Nora und ich sind noch ein paar Dinge erledigen, wir sind in zwei Stunden wieder da. Das Frühstück ist übrigens hervorragend. :)
Ein lauter Seufzer entfährt mir, als ich die Nachricht von meinem Vater lese. Ein paar Dinge erledigen... Was soll das bitte heißen? Planen die beiden jetzt den Super-Einbruch wie bei Ocean's Eleven? Ich muss bei dem Gedanken, wie wir mit schwarzer Kleidung und Sturmhaube durch die Nacht schleichen, grinsen. Aber mein Vater hat Blut geleckt, da bin ich mir ziemlich sicher. Gestern Abend hatte er diesen Gesichtsausdruck, den ich nur von früher kenne. Meistens hatte er diese Miene aufgesetzt, wenn ihm ein Klavierstück nicht so gelingen wollte, wie es seinen Vorstellungen entsprach. Er saß dann immer stundenlang am Klavier und hat geübt. Und irgendwann, nach ein paar Tagen und kaum einer Handvoll Stunden Schlaf ist er dann freudestrahlend zurück unter die Lebenden gekehrt und hat meiner Mutter das Stück präsentiert.
Vielleicht hatte Felix recht und mein Vater ist wirklich der einzige, der es schaffen kann, Jakobs Geige zurückzuholen.Ich mache mich frisch und beschließe, einmal einen Blick auf das "hervorragende Frühstück" zu werfen. Ein bisschen Energie in Form von Essen kann auf jeden Fall nicht schaden. Also mache ich mich auf die Suche.
Links neben dem Empfangstresen werde ich fündig. Eine offen stehende Tür führt in den Speisesaal, der, trotz der späten Uhrzeit, noch ziemlich gut gefüllt ist. Das Buffet sieht wirklich appetitlich aus, also schnappe ich mir einen Teller und stapele möglichst viel von allem darauf und lasse mich an einem kleinen Tisch in der Ecke direkt neben einem Fenster mit Blick auf die Straße nieder. Eine Weile beobachte ich die vorbeifahrenden Autos und die Menschen, die auf dem Gehsteig entlangschlendern. Wieder frage ich mich, was mein Vater und Nora wohl gerade treiben.Während ich mein Croissant verschlinge, wage ich es, mich in das WLAN der Pension einzuloggen. Sofort springen mir tausend Nachrichten aus den verschiedensten Chats entgegen, die meisten stammen aus dem Englisch-LK-Chat. Ich überfliege die Textnachrichten und stöhne innerlich auf, als ich die vielen hirnrissigen Bilder und Nachrichten betrachte, die manche meiner ehemaligen Mitschüler in den Chat schicken. Es ist langsam an der Zeit, die Gruppe einfach zu verlassen - das Niveau wird sich dann von ganz alleine wieder heben.
Sabrina hat mir geschrieben und gefragt, ob wir uns in den nächsten Tagen mal treffen möchten. Sie und Helena haben wohl einen Mädelsabend geplant. Schnell schreibe ich ihr eine Antwort. Auch Johanna hat sich aus ihrem Urlaub in Schweden gemeldet und mir ein paar Fotos und liebe Grüße geschickt. Mit einem Lächeln bedanke ich mich und betrachte neidisch die tollen Bilder. Warum muss eigentlich immer nur mein Leben so kompliziert sein?
Ich scrolle weiter durch die Chats und beantworte Nachrichten. Mein Herz schlägt schneller, als ich sehe, dass mir mein Vater Felix Nummer geschickt hat. Die Versuchung ist groß, ihn einfach anzurufen, doch mein Verstand sagt mir, dass es besser ist, ihn wenigstens für ein paar Tage in Ruhe über alles nachdenken zu lassen.
Als ich nach anderthalb Stunden immer noch nichts von meinem Vater und Nora gehört habe, beschließe ich, nach draußen zu gehen. Ich krame das Kleid hervor, das ich auf unserer Reise gekauft habe und streife es über. Draußen ist es warm genug dafür und irgendwie scheint es mir der passende Moment zu sein, um das Kleid einzuweihen. Schnell versuche ich, meine Locken in Ordnung zu bringen. Es ist ungewohnt, nach über zwei Jahren wieder die alten Haar-Probleme bewältigen zu müssen. Nie wollen sie so sitzen, wie ich es gerne hätte. Mit glatten Haaren war das alles so viel leichter. Aber ich habe das Gefühl, dass die Zeit, in der ich den einfachen Weg gewählt habe, nun vorüber ist.
In dem kleinen Hafen von Bellagio tummeln sich viele kleine Segel- und Motorboote in den unterschiedlichsten Farben und Formen. Ein paar davon sind Fischerboote, die meisten aber dienen vermutlich allein dem Vergnügen ihrer Besitzer. Ich schlendere am Hafenbecken entlang und bestaune die vielen verschiedenen Boote. Wenn ich mir eins aussuchen dürfte, welches würde ich wohl nehmen? Allerdings bin ich mir nicht mal sicher, ob es mir bei dem Schaukeln auf den Booten nicht schlecht werden würde.
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An deiner Saite
Teen FictionNach dem tödlichen Unfall ihrer Mutter und ihres Bruders versucht Elisabeth zu vergessen. Sie will einfach nur noch das Leben einer normalen Achtzehnjährigen führen, um die Vergangenheit, in der sie Profimusikerin werden sollte, hinter sich zu lasse...