Szene 12

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Ich muss wieder eingeschlafen sein, denn ich schrecke hoch, als mich jemand unsanft an der Schulter rüttelt. Sind wir schon da? Nein. Der Motor läuft noch, aber wir fahren langsamer. An beiden Seiten ziehen Gebäude vorbei, offensichtlich haben wir Hamburg schon erreicht.

"Ellie, du musst das Navi bedienen. Ich kann nämlich diese nervtötende Stimme nicht abhaben, die mir sagt, wo ich langfahren soll.", erklärt Felix und drückt mir sein Handy in die Hand.

"Hm." Verschlafen schaue ich auf das Smartphone. Ankunft voraussichtlich in zwanzig Minuten. Wir werden eine volle Stunde zu spät kommen. Vorsichtig schiele ich zu Felix rüber, der mit konzentriertem Blick am Steuer sitzt. Jedes mal, wenn eine Ampel auf rot springt, entfährt ihm ein genervtes Knurren, das eigentlich echt süß sein könnte, müsste ich nicht mit ihm in einem Auto sitzen.

"Komm schon, du Penner. Es ist grün!", flucht er, doch das Auto vor uns bewegt sich nicht. Felix hupt zweimal, erst dann fährt der rote PKW an.

"Auf die paar Sekunden kommt es auch nicht mehr an.", versuche ich ihn zu beruhigen, natürlich zwecklos.

Vom vielen Anfahren und Stehenbleiben sind meine Übelkeit und die Kopfschmerzen zurückgekehrt, doch ich beiße die Zähne zusammen.

Als wir uns schließlich bis in die Innenstadt gekämpft haben und vor dem imposanten alten Gebäude stehen, in dem die Auktion stattfindet, ist es vier Minuten nach zehn. Felix schnappt meine Hand und zieht mich hinter sich her durch die große Glastür. Doch wir kommen nicht weit. Zwei Männer im Anzug stehen rechts und links neben dem Eingang und fordern eine Taschenkontrolle. Ich muss beinahe lachen, denn weder Felix noch ich haben eine Tasche dabei. Mit prüfendem Blick scannen uns die Securitymänner ab und winken uns schließlich durch.

"Vielleicht hätte ich doch mein Ballkleid anbehalten müssen. Dann hätten wir seriöser gewirkt.", flüstere ich Felix zu. Dieser grinst zustimmend.

Auch von innen ist das Gebäude alt, aber nobel. Ich stelle mir vor, wie hier vor 100 Jahren Männer mit Hut und einem Schnurrbart wichtige Geschäfte abgewickelt und anschließend in einer Kutsche zurück auf ihr Anwesen fuhren.
Schon von der Eingangshalle aus kann ich das Durcheinander von Streichinstrumenten hören, die von Menschen aus aller Welt getestet werden. Doch bevor wir den Saal betreten, packe ich Felix am Arm.

"Jetzt mal Klartext. Wie genau sieht dein Plan aus?", frage ich ihn. Er wird wohl kaum da rein spazieren und den Kauf einfach so verhindern.

"Ich werde mitbieten."

"Du spinnst doch komplett. Hast du mir vorhin nicht noch erklärt, du hättest nicht einfach mal so 100.000 Euro auf deinem Konto? Du kannst die Geige nicht einfach abkaufen."

"Das will ich auch nicht. Ich will nur verhindern, dass sie von jemand anderem gekauft wird. Wenn wir sie erst mal haben, können wir sicher erklären, dass das ganze nur ein Versehen war und dass du die Tochter von Thomas Leibach bist und geschickt wurdest, den Verkauf aufzuhalten. Außerdem vermute ich, dass dein Vater für die Violine nicht mehr als 25.000 Euro bekommen wird."

Ich brumme missbilligend.
"Mir fielen da jetzt mindestens zwanzig Schwachpunkte deines genialen Plans ein.", sage ich.

"Zum Glück habe ich dich nicht gefragt."

Mit diesen Worten zieht er mich durch die schwere Holztür und ich staune nicht schlecht, als wir den großen Saal betreten. In der Mitte befinden sich Vitrinen mit Geigen und Celli, die sich wahrscheinlich in einer Preiskategorie befinden, die ich nicht zu schätzen wage. Rundherum sind Tische aufgestellt und die verschiedensten Händler preisen ihre Instrumente an. Manche davon sind neu, die meisten aber haben ihre Klangqualität durch Generationen von Spielern zur Perfektion gebracht.

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