Szene 17

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Manchmal wünschte ich, Menschen wären Roboter. Oder Computer. Dann müsste ich einfach nur die Statusmeldungen abrufen und dann würde dort so etwas stehen wie: Felix hat sich total in Ellie verknallt, oder Der Kuss war ganz nett, oder Es war ein großer Fehler, Ellie zu küssen. Nur leider weiß ich nicht, was das Betriebssystem "Felix" wirklich darüber denkt.

Seit fast einer Stunde sitzen wir wieder im Auto und seit fast einer Stunde haben wir nur das Nötigste an Worten gewechselt. Dabei gäbe es gerade jetzt so viel zu sagen. Aber vielleicht sieht Felix das auch anders. Was würde ich jetzt für diesen Roboter-Felix geben... 
Oder für meinen Roboter. Wie soll ich in der Lage sein, etwas von Felix Gefühlen zu verstehen, wenn ich noch nicht mal meine eigenen begreife?

Genau genommen müsste er mit mir nicht einmal über den Kuss reden. Es würde schon reichen, wenn er überhaupt mit mir sprechen würde. Vielleicht über die Tatsache, dass ich heute zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder eine Geige in der Hand hatte.
Noch jetzt kann ich das kühle, glatte Holz spüren und den Bogen in meiner Hand, der über die Saiten streicht. Diese neue Geige, die ich angespielt habe, die ist wie ich gewesen: neu, unpoliert, unsicher, ein wenig kratzig im Klang, aber voller Leidenschaft. Wie zwei Kinder, die Hand in Hand die ersten Schritte gehen. Die Geige wollte gespielt werden und ich wollte spielen. Das habe ich aber erst gemerkt, als es soweit war.
Ich habe dieses Gefühl gespürt, das süchtig macht nach mehr. Das Gefühl, das ich lange Zeit verdrängt habe und das ich vergessen wollte. Aber wie soll man etwas vergessen, das einen das ganze Leben lang geprägt und begleitet hat?

Heute glaube ich, dass in meinem Leben vor dem Unfall nicht immer alles so rosig gewesen ist. Erst, wenn man nach zwei Jahren zurückblickt, begreift man, wie vieles eigentlich verkehrt gewesen ist. Ich habe ein Leben geführt, das geplant war. Meine Eltern haben auf etwas gezeigt und ich bin blind dem ausgestrecktem Finger nachgelaufen. Aber ich hatte es damals ja genauso gewollt. Ich hatte auch nichts anderes gekannt.
Und nun? Kann ich wieder ein Leben mit der Geige führen? Kann ich ein Leben ohne Geige führen? Mein altes Leben bekomme ich nicht zurück, so viel ist klar.

Meistens ist Felix derjenige gewesen, der mich verstanden hat und derjenige, von dem die meisten wirklich konstruktiven Vorschläge gekommen sind. Da hat mein Bruder nicht mithalten können.
Aber in in diesem Moment könnte ich Felix einfach nur den Hals umdrehen.
Er hat alles durcheinander gebracht. Erst ignoriert er mich zwei Jahre lang, obwohl ich ihm damals bestimmt nicht egal gewesen bin. Und dann taucht er einfach so wieder auf und findet es offensichtlich total spaßig, mir den Kopf zu verdrehen mit seinem Cellospielen, seinem schiefen Lächeln und seiner ganzen Person, die auf einmal viel zu gutaussehend geworden ist.
Eigentlich kann ich sagen, dass er an allem Schuld ist. Er hat Zweifel in mir aufkeimen lassen. Er ist der Grund dafür, dass die Beziehung mit Basti und mir in die Brüche gegangen ist. Er hat mich auf diese irre Reise verschleppt, hat mich dazu gebracht, wieder Geige zu spielen und er hat mich geküsst. Und jetzt sitzen wir seit einer Stunde nebeneinander und er hat kein Wort darüber verloren. Mit Basti ist es so viel einfacher gewesen. Wir haben festgestellt, wie gut wir uns verstehen und dann waren wir ein Pärchen. Aber dass das hier nicht so einfach ist, hätte ich mir denken können. Es ist schließlich Felix, wie soll da irgendetwas einfach sein?

Ich könnte ihn zur Rede stellen. Ihn fragen, warum er mich geküsst hat. Doch die Chance, enttäuscht zu werden, ist einfach zu groß. Also sollte ich lieber abwarten, bis etwas passiert oder er von alleine auf die Idee kommt, mit mir zu reden? 
Egal, wie ich es drehe und wende, keine Lösung ist zufriedenstellend.

"Ellie, ich sehe schon Rauchwolken aus deinem Gehirn aufsteigen.", durchbricht Felix plötzlich die Stille.

Doch ich gebe ihm keine Antwort. Er kann ruhig selbst darauf kommen, dass er bei mir mit seinen pseudolustigen Bemerkungen heute nichts mehr erreichen wird. Es ist doch immer das Gleiche. Immer verschließt er sich vor mir, erzählt mir nicht, was wirklich in ihm vorgeht. Und dann erwartet er, dass ich ihm von meinen Gedanken erzähle?

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