Szene 15

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Es ist an der Zeit, meinem Vater Bescheid zu geben. Mittlerweile bin ich seit fast zwei Tagen weg und er hat immer noch keine Ahnung, wo genau ich stecke. Mein Chat mit ihm zeigt fünfzehn ungelesene Nachrichten an: Ellie, wo steckst du? Kannst du mir bitte antworten? Geh endlich an dein Handy! Wer ist bei dir? Und so weiter.
Ich werfe Felix einen schnellen Seitenblick zu. Er sitzt konzentriert hinter dem Steuer, sein Blick ist geradeaus auf die Straße gerichtet. Langsam macht sich wieder ein Dreitagebart in seinem Gesicht bemerkbar, der ihn weniger kindlich erscheinen lässt.

„Was soll ich meinem Vater schreiben?", frage ich in die Stille hinein. Felix wirft mir einen schnellen Blick zu.

„Oh. Hat er geschrieben?"

Ich nicke.

„Gute Frage. Thomas ist ziemlich wütend geworden, als ich davon gesprochen habe, dass er die Geige nicht verkaufen soll. Vielleicht denkst du dir besser was aus."

„Und was?", frage ich ratlos.

„Keine Ahnung. Schreib, du hast spontan beschlossen, dein bestandenes Abitur mit einem Kurztrip nach Italien zu feiern. Sag ihm, du bist mit einem guten Freund unterwegs."

Ich bringe ein unechtes Lachen hervor. „Und welcher Freund soll das sein? Das klingt ehrlich gesagt nicht sehr realistisch."

„Dann schreib ihm, dass ich bei dir bin.", schlägt er herausfordernd vor.

„Er wird eh Verdacht schöpfen, egal, was ich schreibe.", seufze ich. „Spontane Roadtrips sind einfach nicht mein Stil."

"Schade eigentlich. Macht irgendwie Spaß mit dir.", grinst Felix.

„Das würde ich an deiner Stelle auch sagen, sonst kannst du die Geige alleine klauen."

„Moment, von Klauen habe ich nie etwas gesagt.", protestiert er. „Da werden wir uns schon noch was überlegen."

Nach einigem Abwägen entscheide ich mich für eine Halbwahrheit: Ich bin mit Felix unterwegs. Er hat mich gebeten, ihn auf eine Reise nach Italien zu begleiten. Da macht er bei einem Wettbewerb mit. Mach dir keine Sorgen, ich bin in ein paar Tagen wieder zu Hause. <3
Ich hoffe, dass mein Vater nicht zu viele Fragen stellen wird und am allerwenigsten hoffe ich, dass er sich irgendetwas zusammenreimt.


Die A7 ist heute unsere neue beste Freundin. Immerhin führt uns die Autobahn von Hamburg fast bis an die Süddeutsche Grenze. Ich hoffe sehr, dass wir diesmal nicht wie auf der Hinfahrt in einem Stau landen. Aber im Gegensatz dazu stehen wir diesmal nicht unter Zeitdruck. Es ist bereits früher Nachmittag und wir haben es schon bis Kassel geschafft. Eigentlich würden wir bis zu Hause nicht mehr lange brauchen, aber unser Weg führt uns daran vorbei durch Hessen durch. Auf meinem Handy habe ich herausgefunden, dass wir durch Baden-Württemberg fahren werden, am Bodensee vorbei und dann durch die Schweiz, bis wir schließlich Italien erreichen. Laut Navigationsgerät brauchen wir für die Strecke von Hamburg zum Comer See mindestens zwölf Stunden. Wir werden also wieder irgendwo übernachten müssen. Ich bin sowieso erstaunt, dass Felix ein solch ausdauernder Fahrer ist. Ich halte in der Regel nicht länger als drei Stunden durch, bis ich eine längere Pause brauche.

Der Gedanke, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit noch die nächsten Tage mit Felix verbringen werde, macht mich ganz nervös. Es hat eine Zeit gegeben, in der wir über alles reden konnten. Doch jetzt ist in seiner Anwesenheit mein Kopf wie leergefegt. So vieles könnte ich ihn fragen, doch eine innere Blockade hindert mich daran. Fast so, als wäre ich ein schüchternes kleines Mädchen, das Angst davor hat, mit dem großen, bösen Jungen zu reden. Trotzdem möchte ich so viel von ihm wissen. Wie ist es ihm wohl die letzten drei Jahre ergangen? Hat er oft an mich gedacht? Ich zumindest habe lange Zeit noch ständig an ihn gedacht. So oft habe ich mir gewünscht, er wäre da gewesen. Zumindest am Anfang. Doch mit dem Denken an Felix sind stets die Gedanken an Jakob und Mama zurückgekehrt. Und das tat so weh, dass ich mir lange jegliche Gedanken an Felix verboten habe. Jetzt sitze ich hier. Mit ihm.

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