Szene 20

1.3K 116 42
                                    


Manchmal tritt das Leben einen in den Hintern. Das habe ich ja schon häufiger festgestellt und heute ist es mal wieder so weit. Es ist dieses Gefühl, nicht weiter zu wissen, als gäbe es keine Möglichkeit, dass alles wieder gut werden könnte.

Nicht weinen, ermahne ich mich. Felix muss mich sowieso schon für die größte Heulsuse halten. Also starre ich auf die Straße vor mir, allein darauf konzentriert, keine der Gefühle zuzulassen, die ständig in mir aufwallen möchten. Ich werfe Felix einen Seitenblick zu. Sein Blick ist verkniffen, als müsste er sich mit aller Kraft auf das Fahren konzentrieren.
Keiner sagt ein Wort bis das Hotel auf einmal vor uns auftaucht.

Mit einem Ruck tritt Felix auf die Bremse, als wir auf den Parkplatz rollen.

"Ich brauche frische Luft.", murmelt er und steigt ohne einen weiteren Kommentar aus. Die Fahrertür knallt hinter ihm zu, dann ist es still. Ich hole einmal tief Luft, dann steige auch ich aus.

"Felix, kannst du bitte warten!", rufe ich ihm hinterher, doch seine Schritte werden nicht langsamer. Als ich ihn schließlich eingeholt habe, ist er bereits am Seeufer angekommen. Die Sonne muss vor ein paar Minuten untergegangen sein, denn der Himmel hat sich in fantastische Rot- und Lilatöne verfärbt. Hier, direkt an dem steinigen Ufer, ist nun kaum noch eine Menschenseele zu entdecken.

"Verdammt!", fluche ich keuchend. "Rede mit mir!"

Ich packe ihn am Arm, doch Felix reißt sich los. Diese kleine Geste ist so unglaublich verletzend, dass ein Stück in mir sofort umdrehen und zurück zum Hotel laufen möchte. Doch so schnell gebe ich nicht klein bei.

"Worüber sollen wir denn reden?" Sein Blick hat eine ungewohnte Härte angenommen. "Die Geige ist fort, das hast du vermutlich auch schon begriffen."

"Dann lassen wir es eben." Meine Stimme ist nun ganz sanft geworden, als versuche ich, zu einem wütenden Kleinkind zu sprechen. "Ich meine, sie ist ja nicht unbedingt verloren, nur eben für uns gerade unerreichbar. Wenn Jakob uns wirklich sehen kann, wird er wissen, dass wir nichts unversucht gelassen haben."

"Lass Jakob aus dem Spiel, bitte!" Nun klingt Felix Stimme fast flehend. Ich versuche, seine Hand zu nehmen, doch wieder entzieht er sich mir. Und auf einmal baut sich eine nur selten gekannte Wut in mir auf. Eine Wut ausgelöst von Unverständnis. Ich trete zwei Schritte zurück.

"Erklär mir, was los ist.", fordere ich ihn auf.

"Das verstehst du nicht.", presst Felix hervor.

"Ich bin kein kleines Kind mehr, kapier das endlich!"

"Das weiß ich, verdammt!" Er schlägt die Hände vors Gesicht, rauft sich die Haare. Dann dreht er sich um und folgt der Wasserlinie, weg von mir. Ich möchte schreien, ihn rütteln, aber ich bleibe ruhig, laufe ihm stattdessen nach.

"Ist es wegen der Geige?"

"Natürlich ist es wegen der Geige."

Wieder versuche ich, mit ihm Schritt zu halten. "Du bist wie besessen davon. Du schuldest Jakob gar nichts, verstehe das doch endlich."

In diesem Moment bleibt Felix abrupt stehen, sodass ich fast in ihn hineinlaufe. Hastig mache ich einen Schritt nach hinten. Ich habe das Gefühl, diesen Menschen nicht mehr zu kennen. Sein Gesicht ist verschlossen, seine Augen kalt. Was beschäftigt ihn so sehr, dass er nicht mit mir darüber reden kann?

"Oh doch, du hast keine Ahnung, was ich ihm schulde.", sagt er leise. "Ich hätte dich nie da mit rein ziehen dürfen, es tut mir leid."

Einen Moment bin ich wie erstarrt. Irgendwie weiß ich sofort, was er mir damit sagen möchte, aber mein Gehirn will es nicht begreifen. Wie in Trance stolpere ich auf ihn zu, will ihn in den Arm nehmen, ihn küssen, irgendetwas, aber Felix packt mich an den Schultern und hält mich fest.

An deiner SaiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt