent", erkläre ich ihr grinsend. „So wie du im Tanzen. Du übst es auch nicht und tanzt einfach wie eine Göttin, während andere sich total zum Affen machen."

„Du Schleimerin", lacht Johanna leise, errötet aber gleich bei dem Kompliment. „Ich verstehe es trotzdem nicht. Schau dir Hannah an. Sie spielt richtig gut Klarinette, sogar im Jugendauswahlorchester und trotzdem hat sie nur 12 Punkte."

Ja, ich kenne Hannah. Und es wundert mich, dass sie mich nicht erkennt. Wir sind zwar nie Freundinnen gewesen, aber wir hatten immerhin einige Zeit jeden Tag Stunde um Stunde miteinander geprobt, gefeiert und gegessen. Aber meistens ist es im Leben doch so, dass man bestimmte Menschen nur dort sieht, wo man sie auch erwartet. Ich schüttele den Gedanken an Hannah schnell ab. Es handelt sich nur noch um zwei Musikstunden, dann werden sich unsere Wege trennen.

„Vielleicht besteche ich ja auch Frau Schärder", sage ich mit einem gespielten Pokerface.

Wieder muss Johanna kichern. „Ich glaube, ich sollte einfach mal bei dir Nachhilfe nehmen.", meint sie.

„Dafür dürfte es mittlerweile zu spät sein. Es war leider die letzte Musikklausur in deinem Leben, meine liebste Johanna." Mit einer gespielt tröstenden Geste tätschele ich ihren Arm.

„So ein Glück eigentlich.", murmelt sie.

Nachdem die Klausur besprochen ist, müssen wir noch eine Tonsatzwiederholung über uns ergehen lassen für die Kandidaten, die in drei Wochen ihre schriftlichen Abitursprüfungen in Musik schreiben werden. Ich bin froh, dass ich dieses Mal von sämtlichen Musikbeispielen verschont werde und wir lediglich simple Mathematik betreiben. Musiktheorie ist nämlich nichts anderes. Als es zum Stundenende klingelt und ich gerade aufstehen will, kommt Frau Schärder auf mich zugelaufen.

„Bettie, dürfte ich dich vielleicht kurz sprechen?", bittet sie mich. Mit einem unwohlen Nicken warte ich bei ihr, bis alle Schüler den Klassenraum verlassen haben.

„Bitte setz dich doch.", sagt sie und deutet auf den Platz direkt gegenüber des Lehrerpults.

„Ist alles okay, ich meine, stimmt etwas nicht?", frage ich unsicher.

„Da bin ich mir nicht so sicher. Ich hoffe, du kannst mich aufklären." Ihre Stimme klingt ungewohnt streng und vielleicht auch ein wenig verärgert. Das mulmige Gefühl breitet sich immer mehr aus.

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