Szene 3

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Es ist Donnerstag. Irgendwie ist es viel zu oft Donnerstag in der Woche. Und heute kann ich nicht fehlen. Johanna und Helena, eine gute Freundin von ihr, unterhalten sich fröhlich vor mir, während wir den Gang entlanglaufen. Sabrina hat zu dieser Zeit Kunst, Basti hat Musik abgewählt. Wie recht sie damit hat. Ich hätte sowieso von Anfang an lieber Kunst gewählt, aber das war der Deal mit meiner Therapeutin: Ich werde das Unterrichtsfach Musik bis zum Abitur besuchen und nicht abwählen. Dafür hält sie meinen Vater aus den Sitzungen heraus. So gesehen war es das geringere Übel und dafür kann ich auch meinen Abischnitt verbessern, denn diese Klausuren könnte auch ein Fünftklässler mit Leichtigkeit bestehen.

Wir setzen uns in die hinterste Reihe auf unsere üblichen Plätze. Frau Schärder hat bereits hinter dem Lehrerpult Platz genommen und trägt irgendetwas in ihre Unterlagen ein. Schließlich steht sie auf und begrüßt den Kurs.

„Einen wunderschönen guten Nachmittag. Leider habe ich es noch nicht geschafft, eure Klausuren zu korrigieren. Ihr werdet sie dann nächste Woche zurück bekommen."

Der Kurs stöhnt auf.

„Wozu bin ich heute überhaupt hergekommen?", zischt Johanna mir zu.

„Aber für manche von euch wird es in 4 Wochen ernst, also würde ich vorschlagen, dass wir uns heute besonders den Abiturvorbereitungen widmen. Wer wird noch mal Musik schriftlich machen?"

Vereinzelte Hände zeigen auf. Johanna lässt den Kopf in die Hände fallen.

„Na das wird ja ne Wahnsinnsstunde", stöhnt sie. „Ich hab jetzt schon kein Bock mehr. Wetten, wir müssen die ganze Zeit irgendwelche blöden Stücke analysieren und irgendwelche beschissenen Funktionen von irgendwelchen kryptischen Akkorden herausfinden?"

„Ruhe dahinten!", ertönt Frau Schärders Stimme.

Schuldbewusst blickt Johanna nach vorne. Nach einer Minute beugt sie sich zu mir herüber und flüstert: „Hey, Bettie, du kannst das doch so gut. Ich darf doch sicher bei dir abschreiben, oder?"

Ich verdrehe die Augen und grinse. „Sicher.", flüstere ich, als unsere Lehrerin die Blätter austeilt. „Aber kein Verlass!"

„So, ihr habt eine Dreiviertelstunde Zeit. Es reicht, wenn ihr Stichpunkte macht, aber dann will ich von jedem von euch ein Ergebnis sehen. Gerne dürft ihr auch in kleinen Gruppen arbeiten. Die Prüflinge geben sich bitte besonders Mühe. Seht es als Chance. In 35 Minuten werde ich euch für die 4. Aufgabe einen Teil aus einer Sinfonie vorspielen. Die Arbeitsanweisung steht unten auf dem Blatt."

Mit diesen Worten setzt sie sich wieder hinter den Schreibtisch. Mein Blick fällt auf die untersten Zeilen.

Hören Sie sich das Stück an und bestimmen Sie die Epoche. Welche Instrumentation wird eingesetzt, wie wirkt das Leitmotiv? Welche Stimmung möchte der Komponist verbreiten?

Mit gerunzelter Stirn beginne ich, die Aufgaben zu erarbeiten. Ich versuche, meinen gefühllosen Automatismus einzuschalten und bloß nicht zu viel zu denken.

„Hey, was heißt das?", zischt mir Johanna zu und deutet auf eine Ziffer auf meinem Blatt.

„Verkürzter Dominantseptakkord mit Quint im Bass.", murmele ich.

„Ok, ich frag ja schon gar nicht mehr." Mit verdrehten Augen schreibt sie den bestimmten Akkord ab. Ich weiß, dass meine Antwort etwas forsch war, aber ich habe keine Lust, ihr Genaueres zu erklären.

"Und was heißt das noch mal mit dem Kammerton a?", fragt Johanna erneut. Sie hat wirklich keine Ahnung. Diesmal versuche ich, etwas geduldiger mit meiner Freundin zu sein.

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