Szene 13

1.6K 123 27
                                    

Mit einem wohligen Seufzen strecke ich meine Arme und Beine in alle Richtungen. Lange habe ich nicht mehr so gut geschlafen. Eigentlich ist das Bett nicht wirklich bequem, aber vermutlich hätte ich mich auch auf den Boden legen können und wäre auf der Stelle eingeschlafen.

Ein Blick auf mein Handy sagt mir, dass es bereits 18 Uhr ist. Mist. Ich habe meinen Mittagsschlaf wohl ein wenig überzogen. Auf dem Display springen mir 5 verpasste Anrufe entgegen, drei davon sind von meinem Vater, zwei von Sabrina. Ich schreibe beiden eine Nachricht, dass es mir gut geht und dass ich mit einem Freund unterwegs bin. Ich weiß, dass das keine ausreichende Erklärung ist, doch ich habe keine Lust, ihnen irgendeine komplizierte Geschichte aufzutischen. Die Wahrheit werde ich auf jeden Fall nicht erzählen.

Sobald die Nachrichten verschickt sind, schalte ich das Handy einfach aus. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mit meinem Vater zu sprechen. Auch wenn fast nichts mehr von meiner Familie übrig geblieben ist, Jakobs Geige ist eines der letzten Überbleibsel. Natürlich wäre es viel einfacher, das Instrument zu verkaufen und sich dann im eigenen Kummer zu ersaufen, wie es mein Vater macht. Aber Felix hat mir die Augen geöffnet. Ich werde das nicht tun. Vielleicht werde ich nie wieder Musik machen, aber so viel Ehrgefühl besitze ich schon noch.

Ein herzhaftes Gähnen entfährt mir, als ich durch das winzige Zimmer des B&B Hotels in das anliegende, ebenso winzige Badezimmer tapse. Eine Dusche ist jetzt genau das Richtige, bevor ich Felix unter die Augen treten kann.
Der Gedanke an meinen damaligen besten Freund lässt mein Gehirn wieder auf Hochtouren arbeiten. So vieles ist anders geworden. Die zwei Jahre haben uns zu Fremden gemacht, die sich doch so gut kennen.

Nach unserem vormittäglichen Snack waren Felix und ich zurück zum Auto gelaufen, das wir fünf Minuten zu Fuß in einer Tiefgarage abgestellt hatten. Der erste Schritt unseres genialen Plans sah es vor, ein Zimmer zu suchen und mindestens zwei Stunden zu schlafen, um wieder klar denken zu können. Die Erschöpfung war mir in alle Glieder gekrochen, dazu hatte sich wieder das flaue Gefühl im Magen gesellt, das ein eindeutiges Zeichen für Schlafmangel war und einen Körper, der alle seine Energie darauf verwendete, Restalkohol abzubauen.
Doch das denkunfähige und übermüdete Hirn hatte sich natürlich sofort wieder gemeldet, sobald wir an der Rezeption standen. Früher hätte Felix ohne zu überlegen nach einem Zimmer mit zwei Betten gefragt. Seit wir Kinder sind, haben wir schon unzählige Male irgendwo gemeinsam übernachtet. Wie Geschwister eben.
Nun hatte er zwei Einzelzimmer beordert und ich war mir unsicher, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Ich entschied mich für Ersteres, wahrscheinlich wäre ich mit seiner Anwesenheit nur überfordert.

All diese Gedanken schießen mir durch den Kopf, als das warme Wasser auf meine Haut prasselt. Innerlich könnte ich mich schlagen, dass ich über so etwas überhaupt nachdenke. Erfahrungsgemäß macht sich in solchen Fällen mein innerstes Ich selbstständig und beginnt, aus einer Fliege einen Elefanten zu machen. Ich merke das allerdings erst, wenn es zu spät ist. Das eigentliche Problem ist, dass so viel zwischen Felix und mir steht. So viele unausgesprochene Dinge. Warum hat er sich damals nicht mehr blicken lassen, ohne auch nur ein Wort zu sagen? Warum hat er mich einfach im Stich gelassen, allein mit dem unerträglichen Schmerz? Er hat sich nie gemeldet, kein einziges Mal. Der Wut, die ich damals empfand, wich recht bald Gleichgültigkeit. Wie gesagt, Felix ist ein Fremder für mich geworden. Dann taucht er zwei Jahre später auf und entführt mich auf eine verrückte Reise. Als wäre nichts passiert. Ohne eine Erklärung. Er macht mich wirklich wahnsinnig.

Als ich aus der Dusche steige und mir ein Handtuch umwickele, höre ich ein Klopfen.

"Ellie? Lebst du noch?"

Hastig ziehe ich mir etwas über und öffne die Tür.

"Darf ich rein kommen?", fragt Felix und lugt durch den Türspalt.

An deiner SaiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt